Sie ringen um Positionen, wollen überzeugen und lassen sich bei Zeiten auch überzeugen – wer einmal eine Versammlung des BDKJ besucht hat, der weiß: hier lernen die jungen Leute für’s Leben. Sie lernen miteinander umzugehen, konstruktiv zu streiten und nachzugeben, wenn die Mehrheit eine andere Meinung hat. Jugendverbände sind Werkstätten der Demokratie.
Ich muss mich nur gut sichtbar melden. Das reicht schon aus. Es garantiert mir, dass ich früher oder später aufgerufen werde, einen Redebeitrag abgeben kann und die restlichen Anwesenden mir zuhören (oder zumindest selbst nicht reden). Ein Prinzip, das auf der Mitgliederversammlung eines Verbandes auf Pfarreiebene für ein zehnjähriges Kind gleichermaßen gilt, wie für die Mitglieder des Bundesvorstandes auf der BDKJ-Hauptversammlung.
Das ist ziemlich offline, nicht besonders innovativ und ein weitgehend bekanntes Vorgehen. Aber es führt dazu, dass das Ringen um Positionen oder die Durchführung von Wahlen auf dem Austausch von Sichtweisen und Argumenten beruhen. Im Gegensatz zur Klassensprecherwahl – die in Bezug auf Demokratie demotivierendste Erfahrung, die ich jemals gemacht habe – ist hier in der Regel nicht entscheidend, wer am lautesten brüllt oder zuerst spricht.
Der sportliche Wettkampf um die besten Ideen und Argumente macht häufig nicht nur Spaß, sondern ist für junge Menschen eng mit Lern- und Bildungseffekten verbunden. Beim Recherchieren und Vorbereiten von Redebeiträgen, beim Sammeln von guten Argumenten, beim Üben sich verständlich auszudrücken, andere zu überzeugen und beim Organisieren von Mehrheiten oder beim Sprechen vor größeren Menschgruppen erfahren sie Selbstwirksamkeit und erwerben Softskills. Persönlichkeitsentwicklung geschieht im Prozess der Selbstaneignung.
Gar nicht „mal so ganz nebenbei“ bildet die Jugendverbandsarbeit auf diese Weise mündige und selbstbewusste Demokraten aus. Jugendverbandler setzten sich für die selbsterarbeitete Positionen ein, können aber auch demokratische Mehrheitsentscheidungen akzeptieren, die nicht unbedingt der eignen Position entsprechen, aber im Prozess fair und mehrheitlich ausgehandelt wurden. Sie entwickeln kritische Loyalität zu gesellschaftlichen Akteuren und staatlichen Institutionen, erarbeiten sich ein Wertebewusstsein, verstehen und verteidigen rechtsstaatliche und parlamentarische Prinzipien, haben Verständnis für politische Zusammenhänge und zeigen Verantwortung für die Gestaltung ihres Lebensumfeldes.
Keine neue Weisheit: Jugendverbände sind Werkstätten der Demokratie.
Die Lebensläufe vieler Abgeordneter im Maximilianeum verraten eine frühere Zugehörigkeit zu einem katholischen Jugendverband. Das beweist, dass Jugendverbände und die dort stattfindende Auseinandersetzung mit demokratischen Instrumenten ernstzunehmende „Ausbildungsorte“ für zukünftige Parlamentarier sind. Jugendverbände nur darauf reduzieren ist zu wenig! Sie sind viel, viel mehr für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.

Vanessa Eisert (23) ist ehrenamtliche BDKJ-Diözesanvorsitzende in Würzburg; Verband: Christliche Arbeiterjugend – CAJ
Was bedeutet für Dich Demokratie in deinem Jugendverband?
Generell bedeutet Demokratie für mich im Jugendverband, dass alle mitbestimmen dürfen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder sozialem Stand. Mir ist wichtig, dass Demokratie auch in der Sprache stattfindet. Denn auch Sprache kann Menschen ausschließen.
Was reizt Dich daran, deinen Verband mitzugestalten?
Im BDKJ schaffen wir die Grundlage, dass die einzelnen Mitgliedsverbände gut arbeiten können. Denn genau dort – in den Verbänden – bekommen junge Menschen die Möglichkeit sich zu entwickeln und zu lernen, wer sie sind und wer sie sein wollen, so auch in der CAJ, wo die Arbeit mit jungen Menschen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, im Mittelpunkt steht.
Was ist an Debatten spannend? Was ist eher langweilig?
Spannend ist es, wenn man durch Debatten neue Blickwinkel und Argumente kennenlernt. Langweilig wird es dann, wenn folgendes passiert: „Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem”. Das dauert dann…
Wie gehst Du damit um, wenn Du für deine Position bei einer Abstimmung keine Mehrheit bekommst?
In vielen Fällen kann ich gut damit umgehen, eine Abstimmung zu verlieren. Bei Positionen, die mir wirklich stark am Herzen liegen, brauche ich dann schon mal zwei, drei Tage bis ich das verdaut habe. Aber dann kann auch ich damit gut leben. Das ist Demokratie.

