Wenn Menschen das Angebot zur Tafel zu gehen annehmen, ist der Leidensdruck meistens schon sehr groß. Scham und der eigene Stolz haben sie oft lange daran gehindert, diese Hilfe anzunehmen. Die Caritas unterstützt Bedürftige und hilft ihnen, das Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Niederschwellig ist auch das Angebot der Klosterabtei St. Bonifaz in München. Hier werden inzwischen jeden Tag etwa 200 Obdachlose versorgt.

Bei der Münchner Tafel gibt es Obst, Gemüse und andere Lebensmittel. 15 Ehrenamtliche der Caritas helfen hier mit.
Foto: Sarah Weiß
Nein, Kartoffeln brauche sie heute nicht, sagt die junge Frau. Die habe sie gestern schon gekauft. Selbst. Im Supermarkt. Sie ist stolz, als sie das an der Ausgabestelle der Tafel in Neuhausen sagen kann, wo sie gerade vor dem Biertisch mit dem Gemüse steht. Einmal wöchentlich verteilen hier 15 Ehrenamtliche der Caritas und der Münchner Tafel im geschützten Raum des Kreativquartiers Nahrungsmittel an Bedürftige. Die Kunden sind so vielfältig wie das Lebensmittelangebot: Der Münchner Rentner wartet neben der Frau mit Kopftuch, bis er an der Reihe ist, ein schwules Pärchen spielt währenddessen mit den Kindern einer schwarzafrikanischen Familie, die lachend hin und her flitzen. Sie stehen in einer langen Reihe und warten auf Kartoffeln, Eier, Saft, Fleisch und Schokolade. Doch gemeinsam haben sie alle das Eine: sie gelten nach den Kriterien der Tafel als arm und sind daher berechtigt, ihre Lebensmittel bei ihr zu beziehen.

15 Ehrenamtliche der Caritas helfen bei der Münchner Tafel mit. Das Helfen macht ihnen sichtlich Spaß.
Foto: Caritas
Dass der Weg dorthin für viele unangenehm ist, hat Sabine Schuster, Fachreferentin für Soziale Arbeit beim Caritasverband der Erzdiözese München und Freising, schon oft genug mitbekommen. Die Caritas versucht deshalb mit niedrigschwelligen Angeboten die Scham der Bedürftigen soweit zu senken, dass sie diese auch wahrnehmen mögen. Dreh- und Angelpunkt der gemeinnützigen Fürsorge der Caritas ist die soziale Beratung: eine offene und kostenlose Sprechstunde für Probleme aller Art. Andrea Heimann ist Fachdienstleiterin für Soziale Dienste und bietet selbst Sprechstunden für soziale Beratung an. Menschen kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen zu ihr. Manche bekommen Post von Behörden, die sie nicht verstehen, andere sind sich unsicher, ob sie Anspruch auf bestimmte Leistungen haben und wie sie sie beantragen können. Wieder andere benötigen Unterstützung bei einer Trennung, sind ungewollt schwanger oder in finanziellen Schwierigkeiten. Die Caritas vermittelt dann an entsprechende Fachberatungen weiter oder versucht mit Berechtigungsausweisen für Kleiderkammern, Lebensmittelausgaben oder mobile Werkstätten die materielle Not zu lindern. Derartige Angebote der Caritas sind aber nicht nur Ausgabestellen, sondern hängen immer auch mit einer eingehenden Beratung zusammen, damit die betroffene Person der Situation der Bedürftigkeit möglichst schnell wieder entkommen kann. Um die Nachhaltigkeit der Maßnahmen zu gewährleisten, müsse man sozialpädagogisch kritisch mit Almosen umgehen, findet Andrea Heimann: „Das eine tun, aber das andere nicht lassen.“ Denn Ziel sei es immer, dass die Bedürftigen am Ende wieder auf eigenen Beinen stehen können. Zudem dient die Beratung auch der psychologischen Unterstützung, findet Sabine Schuster. „Die Hemmschwelle zur Tafel zu gehen ist hoch, die Leute haben lange versucht ohne sie auszukommen, das heißt der Leidensdruck ist schon sehr hoch. Und um die Menschen in dieser schwierigen Situation zu unterstützen, haben wir immer begleitende Angebote mit dabei.“
Vom Wohlstand ausgeschlossen

