Es wird viel gesprochen über Barrierefreiheit und Inklusion. David Heun ist keiner, der nur redet. Er ist einer, der macht. Er leitet die Projektstelle „Inklusion“ im Bistum Limburg. Dort sucht er jeden Tag nach praktischen Möglichkeiten, wie Inklusion umgesetzt werden kann – im Ordinariat, in kirchlichen Einrichtungen und Pfarrgemeinden. Im Interview mit Gemeinde creativ spricht er dann doch: über seine Eindrücke und Erfahrungen, über Barrieren in den Köpfen und das „Entwicklungsland“ Deutschland.
Gemeinde creativ: Herr Heun, im Bistum Limburg gibt es seit 2017 eine Projektstelle „Inklusion“. An welchen Themen wird hier gearbeitet?
David Heun: Die Projektstelle wurde aufgrund des Aktionsplans „Zum Handeln gerufen!“ initiiert, der 2015 im Bistum Limburg verabschiedet wurde. Hier geht es um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im kirchlichen Leben. Unsere Projektstelle begleitet, initiiert und evaluiert exemplarisch Projekte im Kontext „Inklusion und Kirche“.
Daneben gibt es im Bistum auch ganz klassisch die Behindertenseelsorge und auch einen Inklusionsrat – was unterscheidet die drei Bereiche?
Das eine ist die Seelsorge für Menschen mit Behinderung, da geht es um pastorale Fragen. Der Inklusionsrat ist ein politisches Gremium mit Vertretern aus Ordinariat und Caritasverband, das ein Auge darauf hat, wie und vor allem dass Inklusion im Bistum Limburg umgesetzt wird. Und dann gibt es die „Projektstelle Inklusion“. Wir gehen ganz praktisch an das Thema ran.
Vernetzung ist eines der Ziele, wen will man hier vernetzen und wie soll es gelingen?
Natürlich wollen wir jeden mit jedem vernetzen. Primär geht es darum, Pfarrgemeinden zu vernetzen, mit anderen Pfarreien, mit Verbänden und Institutionen, natürlich auch mit Einrichtungen für Menschen mit Behinderung oder Stellen innerhalb des Ordinariats. Inklusion lebt von Begegnung. Sie funktioniert nicht, wenn man alleine im Büro sitzt.
Arbeiten Sie auch mit behinderten Menschen zusammen?
Primäres Ziel der „Projektstelle Inklusion“ ist die Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung, das können wir nur gemeinsam erreichen. Nehmen wir als Beispiel einen barrierefreien Weg: den kann man nach Vorschriften und Richtlinien rollstuhlgerecht anlegen. Wenn ich mir aber die Meinung eines Rollstuhlfahrers dazu hole, bekomme ich noch einmal neue Impulse und vielleicht eine andere Perspektive, nämlich die aus Praxis und Alltag.
Welche Projekte wurden seit 2017 bereits umgesetzt?
Die „Projektstelle Inklusion“ ist auf drei Jahre ausgelegt. Im ersten Jahr ging es primär um eine Sensibilisierung für das Thema. Konkret haben wir das Projekt „Inklusionskiste“ umgesetzt. Das sind Boxen, die viele unterschiedliche Materialien und Methoden beinhalten, damit Pfarrgemeinden, Verbände und Institutionen nicht nur über das Thema „Inklusion“ reden, sondern ganz praktisch dran gehen können. Zudem gibt es eine Wanderausstellung mit Karikaturen zum Umgang mit Menschen mit Behinderung. Oft sind es Ängste im Umgang mit Menschen mit Behinderung, die Inklusion verhindern. Diese Ängste greifen wir in der Ausstellung teils ironisch und humorvoll auf. In einem Jugendverband habe ich außerdem eine Gruppenstunde mitgestaltet. Und es gab in Frankfurt einen Aktionstag: wir sind mit einem Rollstuhl-Parcours auf die Straße gegangen und haben auf das Thema „Menschen mit Behinderung“ in der Kirche, aber auch im Sozialraum hingewiesen.
Gibt es schon Projektideen für die Zukunft?
Jede Menge. Motto der Kampagne des Kindesmissionswerks „Die Sternsinger“ ist in diesem Jahr „Kinder mit Beeinträchtigungen“. Das haben wir gemeinsam mit dem BDKJ Limburg bei einem großen Sternsinger-Tag aufgegriffen. Mehr als 1.500 Jugendliche haben wir da mit dem Thema in Kontakt gebracht. Wir arbeiten zudem mit der hessischen Jakobus-Gesellschaft, einer Pilgergruppe in Frankfurt, daran, einen Pilgerweg in Frankfurt komplett barrierefrei zu bauen – für Menschen mit Gehbeeinträchtigung, mit Sehbeeinträchtigung, Hörbeeinträchtigung und Lernbeeinträchtigung. Dazu wird es auch einen Pilgerführer in Leichter Sprache geben. Im Diözesanmuseum werden Informationen und Objektbeschreibungen ebenfalls in Leichte Sprache übertragen, zudem wollen wir hier einzelne Objekte auch als 3D-Druck-Modelle ausstellen, damit Blinde sie ertasten können, aber auch für Kinder ist es natürlich spannender, wenn man etwas befühlen kann, als wenn es nur hinter einer Glasscheibe zu sehen ist.
