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Gemeinschaft, Gastfreundschaft und Geduld prägten die ersten christlichen Gemeinden. Im Umgang miteinander trennt sich die Spreu vom Weizen, das sollten Haupt- und Ehrenamtliche in ihrem Tun bedenken, findet unser Autor.
In seinem lesenswerten Büchlein „Kirche als Moralagentur?“ schreibt Hans Joas ganz am Schluss: „Ein anderer Umgang miteinander, wenn er als Vorschein dessen, was die Kirchen zu verkünden haben, erlebbar wäre, hätte selbst, da bin ich sicher, missionarische Wirkung. Deshalb soll am Ende stehen das ein wenig hilflose, aber doch Hoffnung spendende Wort des Apostel Paulus: Habt Geduld und versucht in Liebe miteinander umzugehen (Eph 4,2).“
Das klingt einfach und keiner wird dem widersprechen. Jesus fordert die Seinen und damit auch uns immer wieder zu der Liebe auf, die ihn mit dem Vater und ihn mit uns verbindet. Wie schaut aber die Wirklichkeit aus, gerade auch in unseren Pfarreien, in Verbänden und Gremien?
Wenn Kirche heutzutage vielen altbacken und überholt erscheint, liegt es doch auch daran, dass wir den Elan und Schwung des Anfangs nicht mehr haben. Der Aufbruch, den das Konzil mit sich brachte, erlahmte, wurde ausgebremst, wohl auch deswegen, weil wir, die Akteure von damals, manchmal zu wenig auf die Leute achteten. Euphorie allein genügt nicht. Neue Ideen brauchen Hand und Fuß, und die haben nur wir Menschen.
Da ist zunächst sicher viel Positives zu berichten. Der Dialogprozess, den unsere Bischöfe 2011 angestoßen und 2015 zu Ende geführt haben, ist ein Hoffnung machendes Ereignis. Es hat sich eine Kultur des Miteinander-Umgehens entwickelt, die auch in kritischen Situationen belastbar ist. Auch die sogenannte zwischenmenschliche Ebene trägt für gewöhnlich. Wir könnten also zufrieden sein.
Dass wir miteinander kommunizieren müssen, ist für uns ein alltäglicher Vorgang und das verläuft scheinbar selbstverständlich und wird auch nicht weiter problematisiert. Trotzdem gibt es Missverständnisse, Streit und Missgunst, gibt es Leute, die ihr „Herrschaftswissen“ ausleben, gibt es Reibereien zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen, ist die Kommunikation mit den jungen Leuten gestört, so sie nicht überhaupt fehlt, ist für viele die Pfarrei nicht mehr bestimmend für ihre kirchliche Sozialisation, wird Kirche immer mehr zu einer Nebensache, auf die man gut verzichten kann. Wir alle kennen das. Die Frage ist, ob das so bleiben soll.
Zurück zu den Anfängen
Am Anfang der Kirche, von der Gemeinde in Jerusalem, lesen wir in der Apostelgeschichte: Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte. Tag für Tag verharrten sie einmütig im Tempel, brachen in ihren Häusern das Brot und hielten miteinander Mahl in Freude und Einfalt des Herzens. Sie lobten Gott und waren beim ganzen Volk beliebt. Und der Herr fügte täglich ihrer Gemeinschaft die hinzu, die gerettet werden sollten. (Apg 2,44-47) Und weiter: Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam. Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. (Apg 4,32.35)
Sicher, das gesellschaftliche Umfeld war damals ganz anders und in keiner Weise mit dem in unserer globalisierten Welt zu vergleichen. Die Menschen waren eingebunden in Großfamilien und waren deshalb in der Regel auch sozial abgesichert, wenn auch oft auf niedrigem Niveau. Die Hürden und Grenzen, die wir vor den anderen aufbauen, waren damals nicht so trennend und leichter zu überwinden. Gastfreundschaft war selbstverständlich und keine besondere Tugend oder Leistung. Dieses Gemeindemodell war erfolgreich. Was damals begonnen hat, ist der Anfang einer Kirche, die jetzt Weltkirche ist, ist der Anfang der vielen christlichen Gemeinden, Gemeinschaften und Kirchen.
