Jesus in Aktion
Die Evangelien sind voller Erinnerungen an Jesus. Sie erzählen, was er gesagt und getan, was er erlebt und erlitten hat. Er hat Menschen die Augen und Herzen für Gottes Nähe geöffnet; er hat Krankheiten geheilt und sogar Tote auferweckt; er hat mit Autorität und Liebe, mit Charisma und Argumenten gelehrt, was Glauben verdient und wie Liebe geht; er hat seine Jünger, Männer wie Frauen, in der Nachfolge zu neuen Menschen gemacht: bereit, nicht sich selbst, sondern Gott und die Nächsten in den Mittelpunkt zu stellen und dadurch sich selbst zu gewinnen (Mk 8,34-38). Die Evangelien halten im Gedächtnis, dass Jesus nicht lehrt, was er nicht selbst von Gott gelernt hat, und nichts tut, was ihn Gott nicht tun lässt – so wie ihm das Leiden und die Not, die Versuchung und der Tod der Menschen nicht fremd gewesen, sondern in Fleisch und Blut übergegangen ist.
Alle Jesusgeschichten der Evangelien wecken Hoffnung: Hoffnung auf Gott, Hoffnung auf Glück und Seligkeit, Hoffnung auf Heilung und Heil, Hoffnung auf Wahrheit und Freiheit. Es gibt schlechterdings keine Erinnerung an Jesus, die der Hoffnungslosigkeit das Wort redete. Es gibt aber viele Erzählungen, die zeigen, dass es dort, wo es anscheinend aussichtslos ist, doch Grund zur Hoffnung gibt – weil Gott seine Hand im Spiel hat. Das Stichwort „Hoffnung“ begegnet in den Evangelien nicht, anders als bei Paulus. Aber wenn der Apostel vom „Gott der Hoffnung“ spricht (Röm 15,13), hat er die Jesusgeschichte vor Augen, im Lichte seines Todes und seiner Auferstehung.
Die Hoffnung, die mit Jesus verbunden ist, entsteht nicht auf der Basis einer Illusion: als ob es Schuld und Not, Tod und Unglück nicht gäbe. Sie entsteht vielmehr inmitten des menschlichen Lebens und Sterbens, mit all dem halben Gelingen und Scheitern, all dem zerbrechlichen Glück und unbändigen Lebensmut, all dem ungerechten Leiden und unverhofften Erfolg, die zum Menschsein gehören.
Wer die Evangelien liest, findet keine festen Definitionen dessen, was Hoffnung macht und Angst vertreibt, aber lebendige Erinnerungen an Begegnungen mit Jesus, der Menschen an den Abgrund und über ihre eigenen Grenzen hinausführt. Deshalb machen sie deutlich, wer Hoffnung schöpfen darf, worauf sie sich zu richten vermag und wie sie erfüllt werden kann.
Wer hoffen darf
Die Wege Jesu, die in den Evangelien vermessen werden, sind Wege zu Menschen, die fürchten, von Gott und der Welt verlassen zu sein, so dass es für sie keine Hoffnung geben könne. Jesus aber verkündet, dass Gott sein Reich hat kommen lassen, ohne dass er auf Frömmigkeitsübungen und Gerechtigkeitsleistungen wartete. Umso deutlicher wird, dass die Hoffnung der Menschen einen neuen Grund hat. Es gibt keinen Menschen, der sündigt, ohne Vergebung erlangen zu können, keinen, der gequält wird, ohne Erleichterung erfahren zu können, keinen, der stirbt, ohne für die Auferstehung bestimmt zu sein.
Jesus ist zeit seines Lebens unterwegs, um den Menschen nahezubringen, dass Gott sie nicht abgeschrieben, sondern für die Teilhabe an seinem Reich bestimmt hat und dass er sie deshalb den Vorgeschmack des ewigen Lebens schon hier und jetzt schmecken lassen will. Die Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5,3-12; Lk 6,20-23) verdichten diese Verheißung.
Mit seinem Leben und Sterben zeigt Jesus: es gibt keinen Menschen, der nicht Grund zur Hoffnung haben dürfte. Es gibt keine Hoffnung, die sich automatisch erfüllte. Jede stellt den Status quo in Frage. Jede verändert das Leben – oder sie ist keine Hoffnung. Menschen, die zu hoffen beginnen, sehen weiter – und sie gehen weiter: in ihrer Empathie, ihrem Engagement, ihrem Interesse. Sie hoffen nicht für sich selbst, sondern auch für andere – und sie zerstören nicht sich selbst, wenn sie sich für andere einsetzen, sondern gewinnen sich, wenn sie sich selbst verleugnen, und behaupten ihre Freiheit, wenn sie in ihre Schranken gewiesen werden sollen (Mk 10,41-45).
