Der graue Stein ist dezent, auch der Blumenschmuck eher zurückhaltend. Für Farbtupfer sorgen die bunten Zettelchen, die von Besuchern in die Trauerwand gesteckt werden.
Fotos: Jürgen Kaufmann
In der Offenen Kirche St. Klara in Nürnberg gibt es eine Trauerwand
Eine Wand für „Trauer und Klage“ ist fester Bestandteil der Nürnberger Klara-Kirche. Sie befindet sich rechts neben dem Chorraum und ist Teil eines Ensembles, zu dem der Altarblock in der Mitte des Chorraums sowie die Wand mit dem Tabernakel links davon gehören. Unterschiedlich große Löcher durchbohren die glatte, graue Wand, hinter der auf einer ähnlich grauen Stele ein kunstvoller Marien-Holzaltar aus dem 16. Jahrhundert hängt. Diese Löcher sind die meiste Zeit über mit verschiedenfarbigen Papier-Röllchen gefüllt. Sie ragen zum Teil aus dieser Wand heraus. Auf einer Einbuchtung in der Mitte der Trauerwand liegen entsprechende Zettel sowie ein Stift bereit: Besucher der Kirche können diese Zettel beschriften und zusammengerollt in die Trauerwand stecken.
Solch eine fest installierte Trauerwand dürfte nicht allzu häufig in einer Kirche vorkommen. Sie steht seit dem Jahr 2007 in St. Klara – ein Resultat der Generalsanierung der Kirche. Diese feste Trauerwand ist auch ein Beispiel dafür, wie die pastorale Arbeit Einfluss auf die Gestaltung eines Kirchenraumes nehmen kann. Wie aber kam es dazu?
Die Nürnberger Klara-Kirche ist seit 1996 Sitz der katholischen Cityseelsorge. Seit dieser Zeit nennt sie sich auch „Offene Kirche“. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist St. Klara keiner Gemeinde zugeordnet. Das bedeutet, dass sie von den typischen Gemeindestrukturen mit all ihren Gremien, aber auch den entsprechenden Aufgaben befreit ist. Zum anderen ist sie von der Grundausrichtung her zwar katholisch: Die Erzdiözese Bamberg trägt diese Einrichtung, der Jesuitenorden hat einen Pater für die Cityseelsorge abgestellt, der gemeinsam mit einem Pastoralreferenten inhaltlich und organisatorisch zuständig ist; dennoch richtet sich das Angebot von St. Klara ganz bewusst nicht nur an katholische Christen. Es ist von der Art her so offen gestaltet, dass es alle Menschen ansprechen soll, die einen spirituellen Raum suchen oder sich in Lebenszweifeln und Bruch-Situationen nach Hilfe sehnen.
DIE ANFÄNGE DER TRAUERARBEIT IN ST. KLARA
Einen nicht geringen Teil des Angebots und des Profils von St. Klara macht die Trauer-Seelsorge aus. Begonnen hat dabei alles mit einer sehr offenen, niederschwellig gestalteten, allgemeinen Trauerandacht an jedem letzten Freitag im Monat. Eine Ausnahme ist der Dezember: Da findet diese Trauerandacht einen Tag vor Heiligabend statt. Das war vor etwa zwölf Jahren. Nach längerer Überlegung ist die Idee für eine Trauerwand aufgekommen, die im Zentrum solch einer Andacht stehen sollte: Irgendein ritueller Vorgang sollte den trauernden Menschen geboten werden, in dem sie etwas „los werden“ konnten. Die Überlegung, stattdessen ein Buch hinzulegen, in das etwas eingetragen werden konnte, war kurzzeitig auch vorhanden. Allerdings missfiel der Gedanke, dass Unbeteiligte dies alles hätten lesen können.
Um diese „Ur-Trauerwand“ zu erstellen, mussten zahlreiche Backsteine aus einem Baumarkt angekarrt werden. Die Wand stand dann zunächst links vorne neben dem Chorraum. In ihrer Grobschlächtigkeit und Brüchigkeit passte sie durchaus zu der alten Klara-Kirche vor der Renovierung, in der an manchen Stellen bereits gehörig der Putz von der Wand bröckelte.
