Christian Gärtner ist Vorsitzender des Diözesanrats im Bistum Eichstätt und als einziger Vertreter der bayerischen Räte Mitglied eines Synodalforums. Sein Forum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ hat noch vor dem Lockdown die Arbeit aufgenommen. Mit Gemeinde creativ spricht er über die Gesprächskultur beim Synodalen Weg, die kontroversesten Themen und warum er die alphabetische Sitzordnung für einen echten Gewinn hält:
Gemeinde creativ: Die Corona-Krise beeinträchtigt auch den Synodalen Weg – was ist hier momentan Stand der Dinge?
Christian Gärtner: Die für Anfang September in Frankfurt geplante Synodalversammlung hat wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden können, stattdessen hat es fünf Regionalkonferenzen mit maximal 50 Teilnehmern gegeben, eine davon in München. Die Synodalversammlung wird um einen Termin nach hinten verschoben. Das bedeutet, dass der Synodale Weg nicht im Herbst 2021 enden wird, wie ursprünglich angedacht, sondern erst im Februar 2022.
Mein Synodalforum hat sich noch vor dem Lockdown konstituiert und seine Arbeit aufgenommen. Während der Corona-Krise haben wir uns in Videokonferenzen getroffen und konnten so gut weitermachen, wenn auch nur virtuell, aber immerhin. Es geht etwas vorwärts und das ist gut.
Erste Veranstaltungen konnten noch „regulär“ stattfinden, wie haben Sie diese erlebt?
Ich habe diese Treffen sehr positiv erlebt. Vor der ersten Synodalversammlung waren natürlich alle sehr aufgeregt, weil niemand so recht wusste, wie es nun wirklich werden wird. Die Atmosphäre war dann wirklich gut, einladend und wertschätzend – von allen Teilnehmern. Vieles war neu und ungewohnt. Gerade aber das Sitzen nach alphabetischer Reihenfolge, so ganz ohne Hierarchie, bunt durchgemischt, Frauen, Männer, Kleriker, junge Menschen, Theologen und „normale“ Laien – das hat wirklich etwas bewirkt. Da haben sich äußerst spannende Tischgespräche ergeben, die es so nie gegeben hätte, wenn man nach Berufsgruppen gesetzt hätte oder wenn sich jeder seinen Platz hätte frei wählen können. Wir kennen das doch alle: man hockt sonst immer mit denselben bekannten Leuten zusammen.
Ist es ein „Dialog auf Augenhöhe“, wie er im Vorfeld vehement gefordert wurde?
So wie ich den Synodalen Weg bisher erlebt habe, kann ich nur sagen: Ja! Für die Diskussionsbeiträge war es zweitrangig, ob sie von einem Bischof, einem Theologen oder einem Laien ohne theologischen Hintergrund kamen. Alle Wortmeldungen werden gleichberechtigt angenommen. Es kamen durchaus kritische Punkte, aber die Gesprächsatmosphäre blieb stets offen und unaufgeregt. Von Polemik keine Spur.
Um die Zusammensetzung der Synodalversammlung gab es viele Diskussionen und auch kritische Stimmen, sind die Laien dort gut genug vertreten?
Im Prinzip ja, aber man muss sich die Genese des Prozesses ansehen: die Initiative zum Synodalen Weg ging von der Deutschen Bischofskonferenz aus, die dazu das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) eingeladen hat. Von daher gibt es ein natürliches Gewicht an Bischöfen und Weihbischöfen. Es kamen dann Vertreter der Priesterräte sowie der Diakone und Ordensgemeinschaften hinzu. Trotzdem sind die Laien insgesamt in der Mehrheit und noch einmal: in den Diskussionen hat die Profession des Redners bisher keine Rolle gespielt.
Wie sieht es mit Frauen und jungen Menschen aus?
Der BDKJ konnte 15 junge Leute für die Synodalversammlung benennen. Die bringen sich sehr stark ein und sehr fundiert. Die Stimme der Jugend ist bisher in den Diskussionen ganz deutlich geworden – die jungen Leute sind wirklich ein Gewinn für den Synodalen Weg.
Frauen sind sicherlich numerisch unterrepräsentiert, das liegt schon allein an der Anzahl der Bischöfe und Priester. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die Stimme der Frauen deswegen zu kurz kommen würde. Diejenigen, die mit dabei sind, bringen sich dafür umso engagierter ein.