Die Mönche von St. Bonifaz in München kümmern sich um Obdachlose. Bei ihnen gibt es warmes Essen, Duschen und einen warmen Platz zum Ausruhen.
Foto: Michael Westermann
Insgesamt stehe der Großraum München wirtschaftlich gut da, aber einige Gruppen können am Wohlstand nicht teilhaben, bemängelt Sabine Schuster. Zu den bedrohten Gruppen gehören besonders Menschen ohne festen Arbeitsplatz, Personen mit Migrationshintergrund und Alleinerziehende, von denen fast 40 Prozent an der Armutsgrenze leben. Aber auch Rentner und unter ihnen besonders Frauen leiden unter den geringen Rentensätzen. „Wenn Frauen lange zu Hause bei den Kindern waren, sind sie abhängig davon, ob ihre Männer für sie vorgesorgt haben“, sagt Schuster. Das sehe zwar mittlerweile schon etwas anders aus, aber auch heutzutage ist es noch üblich, dass Frauen weniger als Männer verdienen und damit weniger Rentenanspruch haben. Schuster macht sich besonders Sorgen um die prekäre Wohnsituation: „Auch für Menschen mit gesichertem Einkommen ist es sehr schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Auch darin äußert sich Armut.“ Denn Armut und Wohlstand haben nicht nur, aber immer auch, mit finanziellen Dingen zu tun. „Wohlstand bezeichnet die Möglichkeit, teilhaben und sich verwirklichen zu können. Das heißt, an kulturellen Veranstaltungen teilhaben zu können, an Erwerbstätigkeit. Leute, die nicht arbeiten, wollen ja Teilhabe an einem Arbeitsleben, wollen die Möglichkeit, in der Gesellschaft anerkannt und wertgeschätzt zu werden.“ Die Konsequenz sei häufig, dass Menschen, die an der Grenze zur Armut leben, anfangen sich zurückzuziehen, weil Armut sehr schambesetzt ist. Dem möchte die Caritas entgegenwirken. „Wichtig ist, Armut nicht in die Schmuddelecke zu stellen. Häufig sind die Menschen nicht selbst schuld an ihrer Situation und wenden viel Kraft und Bemühung auf, da raus zu kommen, mit geringsten finanziellen Mitteln. Es ist sehr wichtig, das wertzuschätzen.“

Bei der Münchner Tafel stapelt sich Kisten mit Obst, Gemüse, Brot, Säcke voll Kartoffeln und auch Süßes. Am Ende der Ausgabe sind sie leer.
Foto: Sarah Weiß
Um ein möglichst engmaschiges Beratungsnetz zu knüpfen ist der Caritasverband in jedem Landkreis der Erzdiözese München und Freising mindestens einmal vertreten, im Stadt- und Landkreisgebiet München entsprechend öfter. Dabei dient häufig das Pfarrbüro auch gleichzeitig als Caritas-Kontaktstelle, weil sich viele Menschen in Notlagen zuerst dorthin wenden. Dann liegt es im Ermessen des Seelsorgers, ob er selbst noch weiterhelfen kann oder ob er lieber weiter vermittelt. In der Kirche verankert sich für Sabine Schuster auch das Selbstverständnis der Caritas: „Das ist unser ur-innerster Auftrag als Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche und wir stehen da in der Nachfolge Jesu, was Nächstenliebe anbetrifft, was Achtung füreinander betrifft, den Menschen in Not auch zu helfen. Franziskus ist da im Moment auch sehr maßgeblich.“
Für einige Situationen hat die Caritas selbst keine Angebote. Hier übernimmt dann einer der Fachverbände die Trägerschaft, wie zum Beispiel beim Thema „Obdachlosigkeit“ der katholische Männerfürsorgeverein.
Ein Platz zum Aufwärmen
Es gibt allerdings auch unabhängige Stellen, die sich die Obdachlosenfürsorge auf die Fahne geschrieben haben, wie das Haneberghaus der Klosterabtei St. Bonifaz in München. Das Haus versorgt täglich mittlerweile 200 bis 250 Personen mit warmem Essen, Kleidung und sozialer Beratung. Das Haus stellt Duschräume, medizinische Versorgung und einen Ort zum Aufwärmen zur Verfügung und ist von sieben Uhr bis halb ein Uhr nachts für jeden geöffnet. „Unsere Schwelle soll so niedrig sein, dass jeder drüber kommt“, sagt Frater Emmanuel, auf dessen Initiative hin sich die traditionellen Klosteralmosen zu einem Haus mit Rundumversorgung entwickelt haben. Er wollte den Menschen eine Anlaufstelle für ihre Bedürfnisse bieten, denn arm seien sie alle auf die eine oder andere Weise: „Materielle Not ist das eine, aber Armut kann auch eine Armut an Ansprechpartnern sein, die Menschen haben psychische Probleme, Sucht ist ein großer Faktor. Dadurch wurden sie aus der Gesellschaft herausgenommen.“ In St. Bonifaz stehen ihnen die Türen immer offen – 365 Tage im Jahr. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2001 war das Haus noch nie geschlossen und leistet auch Hilfe zur Selbsthilfe, erzählt Frater Emmanuel nicht ohne Stolz. „Einige, die früher bei uns Ansprache gesucht haben, arbeiten heute hier.“