Immer was los: wenn uns innerlich die falschen Geister antreiben
Gnädiger mit uns selbst umgehen. Wie oft nehmen wir uns das vor. Bisweilen scheitern wir mitunter kläglich darin. Ständiges Vergleichen mit anderen. Überbordende To-do-Listen. Immer wieder die Drehzahl hochschrauben. Dabei bloß recht freundlich aus der Wäsche gucken. Keine Fehler machen. Stark bleiben. Das schürt den Unfrieden in uns. Wir werden unruhig und zunehmend unausgeglichen.
Was ist da nur los? Wieso können wir nicht im Reinen mit uns sein? Wie nur können wir innerlich ausgeglichen und im Frieden mit uns selbst sein? Vielleicht kann uns ein Ansatz aus der Psychologie helfen. In der sogenannten Transaktionsanalyse kennt man das Konzept der fünf Antreiber, die uns von Kindheit an in den Knochen sitzen. Diese frühen Prägungen bestimmen fortan unsere Muster, auch im Erwachsenenleben. Das ist so ein mieser Imperativ, den es in fünf Varianten gibt. Dieser Befehlsgeber erwartet von uns, dass wir wahlweise perfekt, gefällig, stark oder schnell sind und uns obendrein noch anstrengen. Schauen wir uns näher an, was für Geisterfilme in uns ablaufen können.
Vollkommenheitswahn: „Sei perfekt“
Man muss eine Nasenlänge besser in allem sein. Man muss auch mehr haben – im Kopf, im Kleiderschrank, auf dem Konto. Stets akribisch ans Werk. Nur fehlerfreie Ergebnisse zählen. Und so feilen wir ewig am Text für die Glückwunschkarte sowie an der Projektkalkulation herum, damit wir ein perfektes Ergebnis abliefern können. Damit wir gut dastehen. Aber wie geht es uns dabei, wenn wir abgehetzt ums Eck kommen, um ein edles Ergebnis abzuliefern? Womöglich könnten wir eine ganze Ecke entspannter dreinblicken und ein ähnlich gutes Ergebnis überreichen? Wir könnten mit einem Lächeln die Karte oder Kalkulation präsentieren, statt angespannt daherzukommen?
Wenn man zur Perfektion neigt, kann es wohltun, in vielerlei Hinsicht eine Schippe runterzunehmen. Sicherlich landet man immer noch bei hundert Prozent. Doch man agiert nicht mehr überzogen und pendelt sich auf ein gesundes Maß ein. Auch andere würden ihrerseits nicht übertrieben darauf reagieren müssen. Man würde das gute Maß wieder zu schätzen wissen. Hier zählen nicht die Größe eines Blumenstraußes oder die Machart eines Kuchens, sondern die Gesten als solche.
Die Beliebtheitsfalle: „Sei gefällig“
Bitte mal recht freundlich! Immer schön nett aus der Wäsche gucken. Es bloß jedem recht machen. Das ist gut für die anderen. Doch schlecht für uns. Hieraus kann über die Zeit ein Magengeschwür entstehen. Und mal ganz ehrlich, wir verkommen zusehends zu einem Wendehals. Wer allen nach dem Mund redet, kann nicht authentisch sein, der muss schon fast ein Lügner sein, ein Fähnchen im Wind allemal. Wenn wir es ohnehin nicht allen recht machen können, machen wir es uns doch recht. Das gelingt, indem wir auf unsere Bedürfnisse und Grenzen achten.
Wenn wir zur Gefälligkeit neigen, schärfen wir ab sofort unsere Wahrnehmung dafür. Wann immer wir Gefahr laufen, eine Spur zu gefällig zu sein oder es anderen sofort recht machen zu wollen, ohne zuvor auch nur einen Deut an uns selbst gedacht zu haben, dann sagen wir innerlich „Stopp!“. Wir lächeln nicht zwangsweise. Wir sagen auch nicht sofort Ja oder Nein. Wir denken vielmehr an uns und überlegen, was uns hier konkret am besten in den Kram passt. Genau das sprechen wir dann freundlich und doch bestimmt aus. Vielleicht gelingt das nicht sofort und immer – aber über die Zeit immer öfter.