[Auslöser für den Synodalen Weg war die sogenannte MHG-Studie, nun geht es beim Synodalen Weg doch um weit mehr als das Thema „Missbrauch“…
Die Hauptthemen finden sich in den vier Synodalforen wieder, und diese wurden gezielt als Konsequenz aus der MHG-Studie so gewählt: „Macht und Gewaltenteilung“, „Priesterliche Existenz heute“, „Frauen“ und „Sexualmoral“. Damit will man an die systematischen Probleme, die im Zusammenhang mit Missbrauch und der Vertuschung von diesem deutlich geworden sind, herangehen. Es sind sicherlich nicht alle Probleme, die die Kirche in Deutschland oder gar weltweit hat, damit abgedeckt, aber das sind die drängendsten Fragen, denen wir uns jetzt stellen müssen.]
Inwieweit hängen sexueller Missbrauch und Machtmissbrauch in der Kirche zusammen?
Die massive klerikale Macht hat den Missbrauch und seine Vertuschung in diesem Ausmaß überhaupt erst möglich gemacht. Zudem ist jede Form von Missbrauch stets eine Art von Machtmissbrauch gegenüber jemandem, der schwächer ist. Das zeigt sich im kirchlichen Kontext besonders drastisch auch in der Art und Weise, wie diese Taten über Jahre hinweg vertuscht worden sind. Wir sprechen hier von Straftaten und trotzdem war es den Verantwortlichen wichtiger, nach außen den sauberen Schein der Kirche zu wahren. Man hat vertuscht anstatt aktiv zu werden. So etwas darf nicht wieder passieren.
Sie selbst sind Mitglied im Synodalforum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“, welche Themen stehen hier bislang im Vordergrund?
Ein Teilnehmer hat es so formuliert: „Wir müssen den Katechismus neu schreiben.“ Vieles, was darin festgehalten ist, wird von Katholiken nicht mehr als angemessen empfunden und gilt auch aufgrund von sozialwissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen inzwischen als überholt. Es geht darum, wie die katholische Kirche Sexualität bewertet, sowohl dogmatisch wie auch jene Themen, die gesellschaftlich als „typisch katholisch“ in diesem Bereich angesehen werden. Konkret sind das Themen wie der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexualität.
[Da gibt es sicher kontroverse Diskussionen in Ihrer Runde…
Kontrovers auf jeden Fall. Der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp hat das Forum nach der Videokonferenz im Frühjahr verlassen. Mich hat das überrascht, weil diese Entwicklung während der Diskussion so – zumindest für mich – nicht abzusehen war. Er hatte sich konstruktiv und kritisch eingebracht, so wie jeder andere Teilnehmer auch. Die einen, die alles umwerfen möchten, was katholische Sexualmoral betrifft und die anderen, die krampfhaft an dem festhalten wollen, was war – solche Fronten gibt es nicht. Von daher hat es mich irritiert, so wie Weihbischof Schwaderlapp seine Entscheidung gegenüber einigen Medien begründet hat. Ich finde es sehr schade, wenn man sich schon so früh aus dem Prozess zurückzieht, weil man sagt, es gehe in eine Richtung, die man nicht mittragen könne. Denn ich glaube, noch gibt es keine klaren Richtungen. Alles ist noch im Fluss.]
[Was darf mit Blick auf den sogenannten Dialogprozess ab 2011 dieses Mal auf keinen Fall passieren?
Mit der Art, wie der Synodale Weg aufgesetzt ist, hat man schon einiges dazu gelernt. Der Dialogprozess war zunächst nur eine Einladung der Bischofskonferenz. Jetzt sagt man, wir wollen den Synodalen Weg gemeinsam gehen – das ist ein ermutigender Schritt in die richtige Richtung. Die Auswahl der Laien wurde damals beim Dialogprozess in den einzelnen Diözesen recht unterschiedlich gehandhabt, es gab kein klares Ziel, etwa Positionen zu formulieren. Damit gab es natürlich auch keine Verbindlichkeiten, wirklich etwas umzusetzen. Am Ende stand nur eine Art „Ergebnisprotokoll“ der Themen, die man diskutiert hatte, ohne dass es zwingend Konsequenzen geben musste. Außerdem hat sich die Zusammensetzung häufig verändert, so dass sich Themen und Diskussionen wiederholt haben. All das ist dieses Mal anders.]
