Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2024

Schwerpunkt

„Kraftorte des Glaubens“

Sei es die berühmte Ruhestätte des Hl. Jakobus in Santiago de Compostela oder die kleine verfallene Kapelle im bayerischen Umland, die Wurzeln des Glaubens sind gleichermaßen spürbar. Foto: Andrea Delbo/ shutterstock

Viele Christinnen und Christen vertiefen ihren Glauben durch das Lesen der Bibel, sei es täglich oder zu besonderen Anlässen wie an christlichen Feiertagen. Manchmal lesen wir nur einen Vers, eine Seite oder auch ein Kapitel. Meine Mutter liest beispielsweise seit Jahren jeden Morgen die Tageslosung.  Das reale Wandern in der Nachfolge Jesu vertieft das Verstehen der Worte.

 

Im Gottesdienst hören wir dem Priester genau zu, wenn er eine Bibelstelle liest und diese für uns in seiner Predigt in einen relevanten und tagesaktuellen Kontext setzt. Mit dieser Erklärung verstehen wir diese Bibelstelle nun besser, fühlen uns vielleicht ein wenig verbunden mit diesen Worten und sie wirken in uns nach, unser Glauben festigt sich.  Die Bibel zu lesen und zu verstehen, kann uns Halt, Kraft und Hoffnung geben.  
 
Doch wie können wir über das Verstehen der Worte hinausgehen? Wie können wir die Bibel tatsächlich erleben? Wie können wir unseren Glauben noch weiter vertiefen und ihn verstärken? 

Die Antwort liegt oft in Pilgerreisen, die eine transformative Wirkung auf unser spirituelles Empfinden und unsere Verbindung zu Gott haben können.

Pilgern liegt heute wieder „im Trend”. Dabei ist es eine alte Sache. Schon in der Antike pilgerten Menschen zu Tempeln und Orakeln, wie dem Tempel der Artemis in Ephesus oder dem Orakel von Delphi. Später entwickelten sich Pilgerziele an den (vermeintlichen) Orten der Gräber von Heiligen oder Aposteln. So unternahmen ab dem ausklingenden 9. Jahrhundert die ersten Könige und Mönche eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela, um das Grab des Apostels Jakobus zu ehren. Der Jakobsweg ist heute einer der beliebtesten Pilgerwege und bildet mit Rom und Jerusalem die drei wichtigsten Pilgerorte des Christentums.  

 

Allein oder mit 20 Millionen

Doch der meistbesuchte christliche Pilgerort liegt heute mit mehr als 20 Millionen Besuchern pro Jahr in Mexiko: Hier wird vor allem von Mexikanern und Südamerikanern in Guadeloupe die dunkelhäutige Madonna verehrt. Seit nahezu 500 Jahren ist ihr Bild überall im mexikanischen Alltag präsent, in welchem sich die altmexikanische Glaubenswelt mit dem Katholizismus vermischt. 

Pilgern ist jedoch keine exklusive christliche Praxis. In allen Weltreligionen gilt es, bei einer Pilgerreise eine besondere Beziehung zwischen Gott und den Menschen zu pflegen. Pilger, die sich als Moslem, Hinduist, Buddhist, Jude oder Christ auf den Weg machen, haben das Ziel, mit ihrem Gott Verbindung aufzunehmen und ihren Glauben zu stärken. 
 
Aber was passiert auf einer Pilgerreise, was ist das Besondere, warum gibt es hier eine Veränderung im Menschen? Pilgerorte gelten auch als „Kraftorte des Glaubens”. Sie bieten eine Möglichkeit, sich und Gott durch die Natur und Gemeinschaft mit anderen neu zu entdecken.

Es gibt zwei Arten, diese Kraftorte auf sich wirken zu lassen. Zum einen können Pilger sich allein auf den Weg machen. Dafür eignen sich Pilgerwege wie die verschiedenen Routen des Jakobswegs, der Martinusweg oder der Jerusalemweg. Zum anderen gibt es auch Angebote, die Pilgerwege vororganisiert mit einer Gruppe zu erleben. Über Kirchengemeinden oder spezialisierte Veranstalter lassen sich in kleinen Gruppen mit ausgebildeten Pilgerführern sowohl Pilgerwege in Bayern und Baden-Württemberg als auch internationale Pilgerwege wie den Jakobsweg erleben.

Im Hier und Jetzt verbunden mit dem Jenseitigen

Ohne vielfältige Ablenkung wird die Umgebung intensiver wahrgenommen, das Hier und Jetzt fasziniert und verblüfft zugleich. Foto: Gregorioa / shutterstock

Hier geht es vor allem um das (Wieder-)Entdecken der individuellen Beziehung zu Gott. Wir sind raus aus unserem Alltag und wandern oft schweigend allein oder in der Gruppe. Durch die Stille und die Bewegung in der Natur beruhigen sich unsere Gedanken. Wir fühlen den Rhythmus der Atmung und des Schrittes, die sich aufeinander abstimmen. Fast ein wenig meditativ schwingen die Gedanken mit und werden klarer.