In welchen Bereichen können Pfarreien hier ganz einfach selbst aktiv werden und haben Sie Materialien für die Arbeit vor Ort verfügbar?
Meine Aufgabe ist es, Angebote zu machen. Das Wichtige ist: sich das Thema bewusst zu machen und einfach anzufangen. Genau dafür sind unsere „Inklusionskisten“ gedacht. Die geben praktische Materialien an die Hand, zum Beispiel Gottesdienst-Modelle in einer einfachen Sprache, das Vater Unser in Gebärdensprache, Ideen für einen Stand am Pfarrfest mit Blindenstöcken, Augenbinden und Sehsimulationsbrillen. Das Thema ist aber auch für Kirchenverwaltungen wichtig. Eine Richtlinie schreibt vor, dass ab 20 Mitarbeitern fünf Prozent Menschen mit Behinderung eingestellt werden müssen. Durch die Zusammenlegung zu größeren Pastoralräumen trifft das immer öfter auch Pfarreien. Hier beraten und informieren wir, auch was mögliche Fördergelder anbelangt. Das Thema „Inklusion“ darf nicht am Geld scheitern.
Haben Sie den Eindruck, dass das Thema „Inklusion“ in den Pfarrgemeinden angekommen ist?
Es passiert schon viel Gutes, aber das Thema ist noch nicht final angekommen. Generell ist Deutschland noch ein „Entwicklungsland“ beim Thema Inklusion. Wir sind hier noch lange nicht am Ziel, vielerorts sogar erst ganz am Anfang. Längst sind nicht alle Kirchen, Pfarrheime und andere „Kirchorte“ barrierefrei. Wir arbeiten gerade daran, dass sich das ändert. Die Barrierefreiheit ist die Grundlage, dann erst können wir über echte Inklusion reden.
Wo gibt es Ihrer Ansicht nach momentan noch die größten „Baustellen“ in Sachen Barrierefreiheit und Inklusion?
Es gibt noch immer viele Barrieren „in den Köpfen“. Es ist eine Frage der Bewusstseinsbildung, dass man versteht, dass etwas nicht nur für den Rollstuhlfahrer zum Beispiel gemacht wird, sondern dass viele in der Gesellschaft – die Seniorin mit dem Rollator, der Familienvater mit dem Kinderwagen, das Kind mit dem Gipsbein – und selbst ich davon profitieren können. Das klassische Beispiel, die Rampe vor der Kirche: Die baue ich nicht nur für den Rollstuhlfahrer, sondern auch für den Chorleiter, der so viel einfacher sein Klavier über die Stufen bekommt.
In dieser Ausgabe von Gemeinde creativ geht es speziell um „Leichte Sprache“. Was tut sich im Bistum Limburg in diesem Bereich?
Das Thema ist bei uns natürlich auch verstärkt im Blick. Der Hirtenbrief wird neuerdings immer in Leichte Sprache übersetzt. Da freuen sich übrigens auch die Muttersprachlichen Gemeinden sehr darüber. Immer wieder werden auch einzelne Dokumente in Leichte Sprache übertragen, es gibt schon Bildungsangebote, nicht nur über, sondern in Leichter Sprache. In diesem Kontext sollten wir als Kirche unsere Sprache generell einmal auf den Prüfstand stellen: Verstehen die Menschen eigentlich noch, was da jeden Sonntag vorgetragen wird? Erreicht die Botschaft des Evangeliums sie überhaupt noch? Damit müssen wir uns auseinandersetzen.
Das Interview führte Alexandra Hofstätter
Zur Person
David Heun (Jahrgang 1986) ist Referent an der Projektstelle „Inklusion“ im Bistum Limburg. Er ist Ingenieur und hat sich während seines Studiums intensiv mit barrierefreien Systemen beschäftigt. David Heun kommt aus der katholischen Jugendverbandsarbeit. Er war von 2012 bis 2018 ehrenamtlicher Diözesanvorsitzender der DPSG im Diözesanverband Limburg. Die Projektstelle „Inklusion“ im Bistum Limburg setzt sich mit ganz praktischen Umsetzungsmöglichkeiten von Inklusion und Barrierefreiheit auseinander. Gerade auch die Pfarrgemeinden können und sollen von David Heuns Arbeit profitieren und das Thema verstärkt in den Blick nehmen.
Fotos: Privat (Porträt) und Projektstelle „Inklusion“ im Bistum Limburg