Das Telefon tutet gleichmäßig vor sich hin. Nervosität macht sich breit. Am anderen Ende hebt niemand ab. Für Angehörige von schwerkranken und sterbenden Menschen ist das ein Schockmoment. Wer soll nun die Sterbesakramente spenden, wer die Angehörigen in diesen schweren Stunden begleiten?
Damit sich Betroffene und deren Angehörige in dieser belastenden Lebenssituation nicht allein gelassen fühlen, hat man in der Region Bad Reichenhall eine ökumenische Seelsorgebereitschaft organisiert. Anrufe, die außerhalb der Bürozeiten in Pfarrbüros aufschlagen, werden automatisch auf das Diensthandy der ökumenischen Seelsorgebereitschaft weitergeleitet. Neben der Stadtkirche Bad Reichenhall beteiligt sich auch der Pfarrverband Anger-Aufham-Piding sowie die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Bad Reichenhall an dem Pilotprojekt. „Die Vorgehensweise hat sich bewährt, das Handy ist immer besetzt“, sagt der evangelische Pfarrer Martin Wirth.
Für die konfessionsverschiedenen Seelsorger ist dieses Projekt auch ein Lernfeld. Es eröffnet ihnen einen neuen ökumenischen Erfahrungsraum. Pfarrer Wirth ist sich sicher: „Das gemeinsame Projekt wird alle Beteiligten aus den beiden Kirchen weiter zusammenführen.“ Andersherum bringt es auch die Gläubigen mit Seelsorgern der jeweils anderen Kirche in Kontakt.
Ob katholisch oder evangelisch, ob Pfarrerin oder Pastoralreferent – in familiären Krisensituationen sei dies meist zweitrangig. Entscheidend sei vielmehr menschliche Nähe. Dasein. Zuhören. Begleiten. Das ist die Idee, die hinter der ökumenischen Seelsorgebereitschaft steht. Für den Fall, dass ausdrücklich ein Pfarrer gewünscht wird, oder auch ein bestimmtes Sakrament, wie die Beichte, kann der diensthabende Seelsorger rasch einen Kollegen informieren. In den vergangenen Jahren sei die Nachfrage in diesem Bereich zurückgegangen. „Das ist schade“, konstatiert Pfarrer Wirth. Und es liege sicherlich auch daran, dass vielfach kein Pfarrer erreichbar gewesen sei. Aber, in den teils großen Seelsorgeeinheiten könne nicht ein Seelsorger allein rund um die Uhr, jeden Tag im Jahr, erreichbar sein. Mit der ökumenischen Initiative wird die Last auf mehrere Schultern verteilt. Das Diensthandy wandert in der Gruppe weiter. Einer ist immer im Bereitschaftsdienst. Die anderen wissen: Dieser Abend gehört ihnen. Heute klingelt kein Telefon mehr. Pfarrer Wirth und seine Kollegen hoffen, so auch „bisherige Engführungen und Konfessionsgrenzen“ hinter sich lassen zu können. Durch mehr Präsenz, so wünschen sie es sich, sollen wieder mehr Menschen in Notsituationen zum Telefonhörer greifen und um einen Seelsorger bitten. Wirth weiß, „im Sterben kommt es eben weniger auf Blaulicht-Aktionen an, sondern auf menschliche und geistliche Präsenz, auf das rechte Wort, auf Gebet, Lied und Segen.“ Bisher habe er jedenfalls keine negativen Erfahrungen gemacht, wenn er als evangelischer Pfarrer zu katholischen Gemeindemitgliedern kam.
Foto: Evangelische Kirche Bad Reichenhall

Gemeinsam mit den katholischen Kollegen haben Seelsorger der evangelischen Kirchengemeinde Bad Reichenhall eine ökumenische Seelsorgebereitschaft etabliert.