Wir finden uns im hier und jetzt und nehmen die Natur stärker wahr: Die Pflanzen und Bäume am Wegesrand sind farbintensiv, die Sonne wärmt, der Wind kühlt unsere Haut. Wir nehmen die Gerüche um uns herum wahr: die Süße der Blüten, das Herbe von Nadelhölzern. Wir hören eine Hummel summen oder die Glocken einer Kuhherde in der Ferne. Wir fühlen uns der Natur näher, der Schöpfung Gottes mit all seinen wunderbaren Details. Wir sind Teil dieser Natur, wir sind Teil dieser Schöpfung, wir sind eins mit uns und werden eins mit Gott.

An Kapellen halten wir als Pilger inne, um die Anwesenheit Gottes noch stärker zu spüren, um uns zu bedanken für eine neue Erkenntnis. Am Abend tauschen wir unsere Erfahrungen vielleicht mit unseren Mitreisenden aus, sitzen gemütlich zusammen und erleben die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, mit anderen Christen.

Am Ziel der Pilgerreise treffen wir dann an besonderen Kraftorten auf weitere Pilger, die ebenfalls ihren Weg hinter sich haben. Uns wird klar, dass wir alle unterschiedlich sind. Wir alle haben unsere eigenen Geschichten, Erfahrungen und Sorgen. Wir alle haben eine Last zu tragen. Wir alle sind auf dem Weg durch unser Leben auf dieser Welt. Zusammen. 

Zurück im Alltag bleibt die innere Stärke, das Gefühl von Gemeinschaft und die Verbindung zu Gott. Pilgerreisen ermöglichen eine tiefe, persönliche Erfahrung, die Mut, Kraft und Zuversicht schenkt.

Geschichte lebendig werden lassen

Als weitere Möglichkeit, unseren Glauben zu stärken, können wir „Kraftorte” besuchen. An historischen Stätten wie Jerusalem oder Rom wandeln wir auf den Spuren von Jesus oder Paulus. Um die Dimension der Bedeutung dieser Orte vollends zu verstehen, empfiehlt es sich innerhalb einer Reisegruppe oder der eigenen Gemeinde, mit einer historisch oder theologisch spezialisierten Reiseleitung unterwegs zu sein. Ohne die Erklärungen einer Reiseleitung bleibt ein Haus oft nur ein Haus, in einer Kirche würdigen wir eventuell die beindruckende Architektur oder die ansprechenden Kunstschätze. Mit einer spezialisierten Reiseleitung allerdings wird die Geschichte lebendig!

Vor unserem inneren Auge bewegen sich historische Figuren, wir werden um Hunderte oder Tausende Jahre zurückversetzt und finden uns in einer biblischen oder historischen Szene wieder. An unserem geistigen Auge vorbei ziehen Menschen, ein Esel, vielleicht ein alter Gelehrter. Ein leerer Marktplatz füllt sich mit Ständen, Händlern und Bergen von Waren. Eine leere Straße füllt sich mit Menschen einer historischen Szene. Jesus und seine Jünger schreiten an uns vorbei. Wir können sie fast wie in Wirklichkeit beobachten. Wir stehen an der gleichen Stelle wie sie damals – genau hier auf diesen Steinen, genau hier auf diesem Weg. Die Szenen, die wir bisher nur anhand der Bibelverse in unserer Vorstellung kannten, werden lebendig! Wir sehen die originalen Steine, Ruinen und Bauwerke. Die Szenerie vor unserem inneren Auge fügt sich ein in den realen Ort.

Die Wurzeln unseres Glaubens spüren

Die Bibel wird auf einmal für uns fassbar und erlebbar. Wir fühlen die Energie und die besondere Kraft an diesen Ort. Möglicherweise stehen wir an der gleichen Stelle wie vor uns Jesus. Ein Gefühl von Bewunderung und vielleicht von kindlicher Aufgeregtheit überkommt uns. Wir fühlen uns verbunden mit der Geschichte von vor Hunderten von Jahren, mit den Menschen, die hier lebten, mit Jesus oder Paulus, die hier wandelten. Jetzt verstehen wir womöglich besser, was sich damals zugetragen haben könnte. Diese Reise hat die Bibel für uns erlebbar gemacht.  Und diese Erfahrungen tragen wir Pilgerreisende zurück in den Alltag: Wir waren dort. Wir haben die Wurzeln unseres Glaubens gesehen und gespürt.

 


Verfasst von:

Irmela Preissner

Geschäftsführerin Biblische Reisen GmbH, Stuttgart