Familien brauchen Qualität
Familienzeit und institutionelle Betreuung gehören zusammen
Interview mit Kerstin Schreyer-Stäblein
Schreyer-Stäblein ist Dipl. Sozialpädagogin (FH) und Familientherapeutin (DGSF). Sie arbeitet seit 1999 in der Jugendhilfe sowie mit Erwachsenen, die eine psychiatrische Diagnose haben. Sie ist Vorsitzende der CSU-Familienkommission und Mitglied des Fraktionsvorstands. Sie ist verheiratet und hat eine siebenjährige Tochter.
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Gemeinde creativ: Welche Bedeutung, welchen Wert hat Familie für Sie persönlich?
Schreyer-Stäblein: Familie ist für mich die Basis, von der aus man startet. Dort wird man geerdet, das wirklich Wichtige im Leben lernt man dort. Wenn Familie nicht funktioniert, brauche ich über alle anderen Fragen in der Gesellschaft oder in der Politik auch nicht nachzudenken. Familie ist der Ort, wo man so sein kann wie man ist, wo man auch mal nicht funktionieren muss, wo man Zeit hat, wo man aufgefangen wird.
Gemeinde creativ: Viele haben diese Zeit nicht in und für die Familie. Viele haben Probleme, Familie zu organisieren, zu leben, wie sie es gerne möchten. Was kann Politik hier tun?
Schreyer-Stäblein: Ich glaube, dass die Zeit jeder hat, wenn er sie einplanen möchte. Familie gewinnt ja nicht an Qualität durch die Menge an Zeit, sondern durch deren Qualität. Familien, in denen beide Vollzeit zu Hause sind, bedeutet deshalb nicht automatisch die maximale Qualität von Familienzeit. Die Frage ist, wie gehe ich miteinander um. Ich baue mir in meinen Zeitplan bewusst Zeiten für Familie ein. Dass es hier natürlich auch eine gewisse Menge braucht, ist klar, aber es geht eher um die Qualität von Zeit.
Gemeinde creativ: Resultieren daraus für Sie Ziele für die Familienpolitik?
Schreyer-Stäblein: Für mich braucht es die Wertschätzung in der Gesellschaft. Das kann Politik alleine nicht steuern. Aber Politik muss einen Beitrag dazu leisten. Es beginnt mit der Wertschätzung der Menschen, die sich entscheiden Kinder zu bekommen und großzuziehen. Die Wertschätzung geht weiter, wenn jemand sagt, ich möchte Zeiten investieren, um meine Eltern zu versorgen, zu pflegen. Aus meiner Sicht ist die Frage nach wie vor nicht gelöst, dass es heute offensichtlich ein Altersarmutsrisiko bedeutet, wenn man viele Zeiten für diese Aufgaben, die so wichtig sind, verwendet. Da muss Politik noch massiv nachsteuern. Ein Teil passiert jetzt, wenn die Rentenanrechnungszeiten bei den Kindern, die vor 1992 geboren wurden, diskutiert werden. Das ist für mich aber nur ein kleiner Beitrag. Denn wenn Familie in der Gesellschaft ein Wert sein soll, müssen sich noch viele Dinge ändern, in Politik und Gesellschaft.
Gemeinde creativ: In der Politik scheint es mir fast leichter zu sein, etwas zu verändern. Aber wie bewegt man eine ganze Gesellschaft in ihrer Einstellung zur Familie?
