Walburga Dirk (rechts) bietet als Genesungsbegleiterin einmal in der Woche eine Kreativstunde im Sozialpsychiatrischen Dienst des Erthal-Sozialwerks in Würzburg an.
Als Genesungsbegleiterin setzt sich Walburga Dirk für seelisch Kranke ein
Im Raum ist nur das leise Knistern von Goldpapier zu hören. Das Schneidegeräusch einer Schere. Jetzt wird eine Tube Kleber auf den Tisch gestellt. „Passt das so?“ Walburga Dirk schaut sich das Werkstück ihrer Nachbarin an: „Ja, super!“ Es ist Freitagmorgen. Im Sozialpsychiatrischen Dienst (SpDi) des Erthal-Sozialwerks in Würzburg bietet Walburga Dirk ihre wöchentliche Kreativstunde an. Seit zwei Jahren tut sie dies als sogenannte EX-IN-Genesungsbegleiterin.
Walburga Dirk leidet seit vielen Jahren an schweren Depressionen. Letztes Jahr an Ostern hatte sie es wieder erwischt: „Ein halbes Jahr ging es mir sehr schlecht.“ Inzwischen fühlt sie sich besser, so dass sie sich neuerlich als Genesungsbegleiterin für Menschen mit seelischen Krankheiten engagieren kann. Außerdem bereitet sie gerade ihre erste Ausstellung vor, in der sie ihre Depressionen thematisiert. Dass sie mit ihren Bildern an die Öffentlichkeit geht, findet ihr Umfeld ausgesprochen mutig. „Doch ich will endlich das Tabu brechen, das psychische Krankheiten immer noch umgibt“, sagt die 52-Jährige.
Eigentlich leben wir in einer Gesellschaft, die Inklusion zum Ziel hat. Dicke Bücher beschreiben Ideen, wie es gelingen könnte, dass kein Mensch mehr wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung im Abseits steht. Doch Papier ist geduldig. Gerade Menschen mit seelischer Erkrankung stoßen laut Dirk nach wie vor auf Abwehr und Ausgrenzung: „Mitglieder meiner eigenen Familie können damit nicht gut umgehen.“ Nur ihre Schwester steht zu ihr. Dank ihr gelang es Walburga Dirk auch, den jüngsten Rückfall in die Depression zu überwinden.
Halt gibt ihr der SpDi. Vier Stunden ist die gelernte Restauratorin dort jede Woche als EX-IN-Genesungsbegleiterin gegen Bezahlung tätig, was bedeutet, dass sie sich als Frau mit psychischer Erkrankung für andere seelisch Erkrankte einsetzt. Die Abkürzungen „EX“ und „IN“ stehen für „Experienced“ und „Involvement“. Das Konzept zur Einbeziehung Psychiatrie-Erfahrener in die Arbeit mit seelisch Kranken wurde vor 20 Jahren in den USA entwickelt und 2005 in Europa aufgegriffen. In Nürnberg ließ sich Dirk ein Jahr lang zur Genesungsbegleiterin ausbilden. Danach stieg sie als Mitarbeiterin in den Würzburger SpDi ein.
Die Kreativstunden, die sie hier anbietet, sind beliebt. Heute sitzen drei Frauen und ein Mann um Dirk herum, um unter ihrer Anleitung goldene Engel zu basteln. „Ich bin eigentlich nicht so der Bastelfan“, meint eine SpDi-Klientin: „Doch mit Walburga macht es einfach Spaß.“ Woche für Woche lässt sich die gebürtige Braunschweigerin etwas Neues einfallen. Dabei versucht sie, Dinge zu verwenden, die man sonst wegwirft. „Einmal haben wir alte Schallplatten benutzt“, erzählt die Klientin. Daraus wurden Schalen geformt: „Ich habe eine Schale meinem Therapeuten geschenkt, der hat sich sehr gefreut.“
Für heuer ist geplant, dass Walburga Dirk im SpDi eine „Sprechstunde auf Augenhöhe“ für seelisch Erkrankte anbietet. „Nicht jeder Klient möchte sich immer gleich an einen Professionellen wenden“, weiß sie aus eigener Erfahrung. Die Profis in der sozialpsychiatrischen Szene haben zwar viele gute Tipps parat. Aber in der Tiefe verstehen, wie es einem Menschen geht, der von Ängsten heimgesucht oder von schweren Depressionen gebeutelt wird, das können sie nicht. Genau dafür sind die Genesungsbegleiter da, weil sie diese Situation selbst schon erlebt haben. Sie geben praktischen und konkreten Rat, zeigen Verständnis und machen authentisch Mut.
Foto: Pat Christ