Die katholische Kirche hat in den vergangenen Jahren massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt, wie kann diese zurückgewonnen werden?
Der Synodale Weg ist eine Möglichkeit, ein Baustein dazu. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass man mit diesem Prozess die jetzt schon Fernstehenden sicherlich nicht in dem Maße erreicht, wie es wünschenswert wäre. Dafür braucht es andere Wege. Für die (noch) engagierten Katholikinnen und Katholiken, also diejenigen, die sich in Räten und Verbänden aktiv einsetzen, für die ist der Synodale Weg von großer Bedeutung. Und sie setzen große Hoffnungen in ihn. Ich merke auch, dass es in den Pfarrgemeinden ein großes Interesse daran gibt.
Ich hoffe, dass der Synodale Weg auch Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit bekommt. Wie diese ausfällt, hängt natürlich von den Beschlüssen ab. Sollte man beispielsweise zu einer positiveren Bewertung von Homosexualität kommen, dann würde das sicherlich von der Bevölkerung wahrgenommen, nach dem Motto: sie bewegt sich ja doch, die katholische Kirche.
Wir dürfen uns aber nichts vormachen. Die Skandale der vergangenen Jahre haben viel Porzellan zerschlagen und viel Vertrauen zerstört. Es wird viele Jahre dauern, bis dieses Vertrauen wieder neu gewachsen ist.
Es gibt immer wieder Stimmen, die sagen, die Themen des Synodalen Wegs wären wegen der Corona-Pandemie nun hinfällig und man müsse sich neue Fragen stellen…
Das sehe ich nicht so. Die Themen des Synodalen Wegs verlieren nicht an Bedeutung, weil sich unser öffentliches Leben und Wirtschaften im Moment verändern. Es gibt sicherlich andere Themen, die im Zuge der Corona-Krise nochmals deutlicher hervorgetreten sind – Digitalisierung und gesellschaftlicher Zusammenhalt beispielsweise – aber die Hauptthemen des Synodalen Wegs sind deswegen nicht weniger wichtig.
Trotzdem müssen wir genau hinschauen, was diese Pandemie mit unserem kirchlichen Leben macht. Das ist wie alles andere gesellschaftliche Leben auch fast völlig zum Stillstand gekommen und rappelt sich jetzt nur langsam und mühselig wieder auf. Selbst wenn manche Treffen wieder erlaubt sind und auch Gottesdienste wieder stattfinden. Viele bleiben weiter fern – entweder um sich oder Angehörige vor einer Ansteckung zu schützen oder weil sie gemerkt haben, dass es auch ohne geht. Der letzte Punkt ist der, der mir Sorgen macht.
Nun ist der Synodale Weg eine Art „deutscher Sonderweg“ – können von ihm Impulse für die Weltkirche ausgehen?
Der Synodale Weg muss sogar Impulse für die Weltkirche setzen, zumal wir hier Themen diskutieren, die wir in Deutschland nicht final beschließen können. Deswegen ist es auch gut, dass die Themen bisher auf einem hohen theologischen Anspruch diskutiert wurden. Daran kann eine internationale Debatte leichter anknüpfen.
Außerdem: der Synodale Weg gründet im Missbrauchsskandal. Missbrauch ist kein Problem nur der deutschen Kirche. Schon alleine deswegen müssen unsere Beratungen eigentlich von Kirchen in anderen Ländern aufgegriffen werden.
Was erhoffen Sie sich für den Ausgang des Synodalen Weges?
Dass wir zu wirklichen Ergebnissen kommen und etwas vorlegen können, das über den Tag hinaus Bestand hat, ähnlich der Beschlüsse der Würzburger Synode, die eine starke Wirksamkeit auch in die Gesellschaft hinein entfaltet haben.
Christian Gärtner (Jahrgang 1966) ist seit 1994 Mitglied des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Eichstätt. Er hat sich dort von Anfang an im Vorstand engagiert, war von 1998 bis 2006 stellvertretender Vorsitzender und wurde 2006 zum Vorsitzenden des Gremiums gewählt. Als Volkswirt arbeitet Christian Gärtner für ein Marktforschungsunternehmen.
Titelfoto: pde-Foto/ Anita Hirschbeck