Schreyer-Stäblein: Ich glaube, dass jeder Einzelne von uns gefragt ist und in seinem Umfeld gefordert ist zu überlegen, ob er beispielsweise von der „Nur-Hausfrau“ spricht. In Deutschland wird, im Vergleich zu vielen anderen Ländern in Europa, die Qualität von Berufstätigkeit direkt proportional mit der Anwesenheit in einer Firma gesehen. Gerade in den skandinavischen Ländern kann man nicht nachvollziehen, warum Eltern nach fünf Uhr noch in der Arbeit sind. Ich denke, dass es nicht um Anwesenheiten geht, sondern darum, welche Ergebnisse am Ende herauskommen. Das ist keine Frage der Unternehmer allein, sie sind das Spiegelbild der Gesellschaft. Neben den Anwesenheitszeiten, über die wir neu diskutieren müssen, geht es auch darum, ob Führungsaufgaben in beispielsweise 30 Stunden erfüllt werden können. Oder ist es möglich Arbeitszeiten unter den beiden Eltern zu teilen und dies so zu organisieren, dass jeder Elternteil damit Zeit für Kinder oder zu pflegende Angehörige hat.
Gemeinde creativ: Das geht über das hinaus, was momentan aktuell zur Betreuungsfrage diskutiert wird. Sie sind selbst Sozialpädagogin: Können Professionelle besser betreuen?
Schreyer-Stäblein: Sie können es nicht besser. Ich glaube vielmehr, dass wir aufhören müssen zu werten. Die Eltern sind das solide Fundament, die den Kindern Werte und Erziehung beibringen. Das kann kein anderer als die Eltern. Bindungsfähigkeit oder Toleranz beispielsweise müssen in der Familie vorgelebt werden. Kinder können auch sehr gut auf den Weg gebracht werden, wenn sie ergänzend in einer Krippe, in einer Kindertageseinrichtung betreut werden. Entscheidend ist die Qualität der Einrichtung. Und es geht um die Zeit, die die Eltern daneben noch in ihre Kinder investieren. Wir müssen aufhören zu werten, was das bessere ist. Jede Familie hat das Recht zu entscheiden wie sie leben möchte und wir müssen als Politik einen Rahmen bieten. Im Bereich Kinderbetreuung hatten wir durchaus Nachholbedarf, weshalb das aktuell debattiert wird, wie auch das Betreuungsgeld. Ich würde mir wünschen, dass wir weg kommen von den Ideologien und den Familien mehr Kompetenz zutrauen, dass sie entscheiden können, wie sie ihre Kinder aufziehen wollen.
Gemeinde creativ: Die Probleme, die aus den Krisen der Familie resultieren, betreffen ja nicht nur die Familien selbst. Ein Rückgang der Kinderzahl betrifft ja auch die gesamte Gesellschaft und letztlich auch den Staat, ein funktionierendes Staatswesen. Was können wir tun?
Schreyer-Stäblein: Ich sehe die Familie nicht in der Krise. Ich sehe Herausforderungen, was wir aber auch schon zu Zeiten unserer Großeltern hatten. Und die Gesellschaft wandelt sich. Wir müssen diesen Wandel politisch begleiten. Dass die Geburtenrate nicht so ist, wie wir sie gerne hätten, macht mir auch Sorge. Aber ich erinnere in diesem Zusammenhang an meine Überlegungen zur Arbeitswelt. Wenn wir hier etwas verändern, kommt auch Bewegung in die demographische Entwicklung. Wenn sich immer mehr Väter trauen, stärker Erziehungsverantwortung zu übernehmen, wird es auch nicht mehr eine Frage der Geschlechter sein. Natürlich wird die Frau immer das Kind bekommen, aber wenn die Verantwortung sich auf beide Eltern verteilt, wird es anders sein.
Gemeinde creativ: Welche Instrumente hat denn die Politik zur Verfügung?
Schreyer-Stäblein: Die Politik kann zwar mit Fördergeldern steuern, aber ich glaube, was viele Eltern, die – auch teilweise – zu Hause bleiben, um bewusst für ihre Kinder da zu sein, am meisten stresst, ist die mangelnde Wertschätzung, diese Rede von der „Nur-Hausfrau“. Wenn zum Beispiel die Zeit und Förderung des Kindes auf dem Spielplatz als echte Arbeitsleistung gesehen wird, dann glaube ich, werden viele Menschen sich wieder entscheiden, Kinder zu bekommen.
