Wie sieht die Pfarrgemeinde von morgen aus? Strukturreformen gibt es aktuell in vielen Diözesen. Der Begriff der XXL-Pfarrei taucht in dieser Diskussion immer wieder auf und löst bei vielen Engagierten vor Ort Sorgenfalten aus. In der Pastoraltheologie werden verschiedene Modelle diskutiert – unser Autor gibt einen Überblick.
Ist die Territorialpfarrei noch der Ort, wo sich Christen vornehmlich versammeln? Realisiert sich Gemeinde in der mobilen Gesellschaft heute nicht in vielen Sozialformen? Was meint überhaupt Gemeinde? Ist angesichts von Gemeindezusammenlegungen und der Errichtung von XXL-Pfarreien Pfarrei und Gemeinde dasselbe? Und was lässt sich als heute noch typische Gemeindestrukturen ausmachen?
Gemeinde ist kein genuin katholischer, sondern ein von Martin Luther geprägter Begriff: „das, was allen gemeinsam ist.“ Für das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) sind die Bistümer und Gemeinden die Kirche „am Ort“ und nicht einfach Filialkirchen der Weltkirche. Mit dem Konzil wurde Gemeinde zu einem Leitbegriff: „Das Herz der Kirche schlägt in der Gemeinde“ und „Unsere Pfarreien müssen zu Gemeinden werden“. Pastoraltheologisch ist der Gemeinde-Begriff nicht definiert. Um welche Art von Gemeinde es sich handelt, wird in den Zusätzen deutlich: „Hausgemeinde“, „Basisgemeinde“ oder „Personalgemeinde“. Wichtig ist die persönliche, bewusste Entscheidung zu einer konkreten Gruppe von Gläubigen, die den Glauben in den Grundvollzügen kirchlichen Handelns – Verkündigung, Gottesdienst und Diakonie – miteinander teilen und leben. Von daher ist der Begriff Gemeinde offen für die vielfältigsten Sozialformen des Glaubens.
Pfarrei meint ein territorial umgrenztes Gebiet, für das einem Priester vom Bischof die Hirtensorge übertragen ist. Alle in der katholischen Kirche Getauften gehören kirchenrechtlich zur Pfarrei ihres Wohnortes.
Pfarrgemeinde ist weder ein allein kirchenrechtlicher noch ein allein pastoraltheologischer Begriff, sondern von beidem etwas. Im Wortbestandteil Pfarr – von Pfarrei – ist die rechtliche Verfasstheit enthalten und Gemeinde meint ihre innere Struktur und Lebendigkeit. Die Pfarrgemeinde ist – auf dem Territorium der Pfarrei innerhalb eines Bistums – eine pastorale Größe. In ihr wird die Kirche als Gottesvolk in einem überschaubaren Lebensraum sichtbar und erfahrbar. Pfarrei und Gemeinde werden oft synonym gebraucht.
Es lassen sich drei typische Strukturgebilde von Gemeinde unterscheiden:
«Typ A»: Die versorgte, verwaltete Gemeinde
In einer traditionellen Struktur steht an der Spitze der Pfarrer. Ihm zu- und klar untergeordnet ein beratender Pfarrgemeinderat. Alle Getauften der Gemeinde gelten als Adressaten der Seelsorge, die für die Teilnahme an kirchlichen Vollzügen, vor allem an den Sakramenten, zu gewinnen sind.
«Typ B»: Die aktive, religiös organisierte Gemeinde (Angebotskirche – Pastoral der konzentrischen Kreise)
Hier ist Gemeinde als Organisation einer Angeb
otskirche wahrnehmbar. In einer Folge konzentrischer Kreise dargestellt, bildet bei diesem Gemeindetyp der innerste Kreis das Team der hauptberuflichen pastoralen Mitarbeiter mit dem Pfarrer, sodann die Mitglieder des Pfarrgemeinderates und seine verschiedenen Pastoralausschüsse, ferner der Kreis der ehrenamtlichen M
itarbeiter. Sie entwickeln für verschiedene Zielgruppen ein Spektrum an Angeboten. Durch diese sollen die auf dem Pfarreiterritorium wohnenden Katholiken zur wenigstens gelegentlichen Teilnahme an den vielfältigen Aktivitäten der Gemeinde angesprochen werden. Wenn möglich, auch jene, denen die Kirche zwar fremd geworden ist, die sich aber nach wie vor ihr zugehörig fühlen (als „treue Kirchenferne“, als „Christen in Halbdistanz“, als „Sympathisanten“) und die wünschen, dass es ihre Kirche gibt (Fremde Heimat Kirche), die sie ideell und auch finanziell (Kirchensteuer, Spenden) unterstützen und die bei Bedarf die Dienste ihrer Kirche auch in Anspruch nehmen wollen.
