Nach Angaben des Friedensforschungsinstituts Sipri war Deutschland im Zeitraum zwischen 2015 und 2019 international der viertgrößte Waffenexporteur nach den USA, Russland und Frankreich. Damit ist Deutschland für fast sechs Prozent des weltweiten grenzüberschreitenden Waffenhandels verantwortlich. Eine erschreckende Position angesichts der Tatsache, wofür die exportierte Ware verantwortlich ist – den Tod unzähliger Menschen.
„Wir fordern von der Bundesregierung, dass die restriktive Rüstungspolitik, derer sie sich auf dem Papier rühmt, auch tatsächlich umgesetzt wird“, verlangt Jonas Wipfler. Er ist im Berliner Büro von Misereor politischer Referent und arbeitet dort unter anderem zum Thema Menschenrechte. Er vertritt Misereor in der Fachgruppe Rüstungsexportkontrolle der GKKE, der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung. „Auf dem Papier gibt es sehr gute Regelungen, da heißt es zum Beispiel, dass ein Kriterium, das bei Rüstungsexporten immer geprüft werden muss, die Achtung des humanitären Völkerrechts ist, aber auch die Einhaltung von Waffenembargos und die Verstrickung in Konflikte.“ In der Realität sehen Wipfler und die Fachgruppe diese Gesetze nur unzureichend umgesetzt, wenn man sich ansehe, wo deutsche Waffen am Ende überall hin exportiert würden und dass Länder, die Waffenembargos nicht einhalten, weiterhin deutsche Rüstungsexporte erhielten. Die Werte, auf die sich Sipri stützt, hält Wipfler nur für schwer vergleichbar, was für ihn aber nicht elementar ist: „Es geht hier gar nicht um den vierten Platz, fünften oder fünfzehnter Platz, sondern am Ende ist die Frage, wo die Waffen landen. Das kann auch bei kleinen Stückzahlen schon verheerend sein.“
Besonders kritisch sieht er Rüstungsexporte in Drittstaaten an. Das sind Länder, die weder zu den EU-Mitgliedstaaten, den NATO-Ländern oder den den NATO-Mitgliedern gleichgestellten Ländern gehören und somit nicht ohne Genehmigung beliefert werden dürfen. Aus christlicher Sicht sei jedoch davon unabhängig der Vorrang der Gewaltfreiheit ganz wichtig. „Am Ende ist Rüstungsindustrie immer ein Geschäft mit dem Tod und das sehen wir sehr kritisch.“
Wirtschaftliche Interessen im Fokus
Es irritiert ihn deshalb, dass auf die Waffenexporte von der Bundesregierung sehr wirtschaftlich geschaut wird, dass die Entscheidung darüber, Rüstungsexporte zu bewerten, im Bundeswirtschaftsministerium und nicht im Außenministerium angesiedelt ist. „Das betont, dass es ein wirtschaftliches Interesse an Rüstungsexporten geben kann. Aber Waffen sind keine Kühlschränke und keine Möbel, dafür braucht es ganz besondere, andere Regelungen und das wird manchmal in der politischen Diskussion vergessen, wenn es darum geht, Arbeitsplätze oder den Einfluss der deutschen Wirtschaft zu erhalten. Das kann nicht das ausschlaggebende Kriterium sein bei Produkten, die potentiell zum Tod führen.“
Genauso kritisch sieht das auch Christine Hoffmann, Generalsekretärin von pax christi. Ihre Organisation hat bereits in den 1980er Jahren mit Kampagnen zum Thema Rüstungsexporte angefangen, mit dem klaren Ziel, dass Deutschland viel weniger und am liebsten gar keine Rüstungsgüter und Kriegswaffen mehr exportiert. „Wir sind davon überzeugt, dass Waffenexporte friedensethisch gesehen gleichzusehen sind mit der Androhung von Gewalt, denn wer Waffen verkauft, verkauft sie an jemanden, der sie potentiell auch einsetzt.“ Und das könne keine wirtschaftliche Entscheidung sein: „Wir sprechen hier über die Frage: Wie setzt Deutschland Wirtschaftspolitik ein, um mit Partnern in der internationalen Politik zusammen zu arbeiten. Und da finden wir es wichtig, darauf zu schauen: Wieso werden Waffen geliefert statt medizinisches Material oder Knowhow für erneuerbare Energien?“
Der gesetzliche Rahmen
Im Moment sei es viel zu leicht möglich, Waffen auch an Drittstaaten zu exportieren, weil die Gesetze sehr weit ausgelegt werden können. „Die Gesetzgebung in Deutschland sieht kurz zusammengefasst im Moment so aus: es gibt das Kriegswaffenkontrollgesetz, das verbietet jeden Export von Kriegswaffen, der nicht genehmigt ist, und das Wirtschaftsförderungsgesetz. Das erlaubt alles, auch den Export jeglichen Rüstungszubehörs, es sei denn, es ist verboten worden. Das ist eine ganz gegensätzliche Logik und in der Lücke, die dazwischen klafft, gehen die ganzen Exporte raus.“, erklärt Hoffmann. Kommen zum Beispiel nur Komponenten der Kriegswaffen aus deutschen Unternehmen, nehme die deutsche Bundesregierung oft keinen Einfluss auf den Verkauf der fertigen Waffen. Deutschland trage aber Mitverantwortung, wenn zum Beispiel im Jemenkrieg Tornados und Eurofighter mit deutschen Komponenten eingesetzt werden. Christine Hoffmann spricht hier vom „Tod made in Germany“, bei dem auch noch häufig auf beiden Seiten mit deutschen Waffen gekämpft wird.
