Superman, Harry Potter, James Bond, Cristiano Ronaldo und all die anderen bekannten Protagonisten aus Comic, Sport, Kino und Literatur, sie prägen nach wie vor die Vorstellung vom „Helden“. Und doch ist seit einigen Jahren eine Trendwende erkennbar. Immer mehr wird bewusst, dass es jene stillen Helden im Alltag sind, die unsere Gesellschaft zusammenhalten.
„Mir nach, spricht Christus, unser Held, mir nach ihr Christen alle! Verleugnet euch, verlasst die Welt, folgt meinem Ruf und Schalle! Nehmt euer Kreuz und Ungemach auf euch, folgt meinem Wandel nach“, so lautet die erste Strophe eines bekannten Kirchenlieds von Angelus Silesius. Dieses Nachfolgekonzept ist schon ein starker Tobak für Menschen „wie du und ich“!
Es verwundert nicht, dass die Heldenthematik in der klassischen Prägung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in Gesellschaft, Pädagogik und Theologie ein Schattendasein führte: Gesellschaftlich galten die Helden der Vergangenheit auch wegen der problematischen Heldenverehrung in der NS-Zeit als „out“. In der Pädagogik rückten Emanzipation und Selbstentfaltung als Erziehungsziele in den Vordergrund, da gab es keinen Platz für Vorbilder oder Leitfiguren. Und theologisch ist das traditionelle Nachfolgkonzept der katholischen Kirche, vor allem wie es bei der Heiligsprechung aufscheint, ein Ärgernis: Sowohl die Beschreibung des Heiligen („Es gibt keine Heiligkeit ohne Entsagung und Kampf. Der geistliche Fortschritt verlangt Askese und Abtötung“.) als auch die Praxis der Heiligsprechung, bei der bis heute fast ausschließlich zölibatär lebende (viele) Männer und (wenige) Frauen heiliggesprochen werden, stellen eine Engführung dar. Wenn Heilige Realsymbole sind, an denen man „am besten ablesen kann, was Kirche ist“, dann stellt sich die Frage, durch welche Nachfolge-Vorbilder sich nicht-klerikale Christen auf ihrem Weg zur Heiligkeit repräsentiert fühlen. Der klassische Held und Heilige geriet also eindeutig auf‘s Abstellgleis.
Die Wiederkehr der Helden
Erstaunlicherweise kann man aber seit ungefähr zwanzig Jahren eine allmähliche Trendwende erkennen: Die Helden kehren wieder, allerdings in gewandelter Form.
Wieso das so ist, darüber sind sich Soziologen und Pädagogen einig: Der Mythos der Moderne, man könnte sich aus eigenen Kräften eine eigene dauerhafte Identität stiften, hat sich längst verflüchtigt: Wir brauchen in einer zunehmend als bedrohlich erfahrenen Welt Orientierungsmarken, die außerhalb liegen. „Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit in einer Welt, in der nichts sicher scheint“, heißt es im bekannten Lied von Silbermond. In modernen Zivilgesellschaften sind Helden der gesellschaftliche Kitt, sie sorgen dafür, dass eine aus den Fugen geratene Welt wieder in Ordnung kommt. Kein Wunder, dass allenthalben und mit Recht ein Lob auf das Ehrenamt gesungen wird!
Was macht den Held zum Held?
