Es braucht Menschen, die gehen, ausprobieren und schauen
„Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge.“ Dieses Wort des Theologen und Schriftstellers Kurt Marti passt bestens in die Zeit und Situation, in der wir uns befinden. Die pastoralen Schwerpunkte liegen nicht in einem ausformulierten Drehbuch vor. Auch die Struktur, wie sich das Leben und Zusammenleben unserer Gemeinden entwickelt, ist noch offen. ‚Zukunft gestalten. Weil ich Christ bin‘ – Dieses Motto der Pfarrgemeinderatswahl am 25. Februar 2018 lenkt den Blick genau auf diese Aufgabe, die Zukunft zu gestalten. Es werden Menschen gebraucht, die nicht nur fragen, sondern gehen, ausprobieren, schauen, wie es weiter gehen kann. Christen sind eingeladen zu kandidieren, aufgefordert zu wählen und gefragt sich zu engagieren. – Kompakt und konkret fasst Bischof Friedhelm Hofmann im Sommer 2017 in seinem Wort zur Pfarrgemeinderatswahl 2018 zusammen, worum es geht. In Würzburg und den meisten anderen bayerischen Diözesen verändern sich Strukturen und Zuständigkeiten. Und so wie in Würzburg gibt es meines Wissens auch in keinem anderen Bistum einen Masterplan, dass es so, genau so und nicht anders einen gelingenden Weg in die Zukunft gibt.
Ein Blick zurück
Wenn ich einen Blick zurück über 30 Jahre wage, in denen ich im Pfarrgemeinderat und mit Pfarrgemeinderäten gearbeitet habe, dann erlebe ich zurzeit ein gewisses Déjà-vu. Ich fühle mich wie in den achtziger und neunziger Jahren, als oft und viel von der unübertragbaren Eigenverantwortung jedes Christen für die Weitergabe des Glaubens und den Aufbau der Gemeinschaft der Kirche gesprochen wurde. Seit 50 Jahren gibt es das Gremium des Pfarrgemeinderates, das ein demokratisches Element in die hierarchische Kirchenverfassung einbringen soll. Die Wurzeln reichen zurück bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil Anfang der 1960er Jahre. Dort wurde ein Kirchenbild wieder entdeckt, das ausdrücklich die gemeinsame Verantwortung des ganzen Volkes Gottes in den Mittelpunkt stellte. Kirche, so betonte man damals, sind nicht zuerst der Papst, die Bischöfe und die Priester. Kirche, das ist die Gemeinschaft aller Gläubigen, die durch Taufe und Firmung eine unmittelbare Berufung von Gott empfangen haben. Alle Ämter in der Kirche sind nur auf der Grundlage dieser gemeinsamen Würde aller zu verstehen: als Dienst im und am Volk Gottes. Die Einrichtung der Pfarrgemeinderäte, das ist der Versuch, dieses Kirchenbild strukturell umzusetzen. Sie sollen eine Institution sein, mit der das Volk Gottes seine Verantwortung wahrnimmt. Und die Pfarrgemeinderäte haben sich bewährt und die Gemeinden lebendiger gemacht. Ohne das vielfältige Engagement der Laien würde vielerorts das Pfarreileben zusammenbrechen. Das alles ist 2017 unbestritten.
Allerdings hat sich die Situation der Pfarrgemeinderäte und die Welt um sie herum 2017 im Gegensatz zu den achtziger und neunziger Jahren grundlegend geändert:
- Sich in und für die Kirche zu engagieren, ist nicht mehr selbstverständlich. Für viele ist es nur noch eine Option unter vielen anderen ehrenamtlichen Engagements. Was ist das Besondere dieses Gremiums?
- In den letzten Jahrzehnten haben viele Menschen mit viel Schwung und Überzeugung für den Pfarrgemeinderat kandidiert, sich dafür engagiert und ihn nach einer Periode frustriert verlassen. Wie gibt es bei ihnen eine zweite Chance?
- Gleichzeitig haben die Gremien stets größere Verantwortung für das kirchliche Leben vor Ort. Wie geht das zusammen mit ermüdenden Zuständigkeitsdebatten?
- Nicht wenige Pfarrgemeinderäte fühlen sich überfordert und wollen ihre Aufgabe nicht mehr weiterführen. Wie können Sie Anspruch und Wirklichkeit zusammenbringen?
- Dazu kommt vor allem in ländlichen Gebieten die Tatsache, dass der Kirche oft als einzig noch verbliebener Institution in den Dörfern Netzwerkfunktion in sozialer Hinsicht für die Menschen zukommt. Wie können hier Kooperationen verstärkt und eingefädelt werden?
Im Moment
„Kirche geht“ – Wer diese zwei Worte bei YouTube eingibt, der landet bei einem kurzen Zeichentrickfilm des Fresh X-Netzwerks. Er erzählt die Geschichte von Jesus, seiner Botschaft und seinem Sendungsauftrag. Aus diesem Sendungsauftrag entsteht die Kirche. Die Jünger gehen auf die Menschen zu und überzeugen mit der Botschaft Jesu. Irgendwann ziehen sie sich zurück in eine Burg. Verschiedene Missionierungsversuche folgen. Bis sich schließlich einige auf den Anfang besinnen und sich auf den Weg zu den Menschen machen, ihre Lebenswelt teilen und dabei auch von ihren Überzeugungen erzählen. Schauen Sie sich den Film doch einfach einmal selbst an.
- „Kirche geht“ erzählt in ansprechender Weise von der dauerhaften und durchaus auch verständlichen Versuchung, gerne unter sich, familiär zu sein.
- „Kirche geht“ erzählt aber auch davon, dass Kirche kein Selbstzweck ist, sondern Hoffnungen und Ängste der Menschen auch die Hoffnungen und Ängste der Kirche sind.
- „Kirche geht“ endet damit, dass das Leben und Zusammenleben Mittelpunkt und Ort christlicher Verkündigung ist: das Leben und Zusammenleben mit allen Menschen und Gott mitten unter ihnen.
Blick in die Zukunft
In der Unübersichtlichkeit der jetzigen Situation kann es gut sein, sich dem Motto der Pfarrgemeinderatswahl „Zukunft gestalten“ mit den Fragen zu nähern „Wozu?“ und „Warum?“
Von Steve de Shazer stammt das Wort „Über Lösungen reden schafft Lösungen“. Es braucht das ehrliche Reden miteinander, was man nicht verlieren möchte unter dem eigenen Kirchturm, an Nähe, Glaubensformen, Beziehungen und warum man es nicht verlieren möchte. Genauso braucht es den Austausch darüber, was die Menschen, die Kirche vor Ort verantworten und gestalten, für ihr Leben brauchen. Was ihnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten machbar ist. Und was jeder dazu beitragen kann und will. Und was auch nicht.
Aber bitte mit Weitwinkel und christlicher Zuversicht. Und einer gesunden Portion Neugier auf die Vielfalt der Möglichkeiten als Christ zu leben und sich zu engagieren. Und mit offenen Augen für neue Netzwerkkooperationen mit Lebenswelten in Kindergärten, Schulen, Sozialstationen, Wohnvierteln, Senioreneinrichtungen und Kommunen. Die Rückkehr zu den scheinbar guten alten Gemeindezeiten ist ebenso unmöglich wie ein universales Gemeindemodell, das für alle Orte in einem Bistum verordnet wird.
„Zukunft gestalten“ – Diese Aufgabe braucht Pfarrgemeinderäte als Gemeindeentwickler, Menschen, die gehen, ausprobieren und schauen. Dazu gehören auch Umwege und manchmal auch eine Umkehr. Erst wer gegangen ist, kann sagen, ob der Weg weiter führt. Und wer Erfolge hat, kann es anderen weiter erzählen. Es gibt kein ausformuliertes Drehbuch. Und so liegt in dieser Zeit des Umbruchs die Chance, als Christen mit Gott und den Menschen neu in Berührung zu kommen: Kirche geht!
Foto: Johannes Simon