Mit Hilfe eines Ankers kann ein Schiff auch bei unruhiger See auf Grund festgemacht werden, vorausgesetzt, dass die Wassertiefe nicht zu groß ist. Vor allem im sicheren Hafen kann ein Schiff zum Be- und Entladen von Waren oder zum Ein- und Aussteigen von Passagieren vor Anker gehen. Im übertragenen Sinn steht der Anker für den sicheren Halt in den Stürmen unseres Lebens und für den hoffnungsvollen Blick in die Zukunft. Der Hebräerbrief (6,19) nennt die Hoffnung „einen sicheren und festen Anker der Seele“. Ist nun der Glaube ein derartiger „Anker“ in schwierigen, besonderen oder neuen Lebenssituationen?
Die Bibel kennt die existenzielle Verunsicherung durch allerlei Stürme, die mit Gott selbst und sogar mit der Stärkung des Glaubens durch den Sturm in Verbindung stehen: der Prophet Jona (1,15) wird kurzerhand ins Meer geworfen, weil man den Seesturm auf seinen Unglauben zurückführt. Bei Matthäus lesen wir: „Plötzlich brach auf dem See ein gewaltiger Sturm los, so dass das Boot von den Wellen überflutet wurde. Jesus aber schlief. Da traten die Jünger zu ihm und weckten ihn; sie riefen: Herr, rette uns, wir gehen zugrunde! Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen? Dann stand er auf, drohte den Winden und dem See, und es trat völlige Stille ein“ (Mt 8,24-26).
In beiden biblischen Situationen wird nicht der Anker geworfen, vielmehr geschieht die Stillung des Sturms durch Beziehung: Jona, inzwischen vom Fisch verschluckt, betet zu seinem Gott und wird auf dessen Geheiß an Land gespien. Die Jünger, irritiert über Jesu Schlafen, wenden sich in ihrer Hilflosigkeit an ihren Meister.
Aus der Bindungsforschung wissen wir, dass schon im ersten Lebensjahr die Mutter oder eine andere Bezugsperson als „sicherer Hafen“ von großer Bedeutung für die seelische Entwicklung ist. Allerdings geht das gesunde und sicher gebundene Kind in diesem „Hafen“ nicht „vor Anker“. Vielmehr erobert es sich die immer größer werdende Welt von der Heimat des mütterlichen Hafens aus, zu dem es jederzeit zurückkehren kann.
Auch das Glaubensleben und die Gottesbeziehung sind entwicklungsfreundliche Bindungen. Um die Stürme des Lebens zu bestehen, ist es nicht gut, im kirchlichen und spirituellen Hafen vor Anker zu gehen wie ein Museumsschiff, das nie mehr in See sticht. Die psychotherapeutische Erfahrung zeigt, dass Religionen und Spiritualität ein Hemmschuh sein können, ein Teil des Problems, oder aber ein Teil der Lösung, nämlich dann, wenn der Anker wieder aufgehievt wird und das Lebensschiff Fahrt aufnehmen kann, dem ruhigen Seegang oder den Stürmen entgegen.
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