Was die Qualität der Helden von heute betrifft, so haben sich drei Perspektiven verändert:
- Helden sollen herausfordern, aber nicht überwältigen: Helden werden heute nicht auf einen Sockel gestellt, um sie nur zu bewundern und nachzunahmen. Die Auseinandersetzung mit Vorbildern, Helden, Heiligen, Idolen, Stars und wie immer sie heißen mögen, muss kritisch erfolgen; sie dient der Entwicklung von eigenen Vorstellungen eines guten Lebens und der eigenen Wertentwicklung. In kirchlichen Kontexten, vor allem in der Liturgie („das Vorbild des heiligen Ixypsilon sporne uns an“) werden leider immer noch schlichtere Nachahmungsmodelle gefahren. In der Religionspädagogik sind wir hier weiter. Wir vertreten einen diskursethischen Ansatz: Ein Lernen an fremden Biografien dient der Entfaltung der Biografien von Kindern und Jugendlichen; nicht ein „So-sein-wollen-wie“ ist das Ziel, sondern durch ein Sich-Abarbeiten an biografischen Skizzen eine eigene Lebenspur zu finden. Wenn man dies ernst nimmt, kann man auf eine breite Palette heldenhafter Gestalten zugreifen (von den Heiligen bis zu den Idolen, von den medialen und sportlichen Helden bis hin zu literarischen Figuren) und von ihnen lernen.
- Helden müssen nicht perfekt sein: jeder Mensch in seiner je eigenen Gebrochenheit seiner Biografie kann so zum Helden werden. Entscheidend ist, etwas Altruistisches für andere Menschen zu tun, womit man aus der Masse herausragt. Dabei kommt es auch nicht auf die Dauer des Tuns an – manche engagieren sich kurzzeitig, andere entwickeln ein Lebensprojekt.
- Helden wohnen nebenan: Die großen Helden und Heiligen sind häufig weit entrückt von unserem Lebensalltag. Heilige des Alltags hingegen zeigen, dass es auch inmitten einer Wohlstandsgesellschaft möglich ist, Ausflüge in gute Welten zu wagen. Mein Kronzeuge ist Romano Guardini: „Der Christ, der heilig werden will, […] solle gar nicht Besonderes planen, sondern immer nur das tun, was von Mal zu Mal die Stunde von ihm verlange. […] Der Mensch, der diesen Weg geht, tut, was jeder tun müsste, der jetzt und hier seine Sache richtig machen will. Nicht mehr und nicht weniger.“ Insofern kommen heute auch andere Personengruppen in den Blick, die zeigen, wie Leben geht: Eltern, Großeltern und Geschwister, Trainer und Lehrer und die vielen Helden des Alltags oder eben Heilige der Unscheinbarkeit, wie sie Romano Guardini bezeichnet. Die Wise Guys haben diesen „wahren Helden“ auf ein Denkmal gesetzt: „Ihr seid die wahren Helden, auch wenn euch niemand applaudiert, ihr seid die wahren Helden, weil ohne euch nichts funktioniert.“ Ehrenamtliche Mitarbeiter bei der Tafel, im Hospiz oder bei der Telefonseelsorge, Jugendliche, die als Missionare auf Zeit arbeiten oder sich in einem Jugendverband engagieren, Notfallseelsorger, Lebensretter oder zivilcouragierte Helfer – das sind die wahren Helden heute!
Helden in Kirche und Gemeinde
Auch unsere Gemeinden leben von solchen Helden, die dafür sorgen, dass der „Laden Kirche“ am Laufen gehalten wird. Wir tun uns manchmal schwer, Gutes nach außen hin kundzutun (Mt 6,1: „Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zu tun, um von ihnen gesehen zu werden“), aber vielleicht sollten wir uns auch hier eher an einem anderen Jesuswort orientieren: „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Taten sehen“ (Mt 5,16). Könnten Gemeinden hier nicht von der Wirtschaft lernen und immer wieder in Schaukästen, Pfarrbriefen oder noch besser Gesprächsrunden ehren- und hauptamtliche „Mitarbeiter des Monats präsentieren“ – Menschen, die in aller Bescheidenheit zeigen, welche Hoffnung sie erfüllt und was sie zum Christsein motiviert (1 Petr 3,15-16)?
Die Frage der Fragen: „Vor dem Ende sprach Rabbi Sussja: In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: Warum bist du nicht Mose gewesen? Man wird mich fragen: Warum bist du nicht Sussja gewesen?“
Aus: Martin Buber (1949), Die Erzählungen der Chassidim, Zürich, Seite 394.
Illustration: Ryanking999/Adobe Stock