Auch werden Regelungen vielfach über das Ausland ausgehebelt: gerade zum Export von Munition würden Munitionsfirmen im Ausland gegründet und so gebe es laut Christine Hoffmann belegte Fälle, dass Bomben deutscher Hersteller zum Beispiel über einen Verkauf durch italienische Tochterfirmen im Jemenkrieg eingesetzt werden konnten. Sie ist überzeugt: „Besonders, wenn wir uns kleine und leichte Waffen ansehen und die Munition dafür, dann wissen wir: das packen sie hinten in den Kofferraum eines PKWs und das marodiert von Land zu Land. Die Politik hat es überhaupt nicht im Griff zu sagen: Wer kriegt diese Waffen und wer kriegt sie nicht? Und deswegen darf man sie einfach gar nicht erst exportieren.“
Verantwortung für den Frieden
So sieht das auch Anna von Gall, die als Juristin bei Greenpeace zum Thema Friede und Abrüstung arbeitet. „Deutschland ist in seiner Position und auch als Mitglied der Europäischen Union, die als Friedensprojekt gilt, in einer starken Verantwortung, friedenspolitische Arbeit zu leisten. Wir sind der Meinung, dass Waffenexporte sowohl mit einem christlichen als auch mit einem ethischen Werteverständnis unvereinbar sind.“
Um die Exporte zu reduzieren, da sind sich alle drei einig, braucht es daher unbedingt ein rechtlich verbindliches Rüstungsexportkontrollgesetz und konsequente Endverbleibskontrollen. Das würde dann auch eine Begründungspflicht für Kriegswaffenexporte an Drittstaaten beinhalten, sodass jeder Export transparent gemacht werden müsste oder sogar ein grundsätzliches Exportverbot.
Aber wie auch immer die gesetzliche Ausgestaltung am Ende aussehen wird, einige Fragen bleiben: Kann es überhaupt eine sinnvolle Verwendung für Waffen geben? Wer ist für die Taten verantwortlich, die mit den aus Deutschland exportierten Waffen begangen werden? Die Person, die sie in der Hand hat? Der Staat? Die Rüstungsindustrie? „Ich persönlich weiß, dass ich nicht bereit wäre für die Rüstungsindustrie zu arbeiten, weil dieses Bewusstsein, an einer Industrie teilzuhaben, die am Ende den Tod anderer Menschen als Geschäftsmodell in Kauf nimmt, ich mir nicht verzeihen könnte“, sagt Jonas Wipfler.
In jedem Fall steht auch jeder einzelne vor einem moralischen Dilemma, denn bis auf wenige Ausnahmen investieren Banken durch die Anlagen ihrer Kunden auch in Rüstungsprojekte. Die Politikerinnen und Politiker, die über die Rüstungsexporte entscheiden, sind von der Bevölkerung gewählt, betont Anna von Gall. „Wir als zivile Bürgerinnen und Bürger können uns vor der anstehenden Bundestagswahl überlegen: Welche Parteien wollen wir in der Regierung haben? Solche, die sich für einen Rüstungsexportstopp in Länder außerhalb der EU einsetzen?“ Das sei besonders vor dem Zusammenhang Klima und Konflikt interessant, denn der werde uns in Zukunft alle betreffen.
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