Ein neutestamentlicher Impuls
Fasten ist in. Die Diätindustrie boomt. Überall werden Kurse für Heilfasten angeboten. Wie wichtig gute Ernährung ist, hat sich herumgesprochen. Bewusst auf Fleisch und Alkohol zu verzichten, von Nikotin und Drogen ganz zu schweigen, tut Leib und Seele gut. Auch der Umwelt und dem Klima kommt es zugute.
Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen die Fastfood-Tempel, die fette Gewinne abwerfen, und die Statistiken, nach denen erschreckend viele junge Menschen früh mit dem Rauchen und Trinken beginnen, mal mehr, mal etwas weniger. Auf der anderen Seite stehen aber auch Magersucht, die viele junge Frauen quält, und Diabetes, eine Volkskrankheit, die viel mit der Ernährung zu tun haben kann. Auf der anderen Seite steht nicht zuletzt der Hunger in der Welt, der vor allem in der südlichen Hemisphäre eine Geißel der Menschheit ist, ein Indikator globaler Ungerechtigkeit und ein Schrei nach Brot, nach Wasser, nach Leben.
Gelingt es, das rechte Maß zu finden? Zwischen Genuss und Verzicht? Zwischen Essen, Trinken und Fasten? Das Christentum hat sich aus der Debatte weitgehend abgemeldet. Die kirchlichen Fast- und Abstinenztage sind out. Wer verzichtet freitags noch auf Fleisch und Wurst? Selbst in katholischen Bildungshäusern wird regelmäßig eine Schlachtplatte ins Büffet gestellt. Wenn Religion beim Fasten eine Rolle spielt, dann eher durch den Islam. Er kennt nicht nur, ähnlich wie das Judentum, die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Speisen, sondern auch einen ganzen Fastenmonat, bei dem zwischen Sonnaufgang und -untergang nichts gegessen und getrunken werden soll.
Dass sich die Kirche aus der Debatte um das Fasten abgemeldet hat, ist ein Verlust. Denn von Jesus an ist das Fasten wie das Essen und das Trinken ein großes Thema, das wiederentdeckt zu werden verdient.
Es gibt keine unreinen Speisen
Von Jesus wird ein klares Statement überliefert, das eine religiöse Revolution eingeleitet hat: „Nichts, was außerhalb des Menschen ist und in ihn hineinkommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Menschen herauskommt, heißt: aus seinem Herzen, das macht ihn unrein“ (Mk 7,16). Der Evangelist Markus kommentiert lakonisch: „… womit er alle Speisen für rein erklärte“ (Mt 7,19). Die Unterscheidung zwischen Rein und Unrein ist tief in der Religionsgeschichte verwurzelt. Reinheit und Unreinheit sind weder hygienische noch ethische, sondern kultische Kategorien. Unrein ist, was ausgeschieden wird, rein ist, was zum Menschen passt und gottgefällig ist. Unreine Tiere sind, auch im Alten Testament, für den Kult nicht tauglich und deshalb für den Verzehr nicht geeignet.
Diese Unterscheidung wird im Christentum mit Berufung auf Jesus aufgehoben. Er war weder ein Asket noch ein Vegetarier oder gar ein Veganer. Er hat Fleisch gegessen und Wein getrunken. Er wurde sogar als „Fresser und Säufer“ (Mt 11,19; Lk 7,34) diffamiert. Aber er hat den Begriff der Reinheit und Unreinheit neu geprägt: Entscheidend ist, was sich im Herzen eines Menschen abspielt. Essen und Trinken ist deshalb ebenso wenig wie Fasten eine Sache von Tabus, sondern von freien Entscheidungen: ethischen wie religiösen. Es ist ein Kennzeichen des christlichen Glaubens, Reinheit und Unreinheit nicht in Tieren oder Dingen, sondern im Menschen selbst zu suchen.
Es gibt heuchlerisches Fasten
Es gibt die Freiheit, zu essen und zu trinken, was schmeckt, aber auch die Verantwortung, nur das zu essen, für das ehrlichen Herzens ein Dankgebet gesprochen werden kann. Gerade deshalb ist das Fasten wichtig. Es muss freiwillig sein, bewusst und verantwortungsvoll. Hungerkünstler wären Karikaturen der Nachfolge Jesu.
