Die zunehmende Menge an digital verfügbaren Daten, kombiniert mit einer stetig steigenden Rechenleistung und neuen Verarbeitungsmethoden von Massendaten, macht die digitale Vernetzung von Objekten, Prozessen und Menschen in einer neuen Intensität möglich. Die vor allem auf Automatisierung zielende Vernetzung von Objekten („Cyber-Physical-Systems“) im „intelligenten Haus“, der „intelligenten Fabrik“, im „intelligenten Straßenverkehr“, im „intelligenten Stromnetz“ zum „Internet der Dinge“ wird kombiniert mit neuen Geschäftsmodellen und zusätzlichen Dienstleistungen. So ist der mit neuer Sensortechnik ausgestattete Kühlschrank über eine Bestellplattform mit Lagerbeständen, Lieferfahrzeugen und tragbaren Scannern verbunden, sodass entfernte oder abgelaufene Lebensmittel automatisch nachbestellt und die gebündelten Lieferungen am besten mit dem persönlichen Terminkalender, den Gesundheitsdaten des Fitnessarmbands und aktuellen saisonalen Angeboten abgeglichen und optimiert werden. So eine von vielen Visionen. Man verspricht sich hiervon zweierlei: eine enorme Optimierung von Prozessen und einen großen neuen Markt. Daher wird von einer „4. (industriellen) Revolution“ gesprochen. Nach Mechanisierung, Elektrifizierung, Computerisierung kommt jetzt als Viertes die Vernetzung, die unsere Arbeits- und Lebenswelt umkrempelt.
Aktuell birgt vor allem die künstliche Intelligenz (KI), insbesondere in Form „maschinellen Lernens“ (Erkennung von neuen Zusammenhängen in komplexen Daten) und „semantischer Technologien“ (automatische Analyse und Erzeugung von Sprache, Texte, Bildern), große Rationalisierungspotenziale – insbesondere in der Arbeitswelt. Diese liegen nur zum Teil in der Optimierung von Produktionsprozessen. Die Automatisierung mittels KI erobert vor allem die Sachbearbeitung und die Kundenschnittstelle und damit beispielsweise Versicherungen, Banken, (öffentliche) Verwaltung. Zum Beispiel können schriftliche Schadensmeldungen technisch ausgelesen, bewertet und zu einem großen Teil komplett bearbeitet werden. Zunehmend werden Kunden mit „künstlichen Gesprächspartnern“ (Bots) konfrontiert.
Überzeichnete Zukunftsszenarien
Diese und zahllose weitere reale Umsetzungen werden medial begleitet durch oftmals sehr vereinfachte und vor allem überzeichnete Zukunftsszenarien. Das hat in den vergangenen Jahren hohe Verunsicherung erzeugt. Die technischen Umsetzungsmöglichkeiten wurden oft zu optimistisch eingeschätzt. Dazu kamen überzogene Prognosen zum Verlust von Arbeitsplätzen. Demgegenüber gab es schon immer Hinweise darauf, dass die reale Arbeitspraxis wesentlich komplexer ist, als solche Zukunftsszenarien annehmen, und dass technische und organisatorische Veränderungen ständig neue Arbeit entstehen lassen. Eine solche – an der sozialen Arbeitspraxis orientierte – Perspektive setzt sich aktuell mehr und mehr durch: Die Prognose, dass der Arbeitsplatzverlust durch neue Technologien am Ende eher gering sein wird, wird zunehmend mehrheitsfähig. In den Fokus rücken damit endlich die Herausforderungen, die mit einem beschleunigten, breiten und zum Teil massiven Wandel der Arbeitstätigkeiten und der Arbeitsorganisation einhergehen – und zwar nicht nur mit Blick auf Qualifizierung und Weiterbildung, sondern insbesondere auch bezüglich der Gestaltung von Branchenbrüchen, betrieblichen Wandlungsprozessen, neuen Organisationsformen und einer veränderten Zusammenarbeit von Mensch und (nun zum Teil „intelligenter“) Technologie.
