Das von der Konferenz der Diözesanverantwortlichen Weltkirche (KDW) mit den Leitungen der Hilfswerke Misereor, Adveniat, Renovabis, missio (Aachen und München), Caritas international und Kindermissionswerk (MARMICK) vereinbarte Jahresthema „Frieden“ hat eine doppelte Relevanz.
Für viele Menschen auf der ganzen Welt ist ein Leben in Frieden nicht möglich. Der Alltag vieler Menschen ist von akuter und struktureller Gewalt gekennzeichnet. Kriege hinterlassen Spuren, Kriminalität und Drogenhandel prägen die Gesellschaften. Die Umwelt wird ohne Rücksicht ausgebeutet und damit den Menschen die Lebensgrundlage entzogen. Millionen Menschen leben in Armut, haben nicht ausreichend zu essen, müssen ohne fließendes Wasser und ohne Abwassersystem auskommen, haben keinen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Millionenfach sind Menschen Handelsware und werden versklavt. Ein weiterer wichtiger Faktor für den Unfrieden sind die sehr ungleichen Besitzverhältnisse. Die Ungleichheit in den Gesellschaften zeigt sich auch in der Diskriminierung von Minderheiten wie Migranten oder Menschen mit eigener traditioneller Kultur. Oft sind es auch religiöse Unterschiede, die zu Ablehnung, Spaltung und Konflikten führen. Benachteiligung und Diskriminierung von Mädchen und Frauen gehören zum Alltag weiter Bevölkerungskreise.
Die katholischen weltkirchlichen Hilfswerke und viele Diözesen pflegen vielfältige Kontakte zu Friedensarbeiterinnen und -arbeitern weltweit. Sie unterstützen ihre Projektpartner, die in Konflikten vermitteln, gewaltfreie Lösungsstrategien einüben, sich für Menschenrechte und gegen Korruption einsetzen oder mitten in Zerstörung und Gewalt Orte aufrechterhalten, an denen Menschen leben und Perspektiven entwickeln können. Daran gilt es in Deutschland zu erinnern und dafür zu werben.
Binnenkirchlicher Blick
Kirchliche Gemeinden signalisieren, dass sie die fünf Jahresaktionen der weltkirchlichen Hilfswerke – bei allem guten Willen – nicht mehr so umzusetzen können, wie diese es eigentlich verdient hätten. Die Zahl der pastoralen Mitarbeiter nimmt ab, das ehrenamtliche Engagement geht tendenziell zurück, auf der anderen Seite werden die Pfarreien bzw. seelsorglichen Einheiten immer größer. Die zielgerichtete Weiterleitung des qualitativ hochwertigen und geschätzten Materials gestaltet sich zunehmend schwierig. Thematisiert wird auch ein unsystematisches „Themenhopping“ bei den Jahresaktionen. Die Notwendigkeit der besseren Abstimmung der Kampagnen war aufgrund der bekannten und anhaltenden Veränderungen in den Pfarreien bei den Verantwortlichen schon auf der Tagesordnung. Nach einem intensiven und ehrlich geführten Diskussionsprozess zwischen den Hilfswerken und der KDW wurde ein gemeinsames Jahresthema für das Kirchenjahr 2020 mit sieben Zielen vereinbart:
- Entlastung aller Beteiligten durch die Konzentration auf ein Thema.
- Das Jahresthema kommt in den Gemeinden durch den Jahreslauf wirklich an.
- Ein vertieftes Kennenlernen unterschiedlicher Facetten eines Themas der Weltkirche wird ermöglicht.
- Durch die Akzentuierung des einen Jahresthemas werden die Differenzierungen der Werke deutlich.
- Es entstehen neue Räume für neue Formate in der Bildungsarbeit.
- Die Medienaufmerksamkeit wird erhöht.
- Die politische Reichweite der Anliegen wird durch die Bündelung vergrößert.
Neue Wege
Ein Thema während 365 Tagen aufgreifen zu können, verschafft den Pfarreien und Diözesen neue Gestaltungsmöglichkeiten. So können lokale und regionale Besonderheiten außerhalb der klassischen Aktionszeiträume einen neuartigen Anlass bieten. Schnittstellen mit weiteren Kooperationspartnern im kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Raum eröffnen sich, wenn man neue Wege mutig ausprobiert.
