Dimas hatte alle Voraussetzungen. Sein Leben hätte auch richtig schief gehen können – dank der Arbeit von Violence Prevention Network (VPN) ist es das nicht. VPN arbeitet mit jungen Menschen, die sich radikalisiert haben: Neonazis, Schläger, Salafisten, Ausreisewillige und Rückkehrer aus Syrien und dem Irak. Die erfahrenen Sozialpädagogen unterstützen Eltern und Schulen in Sachen Extremismusprävention und Deradikalisierung.
„Vieles baut man sich da selber, zusammen mit Freunden, solche Gedanken über Stolz und Ehre. Man fühlt sich wohl mit denen, ist als Gruppe unterwegs und will dazugehören. Man hat ja sonst niemanden. Ist quasi wie Familie“, sagt Dimas heute. „Um die nicht zu verlieren, machst du vieles. Wenn die Mist bauen, baust du mit. Wenn die schlagen, schlägst du mit.“ Als er nach mehreren Straftaten im Knast landet, ist für ihn eine Grenze erreicht. Er will so nicht weitermachen, will sein Leben ändern. Thomas und Stephan, zwei Trainer von Violence Prevention Network helfen ihm dabei. Heute hat er sein Leben im Griff.
Seit 2001 kümmert sich VPN deutschlandweit um junge Menschen wie Dimas. Die Arbeit der erfahrenden Sozialpädagogen erfordert Fingerspitzengefühl und Kultursensibilität. Viele Klienten haben Migrationshintergrund, aber längst nicht alle, sagt Mitbegründer und Geschäftsführer Thomas Mücke. Und: „Den Radikalisierungsprozess gibt es nicht.“ Auslöser sind in den seltensten Fällen wirklich ideologische Gründe. Zumeist liegt ein anderer Konflikt zugrunde, sagt Thomas Mücke: Demütigungen, Mobbing, Diskriminierung oder die familiäre Situation.
„Islamisten benutzen den Islam als eine Art Steinbruch für ihre Agenda“
Die meisten Klienten seien zwischen 17 und 19 Jahre alt – eine Lebensphase der Sinnsuche und Orientierung, in der junge Menschen besonders anfällig seien für die einfachen Antworten der Extremisten. Zu Beginn habe man vorwiegend mit rechtsextremen Jugendlichen zu tun gehabt, die Erfahrungen von damals helfen heute im Umgang mit Salafismus. Rhetorik, Strategien und Rekrutierung funktionierten ähnlich. „Islamisten benutzen den Islam als eine Art Steinbruch für ihre Agenda“, sagt Mücke, „sie suchen sich die Regeln aus, die sie brauchen, um ihren Extremismus zu begründen.“
An VPN wenden sich besorgte Eltern, Lehrer oder manchmal auch Freunde, die merken, dass sich ein Jugendlicher stark verändert. Ein Kind zieht sich zurück, Schulleistungen sacken ab, das sind laut Thomas Mücke zwei der häufigsten Indizien. VPN nimmt dann Kontakt zu denjenigen auf, die Rat gesucht haben und auch zu den betroffenen Jugendlichen selbst. Da heißt es manchmal, hartnäckig sein und auf unkonventionelle Streetworker-Methoden setzen. Anfangs gibt es oft Misstrauen. „Aber wir bleiben dran“, sagt Mücke. „Wenn es sein muss, schieben wir auch Zettel unter dem Türspalt durch.“ Es sei wichtig, als „interessante Erwachsene“ wahrgenommen zu werden. Keine Gegennarrative, kein Oberlehrer-Gehabe, keine Wahrheiten, kein Indoktrinieren. Die Mitarbeiter von VPN wollen stattdessen zu eigenständigem Denken anregen und dem Jugendlichen zeigen, dass er, seine Situation, seine Probleme ernst genommen werden und er auch Fragen stellen darf – eine Sache, die in seinem Umfeld vorher häufig nicht möglich war. Das alles brauche vor allem eines: Zeit. Nicht selten arbeiten die Experten von VPN mit einem Jugendlichen mehrere Jahre zusammen.
„Wenn wir scheitern, steht nicht nur das Leben eines Betroffenen auf dem Spiel“
Thomas Mücke weiß, wie wichtig die Arbeit von VPN ist: „Wenn wir scheitern, steht nicht nur das Leben eines Betroffenen auf dem Spiel“, sagt er. Und obwohl die Terrorismusdebatte der vergangenen Jahre viel verändert und den Staat zum Handeln gebracht habe, gebe es weiterhin viel zu tun, da sowohl die rechtsextreme Szene wie auch der religiös begründete Extremismus ungebrochen weiter Zulauf erfahren.
Mücke wird oft gefragt, warum er und seine Kollegen sich überhaupt mit Extremisten auseinandersetzen, Zeit und Mühe in sie investieren – und er hat eine klare Antwort darauf: „Junge Menschen darf man nicht aufgeben. Wer Fehler begangen hat, muss eine ehrliche, zweite Chance erhalten.“
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