Ernst Freier rettete ein kleines Kind unter Einsatz seines eigenen Lebens
Eine volle Stunde dauerte es, das Mädchen wiederzubeleben. „Es war beim Überqueren der Straße von einem Auto erfasst worden“, berichtet Ernst Freier. Schließlich zirkulierte das Blut wieder. Rasch wurde das Kind in den Hubschrauber gebracht. Der stieg auf – und blieb mit dem Heckrotor an der Autobahnbrücke hängen. Mit Mühe und Not schaffte es der Pilot, zu landen. Alles sprang aus dem Flieger. „Das Kind!“, schrie Freier. „Wir müssen das Kind rausholen!“
20 Jahre ist diese Geschichte her. Doch das Chaos, den Schock und die emotionalen Turbulenzen dieses Einsatzes wird der 61-jährige Rettungsassistent von den Würzburger Maltesern nie vergessen. Beherzt eilte er zusammen mit dem Notarzt zum Hubschrauber zurück. Der brannte inzwischen. Jederzeit würde er explodieren können. Nachdem bei der Landung eine Kufe gebrochen war, hing das Fluggerät schräg auf der Seite: „Der Eingang befand sich dadurch in zwei Metern Höhe.“ Freier hielt den Arzt. Der robbte ins Innere. Behutsam hoben die beiden das sechsjährige Kind heraus. Und brachten es in Sicherheit.
Ernst Freier stieg 1972 ehrenamtlich in den Rettungsdienst ein. Seit 1974 rettet er hauptamtlich Leben. Gefahr gehört für ihn zum Alltag: „Du weißt nie, ob sie dir wirklich den Weg freimachen, wenn du mit Blaulicht zum Einsatz fährst.“ Jeder Tag birgt Risiken. Doch niemals war der Einsatz so lebensgefährlich gewesen wie im Fall des sechsjährigen Mädchens, das aus einem brennenden Hubschrauber gerettet werden musste.
Nach diesem Einsatz war Freier mit den Nerven am Ende: „Mir zitterten die Knie.“ Für einen weiteren Schock sorgte wenig später die Nachricht, dass das Kind gestorben war. Das Rettungsteam setzte sich zusammen: „Haben wir das verschuldet?“ Der Fall, erzählt Freier, wurde akribisch untersucht. Mit dem Ergebnis: Das Kind hatte von Anfang an keine Chance gehabt. Der Hubschrauberabsturz hatte seinen Tod nicht verursacht. Dass das Fluggerät abgestürzt war, war wiederum auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen. „Wir mussten damals an einer sehr ungünstigen Stelle landen“, erinnert sich Freier. Beim Aufstieg wurde viel Staub aufgewirbelt. So kam es dazu, dass der Heckrotor die Brücke streifte.
„Du weißt nie, ob sie dir wirklich den Weg freimachen, wenn du mit Blaulicht zum Einsatz fährst.“
Auch wenn das Erlebte Freier immens belastete: Er würde immer wieder so handeln, sagt er. Wieder würde er zum brennenden Hubschrauber rennen, wenn ein Mensch darin auf Hilfe wartet. Wieder würde er sein Leben aufs Spiel setzten, um diesen Menschen zu retten. Dafür hat er sich vor mehr als 40 Jahren entschieden. Und dahinter steht auch seine Familie. „Sie würde mich nie abhalten“, so der vierfache Vater.
Nur Menschen in Freiers näherem Umfeld wissen, was er vor 20 Jahren erlebt hat: „Ich gehe mit dieser Geschichte nicht hausieren.“ Erzählt er ausnahmsweise davon, dann nur, um wachzurütteln. Denn wie sehr die Bereitschaft der Menschen sinkt, anderen zu helfen, erschüttert den Rettungsassistenten: „Ich erlebe bei meinen Einsätzen in den vergangenen Jahren leider eine regelrechte Verrohung.“
Freier erwartet von niemandem Heldentaten. Schon gar nicht von Menschen, die, anders als er, nicht über das Handwerkszeug professioneller Helfer verfügen. Die also zum Beispiel unsicher sind, was Erste Hilfe anbelangt. Unfassbar ist für ihn allerdings, dass es Menschen gibt, die sich an der Not anderer weiden. „Sie sehen einen Unfall und zücken das Handy, um möglichst krasse Bilder aufzunehmen“, schildert er. Die stellen sie sogar in soziale Netzwerke ein. Wo sie sich als „Helden“ und „tolle Hechte“ feiern lassen.
Zum Glück, sagt Freier, gibt es noch viele Männer und Frauen, die genau das tun würden, was er vor 20 Jahren getan hat. „Wir bei den Würzburger Maltesern haben keinen Personalmangel im Rettungsdienst“, sagt er. Weder bei den Hauptamtlichen noch bei den Ehrenamtlichen. 200 Freiwillige absolvieren derzeit Einsätze. Und retten Menschenleben in oft heiklen Situationen.
Foto: Pat Christ