Der Stärkere gibt nach: „Sei stark“
Immer schön zusammenreißen. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Sich bloß keine Schwäche anmerken lassen. Mit der Brechstange wurde das vielen von uns eingehämmert. Vielleicht als Gebrauchsanleitung fürs moderne Heldentum. Manche von uns wollen nicht verletzlich sein, sondern unabhängig von anderen. Sie denken, dass sie immerzu stark sein müssten. Wieso eigentlich? Auch wenn man sich zurückhält, kann das von Stärke zeugen.
Wenn bei uns das nächste Mal ein neuer Heldenfilm anläuft, wechseln wir in einen Stummfilm-Modus über. Einfach mal keine lauten Ansagen machen. Nicht automatisch Haltung annehmen. Stehen wir zu unseren Ängsten, sagen wir doch, wie es in uns aussieht. So übergehen wir nicht ständig unsere eigenen Grenzen. Und wir sind ehrlich – zu uns und zum Gegenüber. Andere merken, dass wir verletzlich sind. Das lässt uns vor anderen stark aussehen.
Schneller, höher, weiter: „Beeil dich“
Bloß nicht nachlassen. Weiter geht’s im Hamsterrad. Diese wichtige E-Mail schnell zu Ende schreiben. Jetzt noch ruckzuck durch die To-do-Liste gehen. Schon so spät? Lieber aufspringen und noch ins Training fahren, bevor das Studio schließt? Hektik. Hasten. Multitasking. Roter Drehzahlbereich. Ein Auto hält diesen Modus nicht ewig durch. Ein Mensch umso weniger. Eigentlich. Doch wenn dieser Antreiber uns triggert, sind wir ständig auf der Flucht. Aus Angst, etwas zu verpassen, machen wir umso schneller, steigern unsere Leistungsbereitschaft. Doch Eile und Stress blockieren uns nur. Hier greift ein japanisches Sprichwort, das uns sagt: „Wenn Du es eilig hast, geh langsam.“
Wenn wir es das nächste Mal eilig haben und schnell machen wollen, halten wir erst mal inne. Und dann führen wir den nächsten Handgriff ganz langsam aus. Wir werden merken: das funktioniert! Wir werden uns besser fühlen; unsere Ergebnisse werden entsprechend durchdacht sein. Wenn das funktioniert hat, dürfen wir uns auch schnell einen Kaffee holen, um den Erfolg mit der Langsamkeit zu zelebrieren.
Ganz schön anstrengend: „Streng dich an“
Für manch einen ist alles immer furchtbar anstrengend. Es muss noch geputzt werden, der Einkauf, die Besprechung, der versprochene Besuch, die überfällige Steuererklärung … Für manch anderen ist ein Erfolg kein Erfolg, wenn er sich vorher nicht mordmäßig dafür reingehängt hat. Spaß macht das beides nicht. Wenn alles immer nur mit Anstrengung verbunden ist, liegt das womöglich nicht an der Art der Aufgabe, sondern an unserer Haltung dazu. Hier könnten wir an unserer Einstellung drehen. Warum nicht einfach einen anderen Arbeits- und Lebensmodus für uns definieren?
Sobald wir das nächste Mal etwas als furchtbar anstrengend erleben, machen wir doch mal einen Moment lang: nichts. Oder erledigen eine Aufgabe ganz genüsslich. Die Fortgeschrittenen unter uns leben dann und wann einfach in den Tag hinein, ganz gelöst. So können wir uns langsam, aber sicher in einen entspannten Modus der Freude einschwingen.
Immer schön bei uns bleiben
Wenn wir uns richtig anstrengen, um nicht mehr so stark zu sein … wenn wir so richtig stark geworden sind im nicht mehr Perfekt-sein-Müssen … wenn wir perfekt den Bogen raus haben, um es zuerst uns selbst recht zu machen … wenn es uns recht ist, dass wir uns nicht mehr beeilen müssen … wenn wir uns beeilen, um nicht mehr so angestrengt ans Werk zu gehen … dann stehen die Chancen gut, dass wir bei uns selbst angekommen sind. Die besten Voraussetzungen für Frieden mit uns selbst.
Titelillustration: E. Zacherl / Adobe stock