Das Morgengeläut kommt gegen den Krach des Standmixers nicht an. Angetrieben von einem 3,5 PS-Motor arbeiten sich Messer lautstark durch Chicoreeblätter, Babyspinat, Limetten und Algen. Die Parkettböden in den besseren Wohnvierteln erbeben in der Frühe, wenn all die grünen Smoothies frisch püriert werden. Ein tiefer Schluck – und schon atmet die Leber auf, hüpft der Darm vor Freude, und die Bitterstoffe zaubern der Bauchspeicheldrüse ein Lächeln ins Gesicht. Mit solcher Prosa beschreiben Fitnesszeitschriften und Detox-Blogs die Wunderwirkung der zähflüssigen Getränke. Die liturgische Farbe der Fastenzeit ist lila, die Bibel berichtet von der Versuchung durch den Satan in der Wüste, das säkulare Pendant trägt green und trotzt dem Teufelszeug namens Nahrung durch morgendliche Drinks. Der Fromme kaut seine Sünden durch, der Fitness-Fromme schlürft Obst, Gemüse und Salate aus der Schnabeltasse.
Entschlackt wird, jedenfalls im Mixer-Milieu, ganzjährig. Das Gerät bestellt selbständig beim Lieferservice Spinat, Limetten und Algen nach, wenn der Vorrat aufgebraucht ist. Der Mixer ist mit dem Zentralrechner der Krankenkasse verbunden, wer im Monat auf 30 Frohe-Leber-Bitter-Smoothies kommt, reduziert seinen Krankenkassen-Beitrag um sieben Prozent. Die Kosten für die Beschaffung besonders seltener Algenarten können von der Steuer abgesetzt werden. Staat und Sozialsystem haben ein Interesse am dauer-detoxenden Bürger. Baby-Spinat ist auch ein politisches Statement: Wer so Zartes zu sich nimmt, kann kein Meinungsklimavergifter sein.
Säkulares Fasten ist vernünftig, spart Geld und schont das politische Klima. Chicoree und Spinat lösen keinen Spiritualitätsrausch aus, keine Gotteserfahrung, keinen mystischen Flash, mögen die Messer im Mixer noch so wild tanzen. Eigentlich müssten die ernährungsbewussten Ganzjahresdetoxer sich wenigstens in der Fastenzeit einen Ausnahmezustand gönnen: Wenn nicht gerade eine allabendliche Völlerei, so doch wenigstens einen klitzekleinen Schuss Sahne ins fettfreie Frühmorgens-Gemisch. Ein bisschen Sünde, verquirlt mit dem Guten, Grünen, Giftfreien.
Vor ein paar Jahren stand im Guardian eine Geschichte über die „Detox-Lüge“. Ein Mediziner behauptete: „Wenn sich Gifte in unserem Körper sammeln würden, die wir nicht ausscheiden könnten, würden wir sterben.“ Das Entgiften erledige der Organismus ganz allein. Dafür brauche es keinen Standmixer und auch keine Fastenkur im Kloster.
Ich weiß nicht warum, aber ich habe dieses Statement aufgesogen wie einen Schnabeltassensmoothi. Zwischen Aschermittwoch und Ostern höre ich mir seitdem den säkularen und spirituellen Entgiftungsjubel aufmerksam an, und verkneife mir jede Kritik. Und sage kein giftiges Wort – das ist mein Ausnahmezustand. Fasten heißt, geduldig die Schlacken der Anderen zu ertragen.
Foto: Deutschlandradio/Bettina Fürst-Fastré