Wenn es um intergenerative Arbeit in Dülmen geht, machen Kirche und Kommune gemeinsame Sache. Mit dem Intergenerativen Zentrum ist derzeit ein Leuchtturmprojekt im Entstehen: Ein Haus, das die unterschiedlichen Generationen vernetzen will. Die einmalige Lage zwischen Rathaus und Kirche ist die räumliche Seite eines Miteinanders, das auch im Inneren so gelebt werden will. Neben Erwartungen und Synergien begegnen die Macher
Mittendrin, zwischen Rathaus und Kirche, wo sich alle Wege kreuzen, entsteht in Dülmen im Münsterland ein Intergeneratives Zentrum (IGZ). Kirche und Stadt kooperieren mit dem Ziel, ein Haus für generationsübergreifende Vernetzung zu sein. Weg von isolierten Jugend- oder Seniorengruppen, hin zu gemischten Angebotsformen, die unterschiedliche Altersstufen ansprechen. Jung und Alt sollen miteinander in Kontakt kommen und voneinander lernen. Nähe soll nicht nur inhaltlich entstehen, sie ist auch räumlich gegeben, denn Kirchplatz und Marktplatz liegen in Dülmen nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Das bisherige Areal befindet sich in Trägerschaft der katholischen Pfarrgemeinde St. Viktor, war bestückt mit kirchlichen Bedarfseinrichtungen wie der Familienbildungsstätte, einer Bücherei, dem Kindergarten St. Anna und dem Pfarrbüro. Baulich in die Jahre gekommen, hatte es seit langem Überlegungen gegeben, wie diese Immobilie funktionsfähig neu genutzt werden könne, schildert Markus Trautmann, Pfarrdechant von St. Viktor. Auf dem katholischen Gelände – und dem gleichzeitig historisch bedeutsamen Gründungshügel der Stadt – wird das spätere IGZ-Gebäude stehen. Ein Ort mit Tradition: über Jahrhunderte hinweg war hier der Ort für soziale Projekte. Mittels eines Gebäudedurchbruchs wird das Rathaus baulich angebunden, ein überdachter Innenhof dient als Treffpunkt. Hinter dem Rathaus wird ein ganzes Innenstadtquartier entstehen.
Ein Mitmachhaus soll es sein, niederschwellig sein Ansatz: Man geht eine Tasse Kaffee im IGZ-Bistro trinken, verabredet sich am Infopoint, trifft sich in einem Kurs, bringt sein Kind in die Kindertagesstätte. Einmal vor Ort, kann man gleich die Bücherei, das Pfarrbüro oder den Garten der Stille aufsuchen. Der Erstimpuls kam von Irmgard Neuß, Leiterin der Familienbildungsstätte Dülmen. Rasch bildete sich ein Arbeitskreis, es folgten Vorplanungen bis 2015. Dass sich Akteure bürgerschaftlichen Engagements, die so normalerweise nicht zusammenfinden, mit einer Einrichtung in Dülmen zusammentun, begründete die erfolgreiche Teilnahme an der „Regionale 2016“, einem Strukturförderprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen. Mit der Förderung waren auf einen Schlag andere Dimensionen möglich. Der Baustart erfolgte 2017, die Fertigstellung ist für Sommer 2019 geplant.

Cäcilia Scholten von der IGZ-Geschäftsleitung (Mitte), Christoph Noelke, Sozialdezernent der Stadt Dülmen (rechts) und Christian Rensing, Pastoralreferent der Pfarrgemeinde St. Viktor (links) sind federführend an der Realisierung des IGZ beteiligt.
