Bevor die Enzyklika Laudato si‘ erschien, witzelte der Verfasser, die Glaubenskongregation müsse noch einmal über den Text schauen, damit er keine Dummheiten schreibe. Diese Ehre wird nur Autoren zuteil, die man in der Kurie für wild und gefährlich hält. Franziskus stimmt in Laudato si‘ einen wilden Sonnengesang an. Alles hängt mit allem zusammen: das Kühlwasser im Zweitwagen mit dem Meeresspiegel, der kleinste Singvogel mit dem großen Ganzen, die Rettung von Banken mit der Nicht-Rettung von Flüchtlingen. Das „gemeinsame Haus“, wie er die Welt nennt, ist einsturzgefährdet. Nur wenige leben komfortabel, andere hausen im Keller und auch das hängt miteinander zusammen.
Das katholische Oberhaupt legt sich mit Großkonzernen und Rechtspopulisten an. Prompt behaupten Amerikas katholische Klimawandelleugner, der Papst sei zwar eine Lehrautorität in Sachen Sexualität, aber keine in Sachen Kohlendioxid.
Reich und rechts sind immer die anderen. Aber Franziskus hat es auch auf die nicht-rechten, nicht superreichen Bürger im Eigenheim abgesehen: Solarzellen aufs Dach, Öko-Möhrchen in den Topf, den inneren Schweinehund vegan füttern – das ist ihm zu wenig für das „gemeinsame Haus“. Etwas Bio hier, etwas erneuerbare Energie dort – in Laudato si‘ duldet der Grüne im weißen Gewand kein bisschen Bisschen.
Franziskus hat 2015 keine Umwelt-, sondern eine Sozialenzyklika vorgelegt. Er beschreibt ein ungerechtes, menschenfeindliches und gottvergessenes System. „Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht“, lautet Lehrsatz 33. Wer nicht mehr lebt, kann Gott nicht mehr loben. So einfach ist das und so radikal vom Existenzrecht jedes einzelnen Geschöpfes her gedacht.
„Ich bin ein Sünder, den Gott angeschaut hat“, erklärte Franziskus 2013 in seinem ersten großen Interview. Der Mensch sei nicht für die Morallehre da, sondern die Lehre für den Menschen, stellte er am Ende der Familiensynode 2015 klar. Auch hier hängt alles mit allem zusammen: Klimaschutz mit Kirchenpolitik, Energiesparlampe mit Ehesakrament. Kein System soll Menschen unter sich begraben dürfen, sei es das Lehrgebäude der katholischen Kirche oder die Kathedrale eines Industriegiganten.
Laudato si‘ erinnert an Bob Dylan: The Times-they-are-a-changing. Forever young. Der Text lässt einen frösteln, der Sound wärmt. Sozialkritik trifft Lagerfeuerromantik, ein älterer Herr lässt den jugendlichen Rebellen raus.
Seit dem Erscheinen von Laudato si‘ sind mehr als drei Jahre vergangen. Das Werk wird eines Tages in die Reihe der großen Sozialenzykliken gestellt werden, gleichauf mit Rerum Novarum von 1891, der anderen berühmten päpstlichen Reaktion auf einen Mega-Trend der Ungerechtigkeit. Man wird sie lesen mit leisem Hätten-wir-doch-auf-ihn-gehört-Bedauern. Die radikalen Gedanken werden ihren Verfasser überdauern. Leider frisst das System Kirche gerade seinen Franziskus.
Foto: Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré