Der bekannte Text „Fülle in der Leere“ weitergedacht
Corona hat unser aller Leben aus dem Tritt gebracht und spätestens seit der zweiten Welle in Europa und Deutschland ist klar, dass manche Corona-Veränderungen anhalten werden. Also gilt es, damit zu leben und die Hoffnungsfunken, die darin enthalten sind, wahrzunehmen, zu würdigen und wenn möglich, damit die Zukunft zu gestalten.
Als Grundlage für meine Gedanken verwende ich das Papier „Fülle in der Leere – Was die Ostererfahrungen 2020 uns sagen“. Der Text wurde von der Gruppe „Ordensfrauen für Menschenwürde“ im Frühjahr dieses Jahres verfasst und in zahlreichen (kirchlichen) Medien verbreitet. Der hier vorliegende Text ergänzt und führt die Gedanken von „Fülle in der Leere“ weiter. (Anmerkung der Redaktion: Passagen aus dem Originaltext sind im Folgenden kursiv gesetzt).
Wir waren von der überwältigenden Resonanz auf den Text überrascht, erfreut und fast erschlagen. Insgesamt erreichten uns mehr als 150 Zuschriften. Abgesehen von einem kleinen, niveaulosen shitstorm bei Facebook waren die Reaktionen nahezu ausschließlich positiv. Besonders bemerkenswert war, dass viele Frauen und einige Männer sich die Zeit genommen haben, um uns von ihren eigenen, teilweise sehr persönlichen, Erfahrungen und Erlebnissen zu berichten. Sie waren durch uns ermutigt, für eigene Visionen und Forderungen zu werben.

Alles begann mit einer Demo: die Gruppe wurde nach der #ausgehetzt-Demonstration in München 2018 gegründet. Noch immer gehen die „Ordensfrauen für Menschenwürde“ für ihre Anliegen auch auf die Straße.
Viele Menschen, auch Frauen und Männer des Synodalen Wegs, dankten uns ausdrücklich, dass wir als Ordensfrauen unsere Stimme erheben und Reformen anmahnen: unsere Kirchlichkeit stünde nicht zur Debatte und man könne uns nicht vorwerfen, leichtfertig oder oberflächlich oder grundsätzlich kirchenfeindlich zu argumentieren.
In den vergangenen Jahrzehnten war die Stimme der Ordensfrauen eher zurückhaltend. Doch damit ist jetzt Schluss! Vor einiger Zeit wurden wir als bayerische Ausgabe von Maria 2.0 bezeichnet – was wir als großes Lob betrachten! Umso mehr freut es uns, dass in München endlich eine eigene Gruppe Maria 2.0 gegründet werden soll. Wir bieten dieser Gruppe jetzt schon unsere Zusammenarbeit an.
Die neue Situation: Leere – Fragen – Gespräch
„Wir hatten alles geplant. Wir hatten uns um einen Priester bemüht, weil das nach den Regeln der katholischen Kirche so zu sein hat. Doch dann kam ganz überraschend und sehr kurzfristig […] die Absage und wir standen vor der Situation, nun selbst feiern zu müssen, sollen, dürfen, können…“, so beschreibt eine Ordensfrau die Tage kurz vor Ostern.
Während des Lockdowns waren alle öffentlichen Gottesdienste abgesagt und in vielen Frauengemeinschaften war die Feier der Eucharistie mit einem externen Zelebranten kurzfristig untersagt: In der Corona-Krise hatten wir keine Wahl und genau das eröffnete echte Alternativen. Mit dem Bruch und Wegfall des Vertrauten – manchmal auch Eingefahrenen – entstand zunächst Leere.
Diese Situation machte offenbar, was im Alltag manchmal übersehen wird, allerdings bereits seit Jahrzehnten diskutiert wird: die Abhängigkeit der Ordensfrauen, der Gemeinden, des Volkes Gottes von einem geweihten Mann. Diese Abhängigkeit ist vielschichtig. Sie ist keineswegs neu, aber sie wurde während der Lockdowns im vergangenen Jahr besonders schmerzlich spürbar. Diese Abhängigkeit ist außerdem ein weltweites Problem, das die Amazoniensynode deutlich formuliert hat.
So nicht!
Es war und blieb für uns ein schmerzhafter Stich ins Herz, dem Zelebranten beim Kommunizieren zuzuschauen, ohne selbst teilhaben zu können. Als ebenso unmöglich haben wir Eucharistiefeiern mit Gemeinde ohne Kommunionspendung erlebt. Es stellen sich zentrale Fragen an das Eucharistieverständnis: Ist die Eucharistie eine gemeinsame Mahlfeier oder ein exklusives Geschehen, das dem geweihten Priester vorbehalten ist? […] Warum muss das gültig gefeierte Sakrament immer noch an der kirchengeschichtlich gewachsenen Entscheidung hängen, dass nur ein ehelos lebender Mann zum Priester geweiht werden kann? Warum können nicht endlich, um jeder Gemeinde die sonntägliche Eucharistiefeier mit einer Gemeinschaftserfahrung zu ermöglichen, Personen beiderlei Geschlechts aus der Gemeinde zu diesem Amt beauftragt werden – natürlich mit entsprechender Ausbildung?