Dem Wandel begegnen
Räumliche Nähe und Förderungsmöglichkeiten sind das eine. Das andere waren sich abzeichnende demografische Änderungen und die Frage, wie man diesen in Dülmen begegnen könnte. Eine lehrende und lernende Generation müsse es geben, als wichtige Wechselbeziehung. Das sei Neuß zufolge das Modell der Großfamilie, das noch gar nicht so lange verschwunden zu sein scheine, doch dessen Vorzüge heute klar fehlten. Neuß, die seit 2008 Kooperationspartner der Stadt Dülmen im Rahmen eines Mehrgenerationshauses ist, brachte den Anstoß, woraufhin sich Kirche und Stadt gemeinsam auf den Weg machten. Cäcilia Scholten, IGZ-Geschäftsleitung, spricht von noch relativ gut funktionierenden Familienstrukturen in Dülmen, gleichzeitig würde sich abzeichnen, dass die Älteren vor Ort blieben, während die Jüngeren die weite Welt eroberten. Es sei das große Dilemma unserer Gesellschaft, dass man Jugendhilfe, Kleinkinderbetreuung und Altenversorgung als Gruppen separiere. Es brauche ein Haus, in dem sich alle begegnen können. Sowohl baulich als auch konzeptionell müsse man offener denken – genau diese Ideen hätte Irmgard Neuß eingebracht. Das Prinzip liegt auf der Hand: Wenn man schon äußerlich neue Räume schafft, muss auch innen die entsprechende Philosophie einziehen. Das untermauert Scholten, die baulich und konzeptionell neue Wege fordert. Rahmenbedingungen müssten so gestaltet werden, dass möglichst viele Leute andocken können: elf Basis-Akteure sowie Organisationen von Stadt und Kirche werden im Haus mit ihrem Angebot präsent sein, ehren- und hauptamtlich. Intergenerative Arbeit wird auch in den verschiedenen Bildungs- und Begegnungsräumen, im Foyer und im Bistro stattfinden. Mit der Freiwilligenbörse und Beratungsleistungen der Dülmener Senioreninfo und dem VdK Sozialverband wird es weitere Angebote geben.
Dialog als Schlüssel zum Erfolg
„Das Haus wird nie fertig sein“, sagt Scholten, es müsse nach dem Bedarf vor Ort stets weiterentwickelt werden. Die katholische Pfarrgemeinde wird die Trägerschaft für das Haus übernehmen. Ihre Aufgabe sieht Scholten als Bistumsangestellte in der konzeptionellen Entwicklung, später in der Hausleitung. Sie ist Projektentwicklerin und Theologin, muss eine hohe Rollenflexibilität mitbringen. Als Herausforderung beschreibt sie die Notwendigkeit, viele „Häuptlinge“ in Bewegung zu bringen. Da brauche es Konfliktfähigkeit sowie die Gelassenheit zu wissen, dass Entwicklungen stattfinden. Herausforderungen sieht auch Neuß: „Die unterschiedlichen Institutionen zusammenzubringen, jeder hat seine eigene Geschichte und Haltung“. Auch inhaltlich müsse man die Akteure zusammenbinden. Christoph Noelke, Beigeordneter der Stadt Dülmen, sieht das ähnlich: Wenn Hauptamt auf Ehrenamt, Sachzwang auf religiöse Haltung und Verwaltung auf Theologie treffe, sei es ein normaler Vorgang, dass man diese teils völlig unterschiedlichen Zugänge zusammenführen müsse. Den Dialog beschreibt er als Schlüssel.

Drei Generationen auf einem Bild – auch das Intergenerative Zentrum in Dülmen will Menschen verschiedener Generationen ganz selbstverständlich zusammenbringen. Fotos: Stadt Dülmen
Scholten betont, dass auch Rückschläge dazugehörten, „immer wieder“ sogar, da die Interessen unterschiedlich gelagert sind, so sei es stets ein Ringen um die bestmöglichen Ergebnisse. Trautmann findet, dass es die Bürger in einer pluralen Gesellschaft aushalten müssten, dass es ein kirchliches und ein nicht kirchliches Angebot gebe. Das heiße für ihn, dass Kirche sich zurücknehmen müsse, und weiter: „Ich darf nicht in jedes Zimmer ein Altärchen reinstellen. Wir haben nicht mehr das Pfarrhaus, das nur uns gehört.“
Das IGZ-Angebot muss intergenerativ sein und sich in einem von vier definierten Wirkungszielen entfalten, etwa im „Von anderen lernen“ oder im „Glauben erfahren“, so Trautmann. Daneben gibt es IGZ-Handlungsziele, die konkrete Programme definieren, etwa kulturelle oder kulinarische Aktionen. „Es ist nicht das Haus für alles, aber ein Haus für alle“, sagt Trautmann. Kirche und Stadt begegnen sich in der Schnittmenge ihres Tuns, und nur da, wo es um Intergenerativität geht.
Mittendrin in Dülmen entsteht mit dem Intergenerative Zentrum ein Projekt, das nicht nur den Zeitgeist, sondern auch mitten in die Gesellschaft trifft. Jung und Alt finden im Alltag und im Zentrum auf natürliche Weise zusammen. Eine Möglichkeit von Großfamilie im 21. Jahrhundert. Die Kirche bleibt im Ort, das Rathaus schlägt eine Brücke hinüber und dazwischen entsteht nicht nur ein ganzes Quartier, sondern auch eine Brücke zwischen den und für die Generationen.
Foto: Büro Dreibund Architekturen