Von Gott in den Dienst genommen
Von Brigitte Wieder
Ruhestand“ ist ein Begriff, den wir mit dem Altwerden verbinden. Wer sein Leben lang gearbeitet hat, verdient es in den Ruhestand zu gehen. Diese Verbindung zwischen dem Alter und dem Ruhestand mag für das Arbeitsleben stimmen, aber für unser Glaubensleben trifft sie nicht zu. In der Bibel kommt das Wort „Ruhestand“ nicht vor und die biblischen Erzählungen über alte Menschen sind alles andere als Ruhestandsgeschichten.
Denken wir an Noach, der Gnade fand in den Augen Gottes und von ihm den Auftrag erhielt die Arche zu bauen und so das Überleben des Menschen und der Tierwelt in Zeiten der großen Flut zu sichern. Er lebte nach der Flut noch dreihundertfünfzig Jahre und starb mit – symbolischen – neunhundertfünfzig Jahren (vergleiche Gen 6-9).
Oder Abraham, der im Alter von fünfundsiebzig Jahren von Gott die Weisung bekam aus seiner Heimat wegzuziehen und mit seiner Frau Sara zusammen der Begründer eines großen Volkes zu sein und der Menschheit zum Segen zu werden (vergleiche Gen 12-21).
Und Mose führte das Volk Israel im hohen Alter durch die Wüste und starb auf dem Gipfel des Berges Nebo, mit Blick auf das verheißene Land, im Alter von einhundertzwanzig Jahren (vergleiche Dtn 34,1-7).
Im Neuen Testament begegnen wir Simeon – auf dem der Geist Gottes ruhte und dem verheißen wurde nicht zu sterben, ehe er den Messias gesehen habe – und der vierundachtzigjährigen Prophetin Hanna, die beide Jesus bei seiner Beschneidung im Tempel als den von Gott gesandten Erlöser erkennen und bezeugen (vergleiche Lk 2,21-40).
All diese biblischen Berichte zeigen uns, dass es in der Beziehung zu Gott und auch in der Nachfolge Jesu keinen Ruhestand gibt. Auch damals waren ältere Menschen natürlich nicht frei von Beschwerden. Wenn aber in biblischen Geschichten von älteren Menschen berichtet wird, geht es nicht darum auf ihre mögliche Gebrechlichkeit, ihre zunehmende Vergesslichkeit oder andere Schwächen hinzuweisen, sondern es geht vielmehr darum ihre Lebenserfahrung, ihren Glauben und ihre in einem langen Leben erworbene Weisheit zu nutzen.
Gott schickt niemanden in den Ruhestand, er entpflichtet niemanden aus seinem Dienst. Für Gott zählt nicht das Alter und nicht die Arbeitskraft. Für Gott ist allein entscheidend wie im Leben eines Menschen die Beziehung zu ihm gelebt, gestaltet und umgesetzt wird. Christ sein ist ein lebenslanger Prozess, der nicht im Alter endet, sondern in jeder Phase des Lebens seine eigenen Facetten, Stärken und Aufgaben hat.
Gott schätzt an Noach, an Abraham, an Mose, an Simeon, an Hanna und an weiteren hochbetagten biblischen Personen ihren tiefen Glauben, ihre Weisheit, ihre Lebenserfahrung und ihr Vertrauen an seine Fügung und Wegbegleitung.
Wenn kranke und einsame alte Menschen heute zuweilen sagen „Zu was bin ich noch nütze?“, kann unsere Antwort als Christen lauten: „Um deine Beziehung zu Gott zu leben, um deine Freundschaft zu Gott anderen spürbar werden zu lassen und um dein Wissen und deine Glaubenserfahrung anderen zum Segen werden zu lassen.“
In unseren Gemeinden wird die wichtige Rolle der Senioren bei einem Blick in unsere Kirchen sichtbar. Es sind meist die älteren Frauen und Männer, die in Eucharistiefeiern und bei den verschiedensten Andachtsformen da sind um zu beten und Gott die Ehre zu geben.
Übrigens gilt für Alt und Jung die Zusage Jesu: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11,28). Doch diese Ruhe Jesu Christi hat mit „Ruhestand“ nichts zu tun.