Erinnerung – Vergegenwärtigung – Gemeinschaft – Gegenwart Jesu
Wir haben in unseren Gemeinschaften in den vergangenen Wochen dennoch Mahlfeiern erlebt, die jede Engführung auf die Eucharistiefeier gesprengt haben. Wir haben Brot und Wein geteilt und vielfältige Erfahrungen zeigen, dass darin Jesus Christus als präsent erlebt wurde. Beim Abendmahl gab Jesus seinen Freunden den Auftrag: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (1Kor 11,24-25). Dabei geht es um viel mehr, als um reine Erinnerung. Es geht um Vergegenwärtigung. […] Entscheidend ist der unbedingte und unverfügbare Heilswille Gottes für alle Anwesenden. So erfuhren wir uns im gemeinsamen Feiern immer wieder als Eingeladene und Beschenkte – nicht als „Macherinnen“. So fasste schließlich eine Schwester das gemeinsame Feiern zusammen: „Ich habe noch nie in so viele strahlende Gesichter schauen dürfen, die berührt und erfüllt von diesen Tagen und unserem Feiern waren. Für mich war der Geist des Auferstandenen sehr spürbar unter uns wirksam, der in uns und mit uns etwas Wunderbares wirkte.“
Fülle statt Leere
Im Nachhinein würde ich den Zeitpunkt des März/April-Lockdowns, der ausgerechnet die Kar- und Ostertage traf, als göttliche Pädagogik deuten. Gott wollte sagen: was sucht ihr mich in der korrekt gefeierten täglichen Eucharistie? Was sucht ihr mich in eingeschliffenen Gewohnheiten? Indem Maria Magdalena sich auf den „Gärtner“ einlässt, erlebt sie die Anwesenheit Jesu. Genauso erging es uns – wir haben Fülle statt Leere erlebt.
Hinter diese Erfahrungen können und wollen wir nicht zurück. Doch es wäre unrealistisch, zu denken, dass jetzt in unseren Gemeinschaften spektakuläre neue Dinge beginnen. Aus verschiedenen inneren und äußeren Gründen ist das nicht möglich. Dennoch will ich den Blick auf einige Hoffnungsfunken lenken:
- Nicht zu unterschätzen ist unsere Entschlossenheit, an diesen Erfahrungen dran zu bleiben. Der „Corona-Stresstest“ hat uns darin bestärkt, nicht nachzulassen in unserem Kampf für die Erneuerung der Kirche. So schrieb eine Ordensfrau unseres Teams: „Wie sehr wünsche ich mir, dass wir die lähmende Angst überwinden!“.
- Es gibt (Haus-)Gemeinschaften, die statt der Eucharistie auswärts ein Gebet daheim gestalten, das als gemeinschaftsstiftend erlebt wird.
- Dem (persönlichen) Psalmengebet und der Stille wird mehr Aufmerksamkeit gewidmet und diese manchmal kurzen Minuten mitten im Alltag bekommen so eine stärkere Kraft.
- Es werden nur solche Eucharistiefeiern mitgefeiert, die „ich mir selbst zumuten kann.“
- In Bildungs- und Exerzitienhäusern, die von unseren Gemeinschaften geleitet oder verwaltet werden, bestimmt die anwesende Gruppe, ob eine Eucharistiefeier „dran“ ist oder nicht. Oft wird dann ein Wortgottesdienst gemeinsam gestaltet. Dabei fungieren wir Schwestern als Moderatorinnen, Gottesdienstleiterinnen, Fachfrauen.
- Es werden bewusst andere Gottesdienstformen gesucht und geübt – beispielsweise Gottesdienste im Freien, Agapefeiern, Wallfahrten, „lebendige Adventskalender“ und vieles mehr.
- Zunehmend vernetzen wir uns als Einzelne oder als ganze Gruppe mit anderen, die ähnliche Ziele vertreten.

Dass ihr Text „Fülle in der Leere“ ein solch breites Echo erfährt, hätten die Ordensfrauen nicht geglaubt. Umso mehr motiviert sie der Zuspruch, weiterzumachen.
Daraus ergibt sich, dass wir mit Hoffnung und Erwartung auf die Prozesse des Synodalen Weges schauen. Eine Insiderin meinte, dass das Thema „Frauen“ in allen vier Foren des Synodalen Wegs eine wichtige – vielleicht sogar die entscheidende – Rolle spiele. Wir erhoffen uns, dass die Kirche in Deutschland hier ein klares mutiges Wort spricht.
Es begann mit einer Demo: die „Gruppe Ordensfrauen für Menschenwürde“ hat sich im Nachgang zur Demo #ausgehetzt – gemeinsam gegen eine Politik der Angst im Juli 2018 formiert und ist seitdem äußerst aktiv.
In der Ausgabe 5/2020 von Gemeinde creativ haben wir die Gruppe vorgestellt.
Während der Corona-Zeit gestalteten manche Schwestern in der erzwungenen eucharistiefreien Zeit die Gottesdienste selbst. Dadurch machten wir gute spirituelle Erfahrungen und erlebten eine unerwartete „Fülle in der Leere“. Diese Erfahrungen haben die Schwestern in einem gleichnamigen Text dargestellt. Dieser Text erfuhr ein überwältigend großes Medienecho.
Aktuelle Informationen zu Aktionen und vieles mehr finden Sie auf der Facebook-Seiteder Gruppe.
Titelbild: Seit der Gründung der Gruppe im Juli 2018 machen die „Ordensfrauen für Menschenwürde“ immer wieder durch Aktionen auf sich und ihre Anliegen aufmerksam.
Fotos: Initiative „Ordensfrauen für Menschenwürde“