Heute sind Pfarrgemeinderäte aus den Gemeinden nicht mehr wegzudenken. Sie gestalten das Leben in den Pfarrgemeinden aktiv mit und wirken in die Gesellschaft hinein. Zuwendung für die Schwachen, Flüchtlingshilfe oder das Pfarrfest – ohne die Ehrenamtlichen würde vieles nicht funktionieren.
Vor 50 Jahren die Zeichen der Zeit erkannt
Die Pfarrgemeinderäte entstanden vor 50 Jahren nicht im luftleeren Raum. In Deutschland hatte sich bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein Verbandskatholizismus etabliert. Ab den 1950 fasste die „Katholische Aktion“ als Laienbewegung Fuß, es bildeten sich erste Pfarrausschüsse. Noch heute sind unsere Form und Struktur des katholischen Laienapostolats weltweit einmalig.
Von Alois Baumgartner, ehemaliger Vorsitzender des Diözesanrates München und Freising
Vor fünfzig Jahren – gut zwei Jahre nach dem feierlichen Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1965 – wurden zum ersten Mal in Deutschland Pfarrgemeinderäte gewählt. Ihnen folgten die Dekanatsräte und die Diözesanräte. Schließlich konstituierten sich das Landeskomitee der Katholiken in Bayern und, auch in neuer Zusammensetzung, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).
Das Konzil hatte die Sendung – das Apostolat – der Laien in bisher nicht gekannter Weise betont. Die Gläubigen haben demnach einen nicht geringen Anteil an der Sendung der Kirche. Diese Sendung werde Ihnen nicht von den Bischöfen und Priestern übertragen, vielmehr seien sie damit kraft Taufe und Firmung von Christus selbst betraut. Inhaltlich ist diese Sendung ganz spezifisch auf den Aufbau einer gerechten gesellschaftlichen Ordnung gerichtet, angefangen bei der Institution der Familie, über die Kultur und Ordnung nationaler Gesellschaften bis hin zu internationalen Ordnungsstrukturen. Aber das bedeutet nicht, dass das Laienapostolat nicht auch auf den Aufbau der kirchlichen Gemeinschaft und auf ihre unmittelbare Sendung durch Sakrament, Verkündigung und Diakonie bezogen wäre.
Dies alles ist schon Thema in der Konstitution über die Kirche Lumen gentium, verabschiedet am 21. November 1964. Das konziliare Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, ein Jahr später in der letzten Konzilsperiode verabschiedet, geht nun ins Detail. Vor allem geht es ihm darum, dass die Sendung der Laien sinnvoller Weise auch gemeinschaftliche Formen annehmen kann und soll. Die von Land zu Land unterschiedliche Traditionen, die Vielfalt der Zielsetzungen und die unterschiedliche Nähe zur Hierarchie beziehungsweise die Eigenständigkeit bestehender Laienvereinigungen erlaubten es den Konzilsvätern nicht, weltweit einheitliche und zugleich gültige Strukturen für die Laienarbeit vorzugeben. Aber immerhin: das Konzil empfiehlt in Diözesen und Pfarreien, und ähnlich auf zwischenpfarrlicher, aber auch auf nationaler und internationaler Ebene Beratungsgremien einzurichten, in denen die Laien mit Priestern und Ordensleuten zusammenarbeiten sollten, um die gemeinsame Sendung der Kirche in seiner ganzen Breite zu stärken.
In dieser Situation und mit diesen Vorgaben hat sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken darangemacht, für die Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland Mustersatzungen zu entwerfen. Dabei war zu berücksichtigen, dass sich in Deutschland ab Mitte des 19. Jahrhunderts bereits ein Verbandskatholizismus etabliert hatte, den man zurecht als die „Selbstorganisation des deutschen Katholizismus“ bezeichnet hat, und der in allen Diözesen und in vielen Pfarreien seine Substrukturen geschaffen hat. Nirgendwo sonst kann man auf eine ähnliche Geschichte des organisierten Laienchristentums verweisen. Das Zentralkomitee hatte ferner zu berücksichtigen, dass gerade in den bayerischen Diözesen die von Papst Pius XI. propagierte „Katholische Aktion“ als Laienbewegung Fuß gefasst hatte. So konstituierte sich 1951 der Landesausschuss der Katholischen Aktion als Summe der Diözesanausschüsse und der katholischen Landesverbände.
