„Ein feste Burg ist unser Gott“ (Martin Luther) – und unser Glaube an ihn: eine Burg ist aber nichts Monolithisches und Luftdichtes: sie hat Türen, Tore und Fenster, die man öffnen kann, um frische Luft hereinzulassen und auch Gäste aufzunehmen. Wir glauben an einen persönlichen Gott und sind in einer Beziehung zu ihm. Die Offenheit ist konstitutiv für diese Beziehung, für den Glauben und das Leben der Christen. Die Offenheit macht es möglich, dass uns der Heilige Geist seinen erfrischenden und erlösenden Hauch sendet. Ich glaube, es ist eine tiefe Überzeugung aller Menschen, die der Einheit des Leibes Christi gerne dienen: Die Ökumene wird stark, wenn sie auf Christus konzentriert bleibt und vom Geist erleuchtet wird.
Christus ebnet den Weg des Geistes ein. Aber auch ohne die dritte Person der Dreieinigkeit gibt es keinen richtigen Zugang zum Erlöser, denn „Niemand kann sagen: Jesus ist der Herr, außer durch den Heiligen Geist“ (1 Kor 12,3). Die Kirche braucht den Geist, um ihr Haupt zu erkennen. Der Geist ist derjenige, der Jesus als den Christus offenbart. Er lehrt keinen anderen Christus, aber er offenbart Jesus als den Christus, garantiert die Dynamik von Kontinuität und Erneuerung im Leben der Kirche.
Die Natur der Kirche ist dynamisch; dies verdeutlicht das Bild des Leibes Christi. Ein Leib hat eine Identität, aber sie ändert sich, sie entwickelt sich. Der Heilige Geist steuert dieses Wachstum. Er ermöglicht es anhand der Vielfalt der Charismen, die er an die Gläubigen schenkt. Dank der Ökumene haben wir gelernt, dass der Andere echte Gaben in sich trägt, Gaben, die ihm der Geist geschenkt hat. Der Geist ist der Paraklet, nämlich der Tröster. Er ist aber gleichzeitig der Schöpfer, der „creator“. Er ist Tröster, gerade weil er Schöpfer ist. Seine Gnade garantiert, dass die Kirche das Neue, das Novum erwarten darf. Er schenkt Hoffnung, und damit ist nicht nur das Eschaton gemeint. Gott wirkt in der Geschichte. Er braucht Mitarbeiter der Wahrheit, „cooperatores veritatis“. Als Lenker der Geschichte hebt der Geist unsere Verantwortung nicht auf: im Gegenteil, er schenkt uns die Gaben, um sie angemessen zu entfalten.
Die Ökumene stärkt uns bei der Unterscheidung zwischen unserem Schatz, dem Evangelium, und den irdenen Gefäßen, in denen dieser getragen wird. Die Erfahrung des Anderen macht die Relativität unserer Ansichten bewusst. Viele Leute haben Angst vor der Ökumene, weil sie Angst vor dem Geist haben, Angst vor dem Novum, das der Geist gerade durch das Miteinandersein der Christen einführt. Sie möchten dem Geist keinen Raum lassen, damit er seine erneuernde und schöpferische Aktivität entfaltet. Sie wünschen sich, dass alles so bleibt, wie es ist. Götzenverehrung ist gemütlich. Aber da gerade kann man eine große Aufgabe der Theologie und der Ökumene sehen: Kritik gegen die Verabsolutierungen, gegen die Idole, die wir jeden Tag aufbauen: ideologische Verengung, Stereotypen, Engstirnigkeit, Schönfärberei oder Dämonisierung der Vergangenheit oder des jeweiligen Anderen.
Die Ökumene ist nicht nur Theologie, obwohl diese nicht zu kurz kommen darf. Sie ist auch gemeinsames Gebet und persönliche Begegnung. Und sie fördert auch eine gesunde Spiritualität, die Freiraum in den menschlichen Seelen öffnet, damit der Geist seine Gaben schenken kann. Der Geist der Wahrheit ist auch der Geist der Liebe. Und ermöglicht die Präsenz Christi in uns. In der Mystik der Orthodoxie, aber auch in anderen mystischen Traditionen des Christentums, spricht man von Gott als einem Liebhaber, der die menschliche Seele zu erobern versucht. Die überwältigende Kraft der Liebe Gottes kann in der Sprache des Eros überzeugend zum Ausdruck gebracht werden. Es geht um eine Liebe, die überwältigt, aber nicht überfordert.
Jean-Luc Marion, ein französischer katholischer Philosoph unserer Zeit, schreibt: „Gott geht uns gegenüber voraus und überholt uns, indem er uns endlos besser liebt, als wir lieben, und konkreter, als wir ihn lieben. Gott überholt uns als besserer Liebhaber.“
In dieser Sicherheit, in der Sicherheit des Geistes, dass Gott besser liebt als wir, dass Gott die Fehler unserer Liebe korrigiert, dass er das letzte Wort haben wird und dass dies ein Wort der Liebe sein wird, lebt die Ökumene und deswegen machen ihre Dienerinnen und Diener gerne weiter.
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