Die Trauerandachten standen allesamt unter einem bestimmten Thema. Sie waren inhaltlich und stilistisch geprägt durch kurze, meditative Gedanken, ruhige Gitarren-, Piano- oder Flötenmusik und eben jenem Ritual, in dessen Mittelpunkt die Trauerwand stand: Die Anwesenden wurden eingeladen, in einer stillen Phase über das nachzusinnen, was ihnen gerade besonders auf dem Herzen lastete. Auf einem Blatt Papier, das gemeinsam mit einem Stift vor ihnen am Platz lag, konnten sie ihre Gedanken festhalten, ebenso natürlich, wenn sie wollten, den Namen des betroffenen Menschen und einen Satz dazu. Danach wurden die Trauernden eingeladen, nach vorne zu kommen und das beschriftete Papier in die Trauerwand zu stecken sowie eine Kerze, die sie vorne neben der Wand erhielten, anzuzünden und auf die Trauerwand zu stellen. Ruhige Hintergrundmusik begleitete diesen Gang zur Trauerwand.
Dieser ganze Vorgang hatte etwas Sakramentales an sich. Man konnte es den Betroffenen regelrecht ansehen, wie wichtig es ihnen war, ihre Gedanken oder Worte an den verstorbenen Menschen abzulegen und mit einer Kerze zu beleuchten.
GEDANKEN GEHEN IM OSTERFEUER AUF

Unterschiedlich groß sind die Löcher in der Trauerwand in St. Klara. Zettel und Stift liegen bereit. Besucher können ihre Gedanken aufschreiben, zusammenrollen und in die Trauerwand stecken. Dahinter, der kunstvolle Marien-Holzaltar aus dem 16. Jahrhundert
Zur Einladung an die Trauerwand gehörte übrigens immer auch der Hinweis, was denn mit den Zetteln geschieht, wenn die Wand einmal gefüllt sein sollte: Diese beschrifteten Zettel werden gesammelt und dann, einmal im Jahr, dem Osterfeuer übergeben. Für die Anwesenden war diese Information enorm wichtig, wie zahlreiche Reaktionen belegten.
Im Laufe der Zeit kamen weitere Trauerandachten dazu: Aufgrund der Anfrage zweier Hebammen entschieden wir uns nur ein knappes Jahr später, eine Andacht für früh verwaiste Eltern anzubieten. Die Hebammen hatten betont, dass ein nicht geringer Teil jener Kinder, die sie mit auf die Welt bringen, kurz vor oder nach der Geburt sterben. Wir nannten diese Andacht „Herzenskinder-Andacht“ und veranstalteten sie an jedem ersten Donnerstag eines geraden Monats. Einige Jahre später strichen wir das „früh“ im Titel und richteten die Herzenskinder-Andacht an alle verwaisten Eltern. Eine zwei- bis dreimal pro Jahr stattfindende Andacht für Hinterbliebene nach Suizid („Du bist gegangen“), gemeinsam veranstaltet mit der Selbsthilfegruppe AGUS, ergänzte unser Trauerangebot weiter. Hinzu kamen dann noch Andachten für andere Zielgruppen: Gedenkfeiern für verstorbene Drogenkonsumenten sowie für Menschen, die einsam und vergessen oder auf der Straße sterben – jeweils einmal im Jahr. Bei all diesen Feierformen stand natürlich das Kerzen- und Zettel-Ritual an der Trauerwand im Mittelpunkt.
Vorläufiger Endpunkt der Angebotspalette ist zweimal im Jahr eine „Nacht der Trauer“: einmal in der Fastenzeit, ein anderes Mal im November um Allerheiligen herum. An diesen Nächten ist auch das Trauerinstitut der Nürnberger Hospizakademie beteiligt und eingebunden.
Nachdem die Klara-Kirche 2006 wegen des Umbaus und der Sanierung geschlossen wurde, stellte sich die Frage, ob in der völlig neuen Kirche eine alte Backstein-Trauerwand wieder ihren Platz finden könnte. Dies wurde rasch verworfen. Und so wurde eine dem neuen Kirchenraum angepasste Wand entworfen und gestaltet.
Und natürlich: Diese Trauerwand steht den trauernden Menschen nicht nur während all der genannten Feiern zur Verfügung, sondern auch zu allen anderen Zeiten des Tages. Und hier nun kommt ein dritter Grund hinzu, weswegen St. Klara sich „Offene Kirche“ nennt: Die Kirche ist von morgens um 8 bis nachts um 21 Uhr geöffnet. Viele Passanten nutzen diese lange Zeit, um einfach mal für ein paar Augenblicke in der stillen Kirche zu verweilen. Darunter eben auch eine ganze Menge an Menschen, die bewusst vor der Trauerwand sitzen, einen Zettel beschriften und anschließend in die Trauerwand stecken. Und manchmal zünden sie auch noch eine Kerze an, die sie im Vorraum der Kirche gefunden haben.