Gehen wir der Sache auf den Grund: Wie sieht es da in unseren Gemeinden, Pfarreien und Verbänden aus? Nach fast fünfzig Jahren Dienst in der Kirche, durch meine Tätigkeit in der Militärseelsorge und dem Erleben von Gemeinden in ganz Deutschland von Süd bis Nord und West bis Ost, weiß ich: die Frage des Umgangs miteinander, vor allem des Redens miteinander, übereinander und voneinander, ist von entscheidender Bedeutung.
Sprache als Schlüssel
Es ist eine Untugend, dass wir immer wieder der Versuchung erliegen, übereinander zu reden und weniger miteinander. Und die Neuigkeit von einem anderen hat auch immer ihren Reiz. Über andere zu schimpfen und zu lästern, ist einfacher als sie zu loben.
Es ist auch von nicht geringer Bedeutung, wie die Gemeinde mit ihren Seelsorgern umgeht. Das Burnout von manchem jungen Mitbruder, aber auch von pastoralen Mitarbeitern kommt nicht von ungefähr. Wo sind die Leute, die sich um sie kümmern, bei denen sie ankommen? Für die gilt, was Jesus im Matthäusevangelium zu seinen Jüngern sagt: Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist – Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen. (Mt 10,40-42)
Die christliche Gemeinde lebte am Anfang von einer selbstverständlichen Gastfreundschaft; ein Paulus wäre anders nicht fast durch die ganze damals bekannte Welt gekommen. Aus diesem gelungenen Miteinander und Füreinander ist die Kirche gewachsen und es täte uns allen gut, sich dieses unseres Anfangs, unseres Entstehens zu erinnern und daraus auch die Konsequenzen zu ziehen.“„Die christliche Gemeinde lebte am Anfang von einer selbstverständlichen Gastfreundschaft; ein Paulus wäre anders nicht fast durch die ganze damals bekannte Welt gekommen. Aus diesem gelungenen Miteinander und Füreinander ist die Kirche gewachsen und es täte uns allen gut, sich dieses unseres Anfangs, unseres Entstehens zu erinnern und daraus auch die Konsequenzen zu ziehen.
Für die Kirche von heute gilt: Es bedarf der Frauen und Männer, die Verantwortung tragen – ohne die geht es auch für Jesus nicht, er beruft seine Apostel. Und es bedarf der Gemeinde, die sie aufnimmt, also der Frauen und Männer, die sich um sie, um die Verkündigung und um die Glaubwürdigkeit des Evangeliums kümmern. Nur in der Harmonie, im Wahrnehmen der eigenen Verantwortung kann Verkündigung gelingen, kann Kirche aufgebaut werden.
Und da gibt es manch ungute Entwicklungen in unserer Kirche, die oft weit von dem entfernt ist, was wir in der Apostelgeschichte von den ersten christlichen Gemeinden lesen, nämlich, dass sie ein Herz und eine Seele (Apg 4,32) sind. Das Ineinander der verschiedenen Berufungen, Charismen und Begabungen funktioniert nicht mehr. Im Leib Christi, der die Kirche nun einmal sein soll, knirscht es sehr.
Gemeinden fühlen sich allein gelassen, sie kennen ihren Pfarrer nur noch vom Vorbeigehen und der, weil für mehrere Gemeinden zuständig, kennt seine Leute oft gar nicht mehr. Die „große“ Gemeinde von heute ist die Seelsorgeregion aus mehreren Pfarreien, früher waren es die vielen Leute, die eine Gemeinde „groß“ machten. Die Seelsorge hat kein Gesicht mehr. Es wird mehr verwaltet, denn gelebt. Ein lebendiges Gemeindeleben ist so fast nicht mehr oder nur schwer möglich.
Wenn Kirche heutzutage vielen altbacken und überholt erscheint, liegt es doch auch daran, dass wir den Elan und Schwung des Anfangs nicht mehr haben. Der Aufbruch, den das Konzil mit sich brachte, erlahmte, wurde ausgebremst, wohl auch deswegen, weil wir, die Akteure von damals, manchmal zu wenig auf die Leute achteten. Euphorie allein genügt eben nicht. Neue Ideen brauchen Hand und Fuß, und die haben nur wir Menschen.
Vieles liegt daran, wie wir miteinander umgehen, dazu braucht es kein aufwendiges Kommunikationstraining, sondern schlicht und einfach ein wenig Herzlichkeit, Respekt voreinander, Geduld miteinander und die Gelassenheit, das alles „werden“ zu lassen. Paulus schreibt an die Gemeinde in Ephesus: Habt Geduld und versucht in Liebe miteinander umzugehen (Eph 4,2).