Gemeinde creativ: Die Diskussion hat ja auch etwas mit Werten zu tun. Manche meinen, dass für Werte die Kirche zuständig sei. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat für die Familien?
Schreyer-Stäblein: Ich denke, dass hier noch viel stärker zusammengearbeitet werden müsste. Politik kann keine Werte verordnen, solche Staatssysteme haben wir überwunden. Politik lebt aber durch die Art wie sie Themen besetzt oder wie sie über Themen spricht. Die Kirche kann Werte, gerade in Einrichtungen sehr pragmatisch vermitteln. Wenn ein Kind noch nicht trocken ist, kann es dann in den Kindergarten gehen? Oder muss es erst eine bestimmte Leistung erfüllen, um dort zugelassen zu werden. Ich überspitze das jetzt ein bisschen, aber ich glaube, wenn Kirche ihre Werte in die Einrichtungen transportiert, dann bedeutet das auch jeden – kleinen – Menschen in seiner Einzigartigkeit zu sehen, mit seinen Stärken und Schwächen.
Gemeinde creativ: Was bedeutet das konkret?
Schreyer-Stäblein: Das Trockenwerden ist dafür ein pragmatisches Beispiel. Kirche lebt für mich in Kindergärten durch die Art, wie man dort mit den Menschen umgeht; besonders mit dem Teil der Eltern, bei denen ich merke, dass sie ein Stück weit überfordert sind, in dem ich liebevoll Beratung anbiete; mit den Mitarbeitern, die spüren müssen und spürbar werden lassen müssen, was es heißt, in einer christlichen Einrichtung zu arbeiten. Es schadet auch nicht, immer wieder zu sagen, was eine kirchliche Einrichtung von einer staatlichen unterscheidet: Dass sie eben vom Glauben und vom christlichen Menschenbild geprägt ist und dass sie versucht sich praktisch diesem Maßstab immer weiter anzunähern.
Gemeinde creativ: Es gibt ja oft den Vorwurf, dass Kirche ein enges Familienbild hätte. Wie sollte sich Kirche gesamtgesellschaftlich aufstellen zum Thema Familie?
Schreyer-Stäblein: In der Praxis erlebe ich, dass die Kirche ein breites Angebot für alle möglichen familiären Konstruktionen bietet. Kirche schafft es dennoch aus meiner Sicht genauso wenig wie alle anderen Institutionen, Familien zu erreichen, denen es sehr schlecht geht und die teilweise auch nicht spüren wo Hilfebedarf ist. Wir haben gerade im Bereich der Jugendhilfe massive Fallzahlsteigerungen bei Kindswohlgefährdungen. Es sind aber oft diese Familien, die durch alle Raster fallen, die wir nirgends erreichen, die Kirche oft auch nicht. Erst wenn etwas passiert, greifen die staatlichen Institutionen. Das macht mir große Sorge. Mehr und mehr Menschen fühlen sich von ihren Aufgaben in der Familie überfordert. Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung sind es rund ein Drittel aller Eltern, die sich nahezu täglich überfordert fühlen. Das ist viel. Hier müssen wir hinschauen und Hilfe anbieten.
Gemeinde creativ: Die Sicht auf Familie ist das eine, aber Kirche hat ja manchmal eine zugespitzte Sicht auf Ehe. Wie sehen Sie das als CSU-Politikerin?
Schreyer-Stäblein: Ich denke, Kirche vertritt Werte und die Ehe ist ein hohes Gut, weshalb Kirche auch weiterhin aus meiner Sicht gut beraten ist, dafür einzutreten. Aber Ehe ist nicht automatisch ein Garant dafür, dass es Kindern immer gut geht. Kinder wachsen in verschiedensten familiären Lebensformen auf, in denen es ihnen auch gut gehen kann. Gesellschaft und Politik sollte die unterschiedlichen familiären Lebensformen respektieren und die Familien unterstützen.
Das Interview führte Thomas Jablowsky