Anna Siegmüller (22) ist ehrenamtliche KjG-Diözesanleiterin in Regensburg; Verband: Katholische Junge Gemeinde – KjG
Was bedeutet für Dich Demokratie in deinem Jugendverband?
Demokratie habe ich zum ersten Mal in der KjG erlebt. Es ist toll zu beobachten, wie Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene demokratisch zusammenarbeiten. Es bedeutet für mich, im Team zu besseren Lösungen zu kommen.
Was reizt Dich daran, deinen Verband mitzugestalten?
Als KjG-Diözesanleiterin komme ich viel rum und darf auch Mitgliedsversammlungen von Ortsgruppen moderieren oder Kindersenate – ein Mitbestimmungsformat für Kinder – besuchen. Ich beobachte dort überall einen wertschätzenden Umgang mit den Meinungen der Kinder und Jugendlichen. Sie lernen, dass ihre Meinungen gleich viel wert sind und nennen die Themen beim Namen. Da trauen sich Kinder oft mehr und direkter Anliegen zu formulieren. Vor allem dann, wenn sich Kinder Gedanken um die Zukunft machen.
Was ist an Debatten spannend? Was ist eher langweilig?
Debatten sind vielseitig: die können teilweise langwierig sein, vor allem, wenn man sich dabei im Kreis dreht. Aber Gott sei Dank gibt es auch Geschäftsordnungsanträge. So kann man den Verlauf einer Diskussion konstruktiv beeinflussen. Oft erlebe ich aber auch vielseitige Debatten, in denen jede und jeder zu Wort kommt und jede Meldung (an)gehört wird. So passiert es nicht selten, dass man durch eine entsprechende vielseitige Diskussion gemeinsam zu einer guten Lösung kommt.
Wie gehst Du damit um, wenn Du für deine Position bei einer Abstimmung keine Mehrheit bekommst?
Im ersten Moment ist das immer schade, schließlich habe ich mir im Vorfeld Gedanken gemacht und mich vorbereitet. Mit etwas Abstand betrachtet, kann ich aber dann auch gut mit einer solchen Entscheidung leben, schließlich sind wir ein demokratischer Jugendverband. Gerade weil wir gemeinsam um kompromissfähige Lösungen ringen, weiß ich, dass ich solche Situationen nicht persönlich nehmen muss. Es geht schließlich um die Sache!

Frederik Wohlleben (24) ist Stammesvorsitzender „Stamm Maximilian Kolbe“ in Nürnberg; Verband: Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg – DPSG
Was bedeutet für Dich Demokratie in deinem Jugendverband
Jedes Kind und jeder Jugendliche hat die Möglichkeit sich eine Meinung zu bilden und diese einzubringen. Gleichzeitig müssen diese lernen andere zu überzeugen, damit dann zusammen etwas Gutes erreicht werden kann.
Was reizt Dich daran, deinen Verband mitzugestalten?
Mit der Zeit ist mir bewusst geworden, wie viele demokratische Werkzeuge es in meinem Verband überhaupt gibt. Nach und nach erst habe ich erkennen können, wie demokratisch das eigentlich alles ist. Inzwischen bemerke ich mit meiner Erfahrung und Perspektive viele Punkte, die man noch besser machen kann, auf allen möglichen Feldern: Sei es eine inhaltliche Position oder die neue Jurte fürs Zeltlager.
Was ist an Debatten spannend? Was ist eher langweilig?
Spannend ist, dass man jedes Mal die Chance hat, seine eigene Position zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Es ist also mehr als das „Herausplärren” der eigenen Meinung, sondern das Suchen nach einem gemeinsamen Weg.
Wie gehst Du damit um, wenn du für Deine Position bei einer Abstimmung keine Mehrheit bekommst?
Ich ärgere mich natürlich schon erst mal ein bisschen. Denn ich gehe natürlich davon aus, dass das, was ich mir überlegt habe, schon auch eine gute Sache für alle ist. Dann muss ich mich fragen, woran es liegt, dass ich unterlag. Und man sollte herausfinden: Muss ich Mehrheiten besser organisieren, war mein Standpunkt nur aus meiner Perspektive nachvollziehbar oder hatte ich vielleicht keine guten Argumente?
Titelbild und Fotos: BDKJ