Realistische Einschätzungen
Es gilt jedoch ganz am Anfang die Möglichkeiten und Defizite neuer Technologien realistisch und vorausschauend einzuschätzen. Die technologiefokussierte Anwendungsforschung stellt die technische Machbarkeit in den Mittelpunkt, blendet dabei jedoch die Grenzen technischer Lösungen zu sehr aus. Insbesondere die Reichhaltigkeit menschlichen Arbeitshandelns und die Komplexität der realen, physischen und sozialen Wirklichkeit werden unterschätzt und die Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit unserer Welt systematisch überschätzt.
Statt sich mit der Frage der nachhaltigen Arbeitsteilung zwischen Mensch und Technik auseinanderzusetzen, die auf der Verschiedenheit zwischen Mensch und Technik beruht, wird eine Art Wettbewerb verfolgt, möglichst viele menschliche Fähigkeiten technisch ersetzbar und simulierbar zu machen: motorische und kognitive Fertigkeiten, aber auch Kreativität und Empathie. Das Bild der anthropomorphen, menschenähnlichen Maschinen wird dabei mit viel Aufmerksamkeit belohnt, vor allem weil es Ängste schürt.
Dabei wird ausgeblendet, dass Technik, wenn sie menschliche Tätigkeiten „ersetzt“, erstens dasselbe Ziel auf eine deutlich andere Art und Weise verfolgt und zweitens auch das Resultat anders ist – manchmal unmerklich, aber doch wesentlich. Beides hat relevante Auswirkungen auf den Einzelnen und die Gesellschaft. Wenn zum Beispiel das technische System AlphaGo gegen einen menschlichen Go-Meister im Go-Spielen (komplexer als Schach) gewinnt, der das Spiel intuitiv spielt, hat sich die künstliche Intelligenz nicht Intuition angeeignet, sondern löst dasselbe Problem, das ein Mensch einfach durch Intuition löst, mittels eines enormen technologischen Aufwands sowie Unmengen von Daten und Ressourcen.
Der menschlichen Intuition vertrauen
Und weiter: Autonome Systeme im Straßenverkehr werden dann leichter einzusetzen sein, wenn wir unser Verhalten im öffentlichen Raum regelgeleiteter und berechenbarer gestalten. Wenn künstliche Intelligenz in Bewerbungsgesprächen anhand von Mimik und Sprache Auswahlentscheidungen trifft, wenn Lernverhalten in Schulklassen mittels Gesichtserkennung eingeordnet wird, werden wir lernen, die Systeme durch angepasstes Verhalten zu „bedienen“. Wenn wir in Wirtschaft, Politik und Privatleben KI-basierte Expertensysteme zur Entscheidungsunterstützung nutzen, droht die Gefahr, dass wir uns zu sehr an Wahrscheinlichkeiten orientieren und den Sinn für Abweichungen und Vielfalt, Bauchgefühl und Intuition verlieren. Das kann bedeuten, dass wir uns vom „Gegenstand“ der Entscheidungen oder von unserer realen Arbeits- und Lebenspraxis distanzieren. Es droht die Gefahr, dass wir menschliche Kenntnisse und Fähigkeiten verlieren, die wir an die Technik „abgeben“, und dass wir – wie KI auch – auf statistische Fehlschlüsse hereinfallen, wenn wir den Sinn von berechneten Zusammenhängen nicht mehr hinterfragen können.
Um dies zu vermeiden, müssen wir an zwei Stellen ansetzen: Es braucht zum einen eine interdisziplinäre Auseinandersetzung zwischen Technikentwicklung und sozialwissenschaftlicher Forschung, die sich sowohl an technischen Bedarfen als auch an der Arbeits- und Lebenspraxis der Menschen orientiert und so eine „Co-Evolution“ zwischen Mensch und Technik ermöglicht, die beiden Seiten gerecht wird. Zum anderen muss der technologische Wandel durch Aufklärung und Qualifizierung begleitet werden, um zu einem kritischen Umgang mit digitalen Technologien und einem realistischen Blick auf sie zu befähigen und zu einer nachhaltigen Gestaltung der Digitalisierung zu ermächtigen. Für beides sind gerade die unterschiedlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten von Mensch und Technik der entscheidende Ausgangspunkt.
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