Der fast blinde Journalist Renardo Schlegelmilch hatte nicht viel mit Kirche und Glauben zu tun, bis er beim Kölner Domradio anfing. Später besuchte er die Katholische Journalistenschule ifp in München. Heute laufen seine Reportagen rund um Religion und Glaube in verschiedenen namhaften Medien wie Radio Vatikan und dem Deutschlandfunk. Im Advent 2014 ließ sich Renardo Schlegelmilch schließlich taufen. In Gemeinde creativ erzählt er seine Geschichte.
Gemeinde creativ: Herr Schlegelmilch, in unserer aktuellen Ausgabe geht es um Menschen mit besonderen Lebensgeschichten. Sie selbst wurden mit einer starken Sehbehinderung geboren, heute sind Sie Radiomoderator und Journalist. Wie hat sich Ihre Behinderung auf ihren Lebensweg ausgewirkt?
Renardo Schlegelmilch: Das mit meinen Augen ist kompliziert. Ich bin nicht mit einer Sehbehinderung auf die Welt gekommen, sondern mit der Anfälligkeit dafür. Meine Sehkraft hat sich im Laufe der Jahre auf dem linken Auge mehr und mehr verschlechtert. Auf dem rechten Auge konnte ich von Geburt an nur etwa vier Prozent sehen. Auf diesem Auge habe ich dann während des Studiums einen Grünen Star bekommen, in dessen Folge der Sehnerv abgestorben ist. Das heißt, ich kann nachempfinden wie es ist, zu erblinden. In den letzten Wochen ist da nur noch ein Flackern, weil das Gehirn Signale bekommt, die es nicht verarbeiten kann. Links kam dann noch ein Grauer Star dazu, so dass sich die Sehkraft dort auch weiter verschlechtert hat. Vor ein paar Jahren habe ich mich dann für eine Operation entschieden. Diese ist zum Glück gut verlaufen, so dass ich heute etwa 15 Prozent sehe. Eigentlich ist das mehr, als die meiste Zeit meines Lebens, aber natürlich noch immer nicht wirklich viel.
Wie bewältigen Sie ihren (Berufs-)Alltag?
Eigentlich ist das überhaupt kein Problem, weil es heutzutage Computerprogramme gibt, die mein schlechtes Sehen ausgleichen und die in jedem Computer und Smartphone vorinstalliert sind. Zugegeben, früher war das alles viel komplizierter. Ansonsten habe ich immer noch eine Lupe dabei. Die brauche ich von Jahr zu Jahr aber weniger, eigentlich nur noch für Speisekarten im Restaurant oder Ähnliches. Bei Fahrplänen und Wegbeschreibungen helfen mir heute Apps. Und dann macht es natürlich Sinn, dass ich Radio mache und nicht Fernsehen. Denn im Radio kommt es viel mehr auf das Hören an. Ich höre vielleicht nicht besser, aber gewissenhafter als andere. Gerade beim Schneiden von Interviews hilft das.
Wo stoßen Sie an Grenzen?
Reisen ist noch immer kompliziert. Früher musste ich mir jeden Schritt vorher heraussuchen und einprägen. Apps wie Google Maps helfen hier schon gut, aber es gibt noch immer Dinge, die für mich einfach unmöglich sind: Die Sitzplatzreservierungen bei der Bahn zum Beispiel, die kann ich nicht lesen. In solchen Fällen muss ich mich durchfragen. Die größte Einschränkung ist aber sicherlich, dass ich nicht Autofahren kann. In größeren Städten ist das normal kein Problem, weil es einen Nahverkehr gibt. Bei meinen Recherchereisen im Ausland brauche ich dann aber einen eigenen Fahrer.
Heute spielen auch Glaube und kirchliche Themen in Ihrem Leben eine wichtige Rolle, war das schon immer so?
Nein. Ich bin in der Diaspora aufgewachsen und hatte mit Glaube und Kirche überhaupt nichts zu tun. Ich habe mit 13 Jahren erste Erfahrungen beim Lokalradio gesammelt. Da gab es jede Woche ein Kirchenmagazin. Das war’s dann aber auch schon mit den Berührungspunkten.
Wie sind Sie das erste Mal intensiv mit Glauben und Kirche in Berührung gekommen?
Ich habe Journalismus studiert und musste ein Praktikum machen. Das Domradio in Köln war der einzige Sender, der mich genommen hat. Zuerst hatte ich Bedenken, weil Kirche zu der Zeit gar nicht so mein Ding war. Aber heute weiß ich, es war die richtige Entscheidung, das Praktikum trotz anfänglicher Magenschmerzen anzutreten. Man wächst hinein in die Themen und man wächst selbst daran. Ich habe gesehen, dass dort Menschen arbeiten, die etwas haben, das sie trägt im Leben. Das hat mich beeindruckt. Ich würde nicht sagen, dass es in den säkularen Medien rauer zugeht, aber das Arbeiten in einem kirchlichen Medienhaus ist etwas ganz anderes.
Sie wurden im Advent 2014 vom heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Kölner Dom getauft. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden?
Zuerst habe ich gedacht: Ich befasse mich mit der Radioseite, nicht mit der Kirche dahinter. Ich habe aber schnell gemerkt, dass das nicht funktioniert. Ich bin mit Kollegen zum Gottesdienst gegangen, habe über kirchliche Ereignisse und Feste berichtet und habe doch zuerst nicht wirklich dazugehört. Ich finde, wenn man sich mit diesen Themen beschäftigt, dann muss man auch dazu stehen. Deswegen habe ich mich taufen lassen.
Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
In jedem Bistum gibt es eine Stelle, die für Erwachsenentaufen- und firmungen zuständig ist. Man durchläuft einen halbjährigen Kurs, in dem man auf die Taufe oder Firmung vorbereitet wird. Am Ende steht keine Prüfung, die man bestehen muss, um zugelassen zu werden oder so etwas. Es geht darum, dass die Bewerber wissen, auf was sie sich einlassen, dass ihnen die Grundlagen unseres Glaubens deutlich werden. Ich habe dann angefragt, ob es möglich wäre, meine Taufe im Dom zu feiern, ganz einfach deswegen, weil der Kölner Dom für mich ein zentraler Ort meines Lebens ist. Von meinem Bürofenster aus schaue ich jeden Tag hinüber zu den Türmen. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass das dann am Samstagvormittag in einer Seitenkapelle stattfinden wird. Schlussendlich war es dann aber doch das Kapitelamt am ersten Advent vor etwa 3.000 Menschen. Getauft hat mich Stefan Heße, damals noch Generalvikar im Erzbistum Köln, heute Erzbischof in Hamburg. Aber aufgeregt war ich natürlich mehr, als wenn es die Seitenkapelle gewesen wäre.
Sie sind Journalist, welche Themen interessieren Sie am meisten?
Eigentlich wollte ich Musikjournalist werden, bis ich gemerkt habe, dass das nichts anderes bedeutet, als Musiktitel in einer Excel-Liste anzuordnen. Das war mir nicht kreativ genug. Meine Leidenschaft für Musik ist aber geblieben. Neben kirchlichen Themen interessiert mich vor allem der Bereich des Sozialen. Wenn es um Fragen der Barrierefreiheit und Inklusion geht, mache ich auch ab und an Selbstversuche. In Köln haben wir auch immer eine Karnevalssitzung für Blinde, davon habe ich schon mehrfach berichtet.
Unterscheidet sich Ihre journalistisch-professionelle Sicht von Ihrer persönlichen, wenn es um Kirche und Glauben geht?
Das ist eine interessante Frage. Ich versuche natürlich meine persönliche Meinung nicht wirklich Teil meiner Arbeit sein zu lassen. Es gibt immer wieder Themen – wie zum Beispiel im vergangenen Jahr die sogenannte „Ehe für alle“ – da muss ich mich erst einmal für mich hinsetzen und überlegen, wie ich eigentlich selbst dazu stehe. Das heißt aber nicht, dass diese persönlichen Ansichten, dann über den Sender gehen, aber es hilft mir, ein Thema zu fassen.
Trotz Ihrer Sehbehinderung sind Sie viel in der Welt unterwegs, auch um über die Situation von Christen in anderen Ländern zu berichten, können Sie uns etwas über Ihre jüngsten Recherchen erzählen?
Ich arbeite neben dem Kölner Domradio auch für Radio Vatikan und den Deutschlandfunk. Bei meinen Reportagen profitiere ich davon, dass es eigentlich in allen Ländern kirchliche Anlaufstellen gibt. Vergangenes Jahr war ich kurz vor dem Erdogan-Referendum in Istanbul. Das war schon eine andere Welt: Überall Propaganda, Lautsprecherwagen, die durch die Straßen fahren, Plakate an allen Ecken und Enden. Ich habe mich mit katholischen und evangelischen Christen getroffen, die alle sehr vorsichtig waren. Die Treffen fanden in Hinterzimmern statt und vor dem Mikrophon wollte niemand wirklich klare Aussagen machen. Zu Ostern war ich in Israel und Palästina. Die Osternacht in Jerusalem zu erleben, war etwas ganz Besonderes. Später war ich zwei Wochen in Amerika unterwegs. Hier war die Frage: Wie gehen Christen mit Präsident Donald Trump um, aber auch wie ist das Verhältnis zwischen Muslimen und Trump. Die Reportage dazu ist am Jahrestag des 11. September im Deutschlandfunk gelaufen. Zuletzt war ich in Rom und habe mir angeschaut, wie dort der Reformationstag gefeiert wurde. Die kleine evangelische Gemeinde dort mag einen an das Asterixdorf mitten im Reich der Römer erinnern. Aktuell befasse ich mich damit, wie die katholischen Gemeinden in Großbritannien auf den Brexit reagieren. Im April werde ich nach Ägypten reisen, um über die Situation der Kopten dort zu berichten.
Das Interview führte A. Hofstätter
Im Echter Verlag ist das Buch „If you believe“ von Renardo Schlegelmilch erschienen.
Es geht darum, wie Religion und Popmusik zusammenspielen, welche Gottesdienst-Elemente in der Musik zu finden sind und dass viele bekannte Popsongs durchaus religiöse Bezüge aufweisen. Außerdem erzählt der Autor darin einige Anekdoten aus seinem Radioalltag und der Musikgeschichte.
Wer wissen will, warum „Imagine“ von John Lennon als Hymne der Atheisten gilt, Lennon aber dennoch gemeinsam mit seiner Frau Yoko Ono einen Gottesdienst besucht hat oder wie Leonard Cohen’s weltberühmtes „Hallelujah“ entstanden ist, der wird in diesem Buch fündig.Schlegelmilch, Renardo (2017), If you believe. Religion in Pop- und Rockmusik, 176 Seiten, Hardcover. Echter Verlag, 14,90 Euro
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