Die Kommunalwahl am 15. März wird in vielen bayerischen Städten und Gemeinden Veränderungen mit sich bringen. Aber auch Kontinuität. Nicht zuletzt deswegen, weil sich die Kommunen in den vergangenen Jahren tragfähige Netzwerke geschaffen haben. Gemeinde creativ hat mit dem Vorsitzenden des Bayerischen Städtetags, Kurt Gribl, und Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetags, gesprochen – über die Wohnungsnot in Ballungsräumen, den Umgang mit Rechtspopulismen, ihre Erwartungen an die Kommunalwahlen im März und warum Ehrenamtliche für das Funktionieren einer Kommune so unverzichtbar sind.
Gemeinde creativ: Der Bayerische Gemeindetag vertritt die Interessen von mehr als 2.000 Gemeinden im Freistaat. Die Kommunen haben ganz unterschiedliche Größen, Strukturen und Bedürfnisse. Ist es da manchmal schwierig, für alle gleichermaßen da zu sein?
Uwe Brandl: Es ist richtig, dass es für den Gemeindetag eine besondere Herausforderung darstellt, die unterschiedlichen Interessen der ganz Kleinen mit 500 Einwohnern – bis hin zu den ganz Großen mit 70.000 Einwohnern strukturiert zu vertreten. Bisher ist uns das hervorragend gelungen, wohl auch deshalb, weil alle Kollegen die Verbandspolitik unabhängig von ihrem eigenen politischen Stallgeruch als neutrale Wahrnehmung kommunaler Interessen verstehen und deshalb auch Kompromissentscheidungen akzeptieren. Wir sind eine gelebte Solidargemeinschaft und ich genieße es, keiner Parteiraison unterworfen zu sein.
Gerade in den Ballungsräumen wird bezahlbarer Wohnraum immer mehr ein Problem, der Siedlungsdruck auf die angrenzenden Regionen steigt – wer profitiert und wer verliert hier?
Das ist schwer zu sagen, wir haben in verschiedenen Bereichen Bayerns, aber auch in der gesamten Bundesrepublik sogenannte Entwicklungs-Hot-Spots, bei denen Bodenpreise und Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen bezahlt wurden, die mit einem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert nichts mehr zu tun haben. Insgesamt ist es natürlich erfreulich, dass Bayern wächst, ob das Wachstum noch ein gesundes ist, das ist in der Tat die Frage. Es wäre dann ein gesundes Wachstum, wenn es uns gelänge, die Menschen in der Fläche mit Lebensperspektiven zu versorgen, die sie motivieren, auch tatsächlich in allen Regionen Bayerns zu siedeln. Das würde den Siedlungsdruck minimieren, die Preise positiv korrigieren und insgesamt zu mehr gleichwertigen Lebens- und Arbeitsverhältnissen beitragen.
Wo liegen aktuell weitere Herausforderungen für die bayerischen Kommunen?
Da ist zum einen die permanente Nachjustierung mit Betreuungseinrichtungen. Der Bundesgesetzgeber hat entschieden, dass bis 2025 verbindlich alle Grundschulkinder eine verlässliche Ganztagesbetreuung genießen können sollen. Wie wir das – sowohl von der Infrastruktur als auch vom Personal her – stemmen sollen, sagt uns allerdings niemand. Zusätzliche Herausforderungen liegen auch darin begründet, dass wir als einer der größten Lebensmittelversorger, nämlich als Wasserversorger, ständig vor die Aufgabe gestellt sind, unsere Leitungsnetze zu ertüchtigen und gleichzeitig günstige Preise für die Verbraucher zu garantieren und zusätzlich einen permanenten Abwehrkampf gegen die Privatisierung der Wasserversorgung führen.
Welche Rolle spielen dabei die Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen?
Natürlich spielen gemeindliche und kirchliche Einrichtungen eine große Rolle. Gerade bei der Frage nach Wohnraum ist allerdings ein deutlich erhöhtes Engagement, auch der kirchlichen Einrichtungen, durchaus wünschenswert. Vielfach sind die Kirchen Eigentümer von Liegenschaften bzw. Grundstücken, die durchaus geeignet wären entweder zu Fondszwecken verwendet zu werden oder auf denen auch gebaut werden könnte. Es ist wichtig, dass diejenigen, die in kirchlichen Einrichtungen auf der soliden Wertebasis unserer demokratischen Grundordnung tätig sind, sich weiter ehrenamtlich engagieren, wenn es darum geht, diese Werte den Neuankömmlingen zu vermitteln.
Der Staat lebt vom Engagement seiner Bürger, wie auch die Gemeinden vom Engagement ihrer Bürger leben. Welche Bedeutung schreiben Sie dem ehrenamtlichen Engagement in Gemeinden zu?
Ohne Ehrenamt wäre unter anderem eine vernünftige Betreuung von Flüchtlingen und Bürgern mit Migrationshintergrund überhaupt nicht darstellbar. Zum einen stehen bezahlte Kräfte dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, zum andern wäre es auch nicht finanzierbar. Aber unabhängig von der ehrenamtlichen Tätigkeit im Bereich der Betreuung von Migranten lebt natürlich das Kommunalwesen insbesondere vom Engagement der Bürger. Nahezu jede Kommune hat eine große Anzahl von Vereinen, die ehrenamtlich organisiert sind. Das beginnt bei den Rettungsdiensten und endet letztendlich beim Heimatverein oder beim Wanderverein. Das macht das Zusammenleben aus und das Tätigsein für andere ist Teil unserer Sozialkultur, vielleicht auch Teil der Caritas, die uns ja doch in der langjährigen Geschichte unseres Staates geprägt und begleitet hat. Eine Gemeinde wird umso aktiver und lebendiger, je mehr Engagement der Bürger dazu führt, dass man sich wohlfühlt, dass man integriert ist, dass man teilhaben kann am vielfältigen Leben innerhalb der Gemeinde.