Die Bergpredigt warnt davor, das Fasten zum Zweck der Selbstdarstellung zu üben (Mt 6,16 18). Die Demonstration der eigenen Frömmigkeit vor Gott und den anderen Menschen ist pure Heuchelei. Wie die Unterstützung der Armen oder das öffentliche Beten reine Show sein kann, so auch das Fasten. Heute lässt sich diese Warnung auch auf die politische Diskussion übertragen: Wer die eigene Nachhaltigkeit durch weniger Autofahren, weniger Konsum, weniger Energieverbrauch postet, um vor dem Wahlvolk gut dazustehen, ist der Heuchelei verfallen, so sehr auch auf das gute Beispiel verwiesen werden mag, dem andere bitte nach Möglichkeit folgen sollen.
Das alttestamentliche Buch Esther schildert, wie in höchster Gefahr, vor einem brutalen Pogrom, alle Juden in Sack und Asche gehen, um Gott zu bitten sie zu erhören – was, der taffen Esther sei Dank, glücklicherweise eintritt (Est 4). Ein solches heiliges Fasten ist tiefer Ernst, ein starker Ausdruck des Glaubens.
Genau deshalb bedarf es der kritischen Diagnose. Wie zynisch wird es, wenn ein heiliger Verzicht geheuchelt wird! Heuchelei ist nicht erst, öffentlich Wasser zu predigen und heimlich Wein zu trinken, wie Heinrich Heine gespottet hat. Heuchelei ist auch, ein öffentliches Bedürfnis nach Askese zu befriedigen, nicht aber Gott die Ehre zu geben und die Armut zu bekämpfen. Die Propheten sind wachsam: „Ist das ein Fasten, wie ich es wünsche, … wenn man den Kopf hängen lässt wie eine Binse, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt?“, fragt Jesaja, und fährt fort: „Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen?“ (Jes 58,5-6); es folgten weitere Werke der Barmherzigkeit, darunter der Kampf gegen den Hunger.
Auch hier liegt die politische Brisanz nicht fern: Trauer- und Gedenktage, die zur Routine erstarrt sind, ein Buß- und Bettag, der abgeschafft ist, eine Fastenzeit, die im Konsumrausch taumelt – wo bleibt der biblische Ansatz, zu verzichten, damit andere etwas davon haben? Millionen guter Beispiele gibt es, vor allem in den Familien und im Ehrenamt – gesprochen wird darüber wenig.
Es gibt ein Fasten mit Jesus
Jesus schöpft aus der Quelle der Prophetie und der Weisheit. Er weiß, dass alles seine Zeit hat: das Feiern und das Fasten. So bescheidet er die Kritiker seiner Jünger: „Können etwa die Hochzeitsgäste fasten, wenn der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, dass der Bräutigam von ihnen gerissen wird, und dann werden sie fasten, an jenem Tag“ (Mk 2,19f.). Es ist eine alte, tief religiöse Tradition: zu fasten, um der Trauer Ausdruck zu geben. Aber wer trauert, weil Jesus gestorben ist, kann es im Glauben an seine Auferstehung. Deshalb passt die Mahnung aus der Bergpredigt: „Wenn du fastest, salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, so dass du nicht den Menschen zu fasten scheinst, sondern vor deinem Vater im Himmel“ (Mt 6,17-18).
Jesus hat sich auf seine Sendung vorbereitet, indem er vierzig Tage in der Wüste gefastet hat. Dort ist er in Versuchung geführt worden, hat aber dem Bösen widerstanden und Kräfte gesammelt, sich auf den Weg zu machen. In dieser Spur läuft das christliche Fasten. Niemand braucht sich schlecht zu fühlen, weil maßvolles Fasten gut tut. Im Gegenteil. Wer fasten kann, wie Jesus gefastet hat, kann sich freuen. Fasten ist Beten mit dem Körper – nach dem Motto: Weniger ist mehr. Fasten ist Solidarität mit den Armen – erfahren am eigenen Leib. Solches Fasten ist nicht nur ein Verzicht, sondern ein Gewinn: ein Gewinn an Freiheit und an Freude. Eine finstere Mine machen die Heuchler (Mt 6,16). Wer glaubt, fastet mit einem Strahlen im Gesicht.
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