Jesus weckt diese Hoffnung, indem er sich auf die Hoffnung einlässt, die Menschen umtreibt. Deshalb fragt er den blinden Bartimäus, der ihn, den „Sohn Davids“ um Barmherzigkeit angefleht hatte: „Was willst du, dass ich dir tue?“. Als er dann hört: „Rabbuni, dass ich sehen kann“, weiß Jesus, was er tut, wenn er ihn heilt – aber nicht nur medizinisch: „Dein Glaube hat dich geheilt“, sagt er Bartimäus und führt ihn damit auf den Weg der Nachfolge (Mk 10,46-52).
Worauf zu hoffen ist
Bartimäus will sehen, um nicht mehr am Wegesrand sitzen und betteln zu müssen. Zachäus klettert auf einen Baum, um Jesus zu sehen, der ihn aus der Misere seines Reichtums befreien wird (Lk 19,1-10). Der Hauptmann von Kapharnaum tritt an Jesus heran, um für seinen kranken Knecht zu bitten (Mts 8,5-13; Lk 7,1-10). Eine Frau, die an unregelmäßigen Blutungen leidet, die sie kultisch verunreinigen, stiehlt sich von hinten an Jesus heran, weil sie sich denkt: „Wenn ich nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt“ (Mk 5,25-34). Vier Freunde lassen einen Gelähmten auf einer Bahre durchs Dach zu Jesus herunter, damit er sich seiner annehme (Mk 2,1-12). Ein Tischgenosse Jesu sagt: „Selig, wer Brot isst im Reich Gottes (Lk 14,15).
Jede einzelne Szene macht deutlich, dass im Zeichen der Hoffnung nicht der Egoismus Blüten treibt, sondern die elementaren Bedürfnisse des Lebens nach Gesundheit und Freiheit befriedigt werden: durch Empathie und Umkehr, durch Solidarität und Wiedergutmachung.
In jedem der Glücksmomente, die Hoffnung machen, bricht mitten im alten ein neues Leben an, mitten im Elend die Glückseligkeit, mitten im Sterben die Auferstehung. Ginge es nur um ein gesteigertes Leben im Diesseits, stände am Ende doch das Scheitern, das stoisch oder heroisch hinzunehmen wäre. Wenn aber die Hoffnung auf ewiges Leben erblüht, wird die irdische Gegenwart nicht etwa unwichtig, sondern im Gegenteil als entscheidende Zeit der Bewährung und der Geduld, der Erwartung und der Zuversicht erkannt.
Deshalb ist auch die Vollendung, die Hoffnung macht, nicht die Auflösung des Einzelnen ins Meer der Unendlichkeit, sondern im Gegenteil die göttliche Verwirklichung jenes Ja, das jedem Menschen, jedem Geschöpf und dem Ganzen Kosmos gilt – durch den Tod hindurch, in dem die Sünde in den Sündern stirbt, weil Jesus sie in Gerechtigkeit verwandelt.
Wie die Hoffnung erfüllt werden kann
Weil sich die Hoffnung auf das Leben richtet, das irdische wie das ewige, kann nur Gott selbst, der Schöpfer und Erlöser, die Hoffnung erfüllen, die ihren Namen verdient. Weil Gott allein Hoffnung machen kann, ist die Erfüllung nicht auf den St. Nimmerleinstag verschoben, sondern kann sich in jedem Moment ereignen: als neue Verheißung, solange die Zeit währt, und als unendliche Vollendung, wenn es ein Jenseits von Raum und Zeit gibt.
Weil nur Gott die Hoffnung bewahrheiten kann, sind die Menschen in einer doppelt glücklichen Rolle. Zum einen sind sie nicht zu denken genötigt, sie müssten aus eigener Kraft das Paradies errichten; wer dies versucht, macht anderen das Leben zur Hölle. Zum anderen dürfen sie sich berufen wissen, im Namen Gottes Hoffnung zu machen: wenn sie glauben, wie Jesus geglaubt, und lieben, wie Jesus geliebt hat. Sie werden durch Gott zu lebendigen Zeichen der Hoffnung: weil sie selbst hoffen, für sich und andere, in dieser und in jener Welt.
Titelfoto: Davizro photography / Adobe Stock