Nach den Kommunalwahlen im März werden sich die Gemeinderäte vielerorts völlig neu zusammensetzen, auch viele neue Bürgermeister werden in die Rathäuser einziehen, was erhoffen Sie sich von der Wahl?
Ich erhoffe mir von der Kommunalwahl eine gut belastbare Arbeitssituation. Leider ist das bayerische Wahlrecht ja nicht unbedingt auf Stabilität angelegt, sondern durch die Bevorzugung der Kleinstgruppen eher dazu geeignet, für Zersplitterung zu sorgen. Es ist vor allen Dingen für die Bürgermeister eine große Herausforderung, die unterschiedlichsten Strömungen in intensiven Diskussions- und Beratungsprozessen zu vernünftigen Entscheidungen zusammenzuführen. Die Entscheidungsfindung wird einerseits immer komplexer, auf der anderen Seite ist aber auch die Arbeitsgeschwindigkeit ein prägender Faktor für eine kommunale Entwicklung. Beides passt nicht unbedingt zusammen. Deshalb wünsche ich mir, dass sich insbesondere viele Bürger zur Verfügung stellen, denen es um das große Ganze und nicht nur um Einzelaspekte geht. Und selbstverständlich wünsche ich mir auch, dass es gelingt, motivierte Frauen zu finden, die bereit sind, sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen.
Wie gehen Sie mit rechtspopulistischen Strömungen und Parolen um bzw. welche Antworten haben Sie für Gemeinden, in denen das zu einem Problem wird?
Es geht nicht nur um rechtspopulistische Strömungen, sondern es geht um Strömungen, die dem gesellschaftlichen Kitt unseres Staates insgesamt nicht guttun. Eigenfokussierung und dezidiertes Vertreten von Partikularinteressen sind mittlerweile gang und gäbe geworden und das Denken in Überschriften ist eine Folge unserer neuen digitalen Gesellschaft. Das schadet den komplexen demokratischen Entscheidungsfindungsprozessen. Politik mit Überschriften zu machen findet sich rechts wie links in gleicher Weise, besonders gerne bemüht aktuell auch von den Grünen. Ich halte diese Entwicklungen für äußerst bedenklich, weil sie verhindern, dass das große Ganze im Fokus bleibt und vor allen Dingen nachhaltige Politik betrieben wird. Es stimmt mich äußerst besorgt, wenn es Rechtspopulisten gelingt, nicht durch reale und bürgerorientierte Politik zu punkten, sondern wenn es durch eben genau diese Politik der Überschriften gelingt, das Heer der Nichtwähler zu motivieren, mit dem Staat „abzurechnen“. Ein Gegenkonzept kann nur sein, dass man Dinge offenlegt, nichts verschweigt und sich vor allen Dingen mit den Problemlagen der Menschen tatsächlich zielorientiert auseinandersetzt. Dass es mittlerweile soziale Ungleichgewichte zwischen der einheimischen Bevölkerung und denen gibt, die bei uns Schutz suchen, ist eine nicht zu bestreitende Tatsache. Lösungen hat die Politik für dieses Minenfeld bisher zu wenige gefunden. Die Menschen müssen von sich aus die Überzeugung gewinnen, dass Politik für sie gemacht wird und der Politiker und die Politikerin sich bemühen, sich in den Dienst der Allgemeinheit zu stellen und die Probleme nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch tatsächlich zu lösen.
Die Gesellschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten immer mobiler geworden, nur wenige Menschen leben und arbeiten in der Region, in der sie aufgewachsen sind, viele müssen beruflich häufig umziehen – was bedeuten da noch Begriffe wie „Verwurzelung“ und „Heimat“?
Ich glaube, wer heimatlos ist, ist orientierungslos, wer ohne Wurzeln ist, wird dem Sturm des Lebens nicht lange standhalten. Deshalb ist es wichtig, eine klare Verankerung in der Familie und in der Region zu haben, wenn man für sich selbst und für andere etwas bewegen möchte. Natürlich ist die Gesellschaft mobiler und auch grenzenloser geworden, aber ohne das Gefühl angekommen zu sein, ohne das Gefühl verstanden zu sein, wird niemand, der im Berufsleben Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu tragen hat, in der Lage sein, mit dem täglichen Zwiespalt und den Herausforderungen des Lebens annährend zurechtzukommen.
Dr. Uwe Brandl (Jahrgang 1959) ist seit 1993 Erster Bürgermeister der Stadt Abensberg und seit 2002 auch Präsident des Bayerischen Gemeindetages. 2017 wurde er außerdem zum Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes gewählt. Seine langjährigen Erfahrungen aus allen Feldern der Kommunalpolitik gibt er in unterschiedlichen Publikationen weiter. Er schreibt auch Bücher für Kinder und Jugendliche.
Foto: Stadt Abensberg