Unsere Pfarrgemeinden verändern sich, strukturell wie personell. Die Pastoraltheologin Anna Hennersperger schildert im Interview mit Gemeinde creativ, wie man eine Pfarrei zukunftsfähig ausrichtet und warum gar nicht immer das Licht im Pfarrhaus brennen muss. Gefragt sind Menschen mit Ideen, die anpacken und ansprechbar sind – und die eine „gastfreundliche Herberge vor Ort“ anbieten.
Gemeinde creativ: Frau Dr. Hennersperger, wie werden die Gemeinden der Zukunft aussehen?
Anna Hennersperger: „Eine Pfarrgemeinde entwickelt sich oder sie stirbt“ – heißt es im Passauer Pastoralplan 2000. Das sehe ich auch so: Pfarrgemeinden, die sich entwickeln, werden Zukunft haben, nicht diejenigen, die in Vergangenem verharren und sich an Althergebrachtes klammern. Die Zeiten der Volkskirche, in denen man mehr oder weniger selbstverständlich kirchlich sozialisiert wurde, sind vorbei. Sicher, „volkskirchliche Inseln“ gibt es mancherorts noch, generell ist aber schon festzuhalten, dass die Menschen ihren Glauben heute anders leben und leben wollen als vor 50 Jahren. In Zukunft wird es darum gehen, dass Gottesdienst und der Dienst am Nächsten noch stärker miteinander in Verbindung sind. Gefragt ist die „gastfreundliche Herberge vor Ort“. Es geht darum, Nähe zu ermöglichen, trotzt erhöhter Mobilität und trotz vieler Milieus, die alle verschiedene Bedürfnisse haben. Das Bedürfnis nach Bindung und Gemeinschaft ist ihnen allen gleich.
Sie haben viele Jahre in der Gemeindeberatung gewirkt und kennen die Ängste der Menschen in den Pfarreien. Müssen wir uns wirklich Sorgen machen?
Ich glaube, dass man sich dort Sorgen machen muss, wo ein „sense of urgency“, also das Bewusstsein für die Dringlichkeit nicht vorhanden ist, dort wo man noch glaubt, dass man diese Herausforderungen mit rein strukturellen Veränderungen bewerkstelligen kann. Ich empfinde die momentane Situation in gewisser Weise als Wink des Heiligen Geistes, dass die getauften und gefirmten Christen ihre Berufung und ihre Verantwortung für die Zukunft des Glaubens ernst nehmen. Die Konzilsväter haben uns den Weg bereitet: weg von der Priesterkirche, hin zu einem Bild des Volkes Gottes, das gemeinsam auf dem Weg ist. Jetzt ist es an uns, diesen Weg weiterzugehen. Wenn wir in die Weltkirche schauen, dann sind Gemeinden auf der Südhalbkugel lebendig, gerade weil sie von den Menschen vor Ort getragen werden und ohne dass – wie man es bei uns gerne formuliert – im Pfarrhaus immer Licht brennen muss. Es geht darum, dass Menschen da sind, die mutig ihren Glauben leben, dass es Glutkerne in den Orten gibt, wo man Gemeinschaft erleben, mit der Botschaft Jesu in Berührung kommen kann und wo man sich menschlich aufgehoben fühlt.
Momentan sucht jedes Bistum für sich selbst nach Lösungen – ist das ein Vor- oder Nachteil?
Ein Austausch innerhalb der Bischofskonferenz ist anregend und wichtig. Pauschallösungen kann es aber nicht geben. Unsere Bistümer sind so verschieden wie die Gemeinden. Diese Vielfalt ist gut und fördert Kreativität. Die Verantwortlichkeit muss vor Ort bleiben – auf allen Ebenen. Solidarität und Subsidiarität sind zwei wichtige Prinzipien der katholischen Soziallehre – ich würde mir wünschen, dass die Pfarrgemeinden noch stärker in diese Prozesse miteinbezogen würden. Und eines könnte man wirklich ein bisschen angleichen: Derzeit herrscht in den Bistümern eine fast schon babylonische Sprachverwirrung, was die Bezeichnungen von pastoralen Einheiten betrifft – hier wäre mehr Einheitlichkeit wirklich hilfreich.
Welche Antworten hat die Pastoraltheologie auf die aktuellen Entwicklungen?
Momentan werden sehr unterschiedliche Ansätze vertreten. Manche Pastoraltheologen glauben nicht an eine Zukunft von geschichtlich gewachsenen Pfarreien. Da zeigt sich für mich eine Pastoraltheologie der „verbrannten pfarrlichen Erde“, wenn gesagt wird: Pfarrgemeinden haben sich erledigt, da investieren wir auch nichts mehr. Aber es gibt auch Forschungen in Richtung personal-gemeindlich orientierter Gemeinschaften und Netzwerke. Andere setzen auch oder ausschließlich auf die sogenannten Erneuerungsbewegungen. Ich habe den Eindruck, dass der „Duft“ mancher Gemeinschaften auch einigen Bischöfen sehr zukunftsweisend erscheint. Viele dieser Gemeinschaften leisten Großartiges für die Gesellschaft, zum Beispiel Sant’Egidio. Andere dagegen sind sehr geschlossen binnenkirchlich und wirken nicht in die Gesellschaft hinein. Ich nehme sie als diakonievergessen wahr. Ob das die Zukunft ist? Ich sehe die Zukunft vielmehr personal-gemeindlich orientiert, in diesen kleinen Glutkernen, in Netzwerken vor Ort, wo man sich kennt und voneinander weiß. Ergänzend können Kurzzeitbegegnungen Sinn machen.
