Konzentrationslager, Todesstätten und andere Orte nationalsozialistischer Verbrechen verzeichnen von Jahr zu Jahr neue Besucherrekorde. 2018 wurden im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz mehr als zwei Millionen Gäste aus aller Welt gezählt. Die Gedenkstätte Dachau nähert sich der jährlichen Besucherzahl von einer Million an. Dies ist nicht nur ein Zeichen von Lehrplanverankerung nationalsozialistischer Menschheitsverbrechen in den verschiedenen Curricula, sondern auch ein Zeichen von Verunsicherung in der sehr aktuellen politischen Gegenwart. Denn KZ-Gedenkstätten sind stets Seismographen gesellschaftlicher Zustände.
Die Taten als solche, die Konzentrationslager, der organisierte Massenmord sind etwas, das die Menschen berührt. Auf paradoxe Art werden vielen Besuchern gerade an diesen früheren Mordstätten die universellen Werte eines gemeinschaftlichen und zukunftsträchtigen Zusammenlebens bewusst. Das Aufsuchen einer KZ-Gedenkstätte ist heute somit auch eine Rückversicherung fundamentalster menschlicher Werte an Orten ihrer größten Missachtung.
KZ-Gedenkstätten sind pädagogisch höchst professionell arbeitende Plattformen. Sie arbeiten sehr bewusst mit allen gesellschaftlichen Bildungs- und Berufsgruppen: mit Förderklassen, Mittelschulen, Integrationsklassen; mit KFZ-Azubis, Pflegekräften und Polizeischulen; mit Fußball-Ultras und Studierenden aus aller Welt. Dabei verändern sich die pädagogischen Angebote immer mehr von reiner Information hin zu echter Kommunikation. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gedenkstätten bemühen sich, die Menschen, die zu ihnen kommen, so ernst wie möglich zu nehmen. Dieses Ernstnehmen ermöglicht den Besuchern, sich an solchen Orten in all ihren Unsicherheiten, Ängsten und (oft nicht zugelassenen) Emotionen auszudrücken. Durch dieses Ernst-genommen-Werden stellt sich tatsächlich so etwas wie Nachhaltigkeit, wie Bewusstsein und auch Moralität ein.
Der „Abschied von der Erinnerung“ ist angesichts der zunehmenden generationellen Entfernung von der Zeit des Nationalsozialismus Faktum und Auftrag zugleich. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen ist er mehr als notwendig, denn er lässt neue Perspektiven zu. Perspektiven, die aus heutiger Sicht in die Abgründe menschlicher Entwürdigung durch die Nationalsozialisten blicken und daraus Kraft für heutiges moralisches Bewusstsein und gesellschaftliches Handeln schöpfen. Dies ist alles andere als relativierend, sondern entspricht dem im Jahr 2009 formulierten Vermächtnis der Überlebenden der Konzentrationslager: „Nach unserer Befreiung schworen wir, eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen: Wir haben uns engagiert, um eine Wiederkehr dieser unvergleichlichen Verbrechen zu verhindern.“
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