Natürlich gab es berechtigte Einwände, die ernst genommen werden mussten: ein Abnutzungseffekt innerhalb des Kirchenjahres sollte vermieden werden. Wenn zum fünften Mal das gleiche Thema kommt, wer geht dann noch hin? Wie lassen sich die unterschiedlichen Planungsprozesse (Zeiten, Gremien, …) synchronisieren? Wie können die spezifischen Aufträge der Werke erkennbar bleiben?
Thema – Themenfeld
Aufgrund der unterschiedlichen kontinentalen Zuständigkeiten, die in den päpstlichen bzw. bischöflichen Statuten der Hilfswerke geregelt sind, war der aus Bistümern und Werken gemischt besetzten Arbeitsgruppe schnell klar, dass es nicht ein Beispielland geben kann (beispielsweise haben missio, Renovabis und Adveniat keine Schnittmenge bei den Partnerländern). Auch bei den Aufgabenfeldern lässt sich keine Übereinstimmung konstruieren. So blieb der Versuch, die Ziele über ein gemeinsames Themenfeld zu erreichen. Durch die Ausweitung auf ein Themenfeld – statt auf ein Thema – waren viele Hindernisse ausgeräumt. Bei der endgültigen Abstimmung über das Themenfeld gab es noch drei Optionen, wobei das Thema „Friede“ die höchste Zustimmung erzielte. Wenn man so möchte, gibt es aber noch weitere Themen, die als gemeinsames Jahresthema in Zukunft denkbar wären. Nicht wenigen würde wohl Laudato si‘ einfallen.
Durch die Entscheidung für das Themenfeld „Friede“ konnte jedes Werk seine regionalen Spezifika einbringen und unterschiedliche Aspekte, von der Prävention (Stichwort: Interreligiöser Dialog) bis zur Traumata-Bearbeitung bei Kindern, in das Gesamtkonzept integrieren. Auf diese Weise konnten profilbildende Alleinstellungsmerkmale jedes Werkes berücksichtigt werden. Für die zentralen Materialien aller Werke und die Öffentlichkeitsarbeit hat man das einheitliche Branding „Frieden leben“ entwickelt. Nahezu alle weltkirchlichen Fachstellen der Bistümer waren bei der Entwicklung neuer Bildungsangebote kreativ und innovativ. Auf weltkirche.de wurden viele Materialien eingestellt, auch vom Landeskomitee der Katholiken in Bayern.
Kooperation
Alle Beteiligten bemühten sich frühzeitig, potentielle Kooperationspartner zu informieren und einzubinden. Besonders der BDKJ, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Pax Christi, Justitia & Pax, die Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke, die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Organisationen Deutschlands (AGKOD), das Landeskomitee sowie die Organisatorinnen des Weltgebetstags der Frauen sind hier zu nennen. In den Bistümern wurde der Versuch unternommen, auch mit nicht kirchlichen Organisationen zusammen zu arbeiten. Leider sind durch Corona viele der geplanten Veranstaltungen nicht durchführbar gewesen, dennoch bekomme ich viele Rückmeldungen, dass „Frieden leben“ Kreise zieht. Jugendverbände nutzen dazu die sozialen Medien, das „Fenster zur Welt“ in Nürnberg bietet zum Beispiel eine Friedens-Stadtführung an und hat mit „Frieden inspiriert“ ein künstlerisches Projekt initiiert. Diözesanräte haben ihre Vollversammlungen thematisch an das Jahresthema angelehnt und so dazu beigetragen, dass die gesellschaftlich-politische Dimension zum Tragen kommt.
Zukunftsorientierter Lernprozess
Von Anfang an war allen Beteiligten klar, dass nicht alle aktuellen Herausforderungen in der weltkirchlichen Bildungsarbeit mit einem einmaligen gemeinsamen Jahresthema behoben werden können. Aber „Frieden leben“ ist ein mutiger Versuch, einen zukunftsorientierten Lernprozess anzustoßen. Durch eine breit angelegte Evaluation soll ermittelt werden, welche Ziele erreicht wurden und welche nicht und warum. Dazu begann die Datenerhebung bereits im Dezember 2018, also ein Jahr vor dem gemeinsamen Jahresthema, um wirkliche Veränderungen empirisch belegen zu können. Im April 2021 sollen die Ergebnisse der insgesamt zehn ausgewerteten Kampagnen vorliegen.