Sinkende Priesterzahlen lassen sich nicht wegdiskutieren. Welche Rolle werden die Laien künftig spielen?
Das Kirchenrecht spricht von christifideles, Christgläubigen. In der Würzburger Synode wurde die unvertretbare Eigenverantwortung jeder, jedes Getauften für die Sendung der Kirche betont. Es geht darum, dass Menschen Raum bekommen, das eigene Charisma zu entfalten. Ich gehe davon aus, dass Gott seiner Kirche in ausreichendem oder vielleicht sogar übervollem Maß die Charismen schenkt, die zur jeweiligen Zeit gebraucht werden. Das sind heute andere als vor 50 Jahren und es muss natürlich immer ein Miteinander von Ämtern und Diensten stattfinden. Aber Laien sind für mich keine Lückenbüßer für fehlenden Klerus. Ich glaube nicht, dass es generell zu wenige Priesterberufungen gibt. Ich meine, dass die Kirche die Möglichkeit hat, die Zulassungsbedingungen zu verändern. Vielleicht sind die Gebete um Priesterberufungen längst erhört worden?
Was halten Sie vom aktuellen Vorstoß des Landeskomitees in Richtung „personae probatae“?
Mir gefällt es, dass es personae heißt. Das Thema, das der Kirche momentan am meisten zu schaffen macht, ist ihre Glaubwürdigkeit. Hier steht neben Missbrauch und dessen Aufarbeitung, den Finanzfragen und Klerikalismus, ganz oben das Thema „Frauen“. Für mich hat die Kirche hier ein deutlich wahrnehmbares Glaubwürdigkeits-Leck, weil sich nicht erklären und nicht begründen lässt, weshalb Frauen vom Amt ausgeschlossen sein sollen. Jesu Umgang mit Frauen war seiner Zeit in vielerlei Hinsicht voraus. Auch geschichtlich ließen sich weitere Beispiele anführen. Das Traditionsargument ist schlichtweg zu dünn und es täte uns als Kirche gut, wenn der Zugang von Frauen in die Ämter möglich wäre. Es würde nicht alles lösen, da brauchen wir uns nichts vormachen, aber es würde eine neue Weite eröffnen.
Was halten Sie von den neuen Modellen der Gemeindeleitung, die derzeit vielerorts erprobt werden?
In diesem Bereich wird viel nachgedacht und ausprobiert. Für mich sind diese Modelle dennoch samt und sonders Notlösungen. Sie überbrücken jetzt für den Moment, aber ich bin nicht sicher, ob sie wirklich langfristig die Not lösen, die da ist. Vielerorts werden Leitungsmodelle mit haupt- und ehrenamtlichen Laien ausprobiert – das Kirchenrecht erlaubt dies im „Notfall“. Ich kenne eine ganze Reihe von Frauen und Männern, die diese Aufgabe in ganz hervorragender und engagierter Weise wahrnehmen. Aber ich meine, dass einigen von ihnen die Hände aufgelegt werden sollten. In diesem „Dauerzustand der Not“ dürfen wir uns nicht einrichten. Ich beobachte mit Sorge, dass pastorale Einheiten immer noch größer werden, weil es keine Priester mehr gibt, die solche Großunternehmen leiten könnten. Hier muss man sicher auch immer die Situation vor Ort genau anschauen, aber Pfarreien mit 30.000 Gläubigen? Wer will die noch leiten? Das geht auch im Team nicht. Da kann man sich noch so viele Formen einfallen lassen.
Foto: privat
Anna Hennersperger (Jahrgang 1955) ist Theologin, Pastoralreferentin und Gemeindeberaterin. Seit 2014 ist sie Direktorin des Bischöflichen Seelsorgeamtes der Katholischen Kirche Kärnten in der Diözese Gurk-Klagenfurt. Sie hat Religionspädagogik, Kirchliche Bildungsarbeit und Theologie in München und Wien studiert und bei Paul M. Zulehner promoviert. Sie arbeitete viele Jahre in der „Arbeitsgemeinschaft GemeindeBeratung und OrganisationsEntwicklung“ der Diözese Passau mit und war in der Projektgruppe „Pastorale Entwicklung Passau“ (PEP) zur Erstellung des Passauer Pastoralplanes 2000 tätig. Von 2004 bis 2014 leitete sie das Institut für Theologische und Pastorale Fortbildung Freising. Ein Schwerpunkt lag dabei auf der von ihr geleiteten Ausbildung von Mitarbeitern in der Gemeinde- und Organisationsberatung der bayerischen Bistümer.