«Typ C»: Die basiskirchliche Gemeinde (Gemeinde als Gemeinschaft von Gemeinschaften)
In einer Basisgemeinde finden sich Christen zusammen, die miteinander ihr Leben unter das Wort Gottes stellen und persönliche Bedürfnisse ebenso wie soziale Konflikte, zum Beispiel Unrechtssituationen, im Licht des Evangeliums wahrnehmen und verändern wollen. Diese, von der Kirche Lateinamerikas inspirierten, Basisgemeinschaften stehen untereinander im Erfahrungsaustausch und unterstützen sich gegenseitig.
Von der Ortskirche zu den vielen kirchlichen Orten
Pastoraltheologisch ist Pfarrei – Gemeinde – Pfarrgemeinde die territorial organisierte, niederschwellige und leicht identifizierbare Basisstruktur in einem Netzwerk unterschiedlicher pastoraler Orte. Bei der Gemeinde handelt es sich um eine kirchliche Sozialform, in der die gesamte Identität dessen, was Kirche ausmacht, sichtbar ist.
Der Gemeinde-Begriff bewegt sich quer zu allen Formen der Pastoral und kann in allen Sozialformen präsent sein, sei es zeitlich begrenzt (beispielsweise als Katholikentag oder Weltjugendtag), sei es kontinuierlich. So können Pfarreien Gemeinde sein ebenso wie zum Beispiel auch ein Krankenhaus, an denen Menschen als Christen miteinander eine zielgruppenspezifische Gemeinschaft im Glauben bilden. Oder auch neue, kleine christliche Gemeinschaften, die im pastoralen Ansatz „Lokale Kirchenentwicklung“ den Aufbau einer partizipativen Kirche verfolgen. Neue Orte von Gemeindebildung stellen auch Initiativen wie zum Beispiel „Kirche am Markt“ dar.
Zukunftsfähige Pfarreien
Die Erwartungen an die „Plurale Wirklichkeit Gemeinde“ sind sehr unterschiedlich: Sie soll offen, lebendig, anpassungsfähig, mobil sein – und zugleich Heimat geben, Beständigkeit sichern und die Grundvollzüge kirchlichen Lebens gewährleisten. Damit aber ist sie vielfach überfordert. Dennoch: Christ-Sein kann man nur in Gemeinschaft lernen. Die Pfarrei – Gemeinde – Pfarrgemeinde als Sozialisationsort des Christ-Werdens, als naher Erfahrungsort von Religion in Wort und Tat wird daher – zwar nicht die einzige, aber – die zentrale Sozialform der Kirche bleiben. Denn für die Zukunftsfähigkeit von Gemeinden – in welcher Sozialgestalt auch immer – braucht es beides: Worte und Orte des Glaubens. „Die Pfarrei“, so Papst Franziskus in Evangelii gaudium, „ist keine hinfällige Struktur; gerade weil sie eine große Formbarkeit besitzt, kann sie ganz verschiedene Formen annehmen, die die innere Beweglichkeit und die missionarische Kreativität des Pfarrers und der Gemeinde erfordern. Obwohl sie sicherlich nicht die einzige evangelisierende Einrichtung ist … ist [sie] eine Gemeinde der Gemeinschaft, ein Heiligtum, wo die Durstigen zum Trinken kommen, um ihren Weg fortzusetzen, und ein Zentrum ständiger missionarischer Aussendung“ (EG 28).
Aufgabe der Seelsorge – und eines Pfarrgemeinderates, der als eine Art „Apostelkollegium der Kirche am Ort“ die Seelsorge mitträgt und mitgestaltet – ist es, Menschen mit dem Evangelium in Kontakt zu bringen, Glaubende um Gottes Wort und zur Eucharistie zu versammeln („Tut dies zu meinem Gedächtnis“ 1 Kor 11, 24-25), untereinander zu vernetzen und zu belastbarer Solidarität zu befähigen.
Die Ortskirche und die vielen kirchlichen Orte sind geradezu ein Himmelsgeschenk. Sie sollten nicht miteinander konkurrieren, sondern sich als Chance begreifen, aufeinander verweisen zu können als Orte, die in unterschiedlicher Ausprägung Menschen auf ihrer Suche nach Gott den Himmel offen halten.