In nicht wenigen Pfarreien bildeten sich Pfarrausschüsse. Die Katholische Aktion entsprang der Einsicht, dass die Zeitumstände die Einbeziehung der Laien verlangte, um der Sendung der Kirche gerecht zu werden und dass es der Bündelung der verschiedenen katholischen Initiativen bedurfte, um dem gesellschaftlichen Wirken der Kirche Stoßkraft zu verleihen. Fazit: Die Gründung der Pfarrgemeinderäte (und der anderen Räte) erfolgte nicht im luftleeren Raum. Dass in den Satzungen die Koordinierungsaufgabe der Gremien eine so große Rolle spielt, ist nur auf diesem typisch deutschen Hintergrund einsichtig zu machen. Und wer verstehen will, dass es außerhalb Deutschlands kaum ein Land gibt, in dem sich der Laienkatholizismus in ähnlicher Weise organisiert und formiert hat, nicht in Europa und noch weniger im außereuropäischen Raum, darf den frühen Sonderweg der deutschen Katholiken, der durch Revolution, Säkularisation und Minderheitenstatus im Deutschen Reich nach 1870 vorgezeichnet war, nicht außer Acht lassen.
Blickt man heute nach 50 Jahren und nach mindestens 12 Amtsperioden von Pfarrgemeinderäten zurück, so darf man ohne jeden Zweifel von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Kardinal Joseph Ratzinger, damals noch Präfekt der Glaubenskongregation, der 1970 zusammen mit dem Politologen Hans Maier eine kritische Schrift über „Demokratie in der Kirche“ verfasst hatte, schrieb 30 Jahre später in einer Art Revue und Neuauflage der Schrift, die Pfarrgemeinderäte seien aus dem heutigen Leben unserer Pfarreien nicht mehr wegzudenken.
Darüber dürfen freilich die Widerstände nicht vergessen werden, die es für die Pioniere der ersten Generation der Pfarrgemeinderäte zu überwinden galt. Es war nicht nur die Forderung der 68er Generation, alle gesellschaftlichen Gruppen – Familie, Schule, Universität, Kirche – müssten einen Demokratisierungsprozess durchlaufen. Sie war durchaus geeignet, das Laienapostolat als theologisch begründeter Anspruch auf Teilhabe und Mitverantwortung in der Kirche in Misskredit zu bringen und als Variante eines in die Kirche eingedrungenen Zeitgeistes erscheinen zu lassen. Eine nicht zu unterschätzende Gegnerschaft erwuchs den kirchlichen Räten bei Vertretern des kirchlichen Rechts. Die in München herausgegebene Zeitschrift „Archiv für katholisches Kirchenrecht“ erhob in diesen Gründungsjahren der Räte den Vorwurf, die Neuordnung des deutschen Laienkatholizismus im Gefolge des Vatikanischen Konzils widerspreche dem tradierten und wohlbegründeten Selbstverständnis der Kirche. Es werde hier neben der hierarchischen Säule der Kirche konkurrierend eine Laiensäule errichtet. Dieses Verdikt blieb als Hypothek der Laienarbeit im kirchlichen Raum stehen und ist eigentlich zu keiner Zeit angemessen ausdiskutiert worden. Die Einrichtung des Pfarrgemeinderats ist im Wesentlichen von solchen grundsätzlichen Einwänden verschont geblieben. Sie schlummern freilich nur und tauchen gelegentlich mit der Fragestellung auf, ob nicht doch der Pfarrer der Vorsitzende des Pfarrgemeinderates zu sein habe. Die alte dogmatische Kritik feiert im Übrigen auch fröhliche Urstände auf der Bundesebene, zumal wenn Konflikte zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee virulent werden.
Für die Kandidaten, die sich in diesem Jahr für die Pfarrgemeinderatswahlen zur Verfügung gestellt haben, werden solche Anfechtungen keine Rolle spielen. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. Der Stellenwert des Pfarrgemeinderats im Gemeindeleben ist gestiegen. Die Gläubigen wissen um den Wert des ehrenamtlichen Engagements. Konflikte mit den hauptamtlichen Seelsorgern bleiben die Ausnahme. Die Mehrheit der Gläubigen schätzt die von ihr gewählte Repräsentanz und würde sich heute das Wort des späteren Papstes Benedikt XVI. zu eigen machen: Der Pfarrgemeinderat ist aus dem kirchlichen Leben unserer Gemeinden nicht mehr wegzudenken.
Fotos: KNA