oder: Alltagshelden im Umgang mit Stammtischparolen
„Held“ zu sein, ist nicht immer gleichbedeutend mit einer großen heroischen Tat: Auch im Alltag können wir Zivilcourage zeigen – beispielsweise, indem wir die Auseinandersetzung mit Stammtischparolen nicht scheuen – auch wenn sie durchaus unangenehm sein mag. Wie in der vorletzten Ausgabe angekündigt, werde ich in einer losen Artikelserie je eine solche Aussage aufgreifen und ihr auf den Grund gehen: Inwiefern hat sie ihre Berechtigung? Wo liegen mögliche Irrtümer, Widersprüche und Grenzen?
Heute soll es um die Parole „Politiker sind doch eh nicht unabhängig“ gehen. Hiermit sind alle Behauptungen gemeint, die die Politik verdächtigen, in Wahrheit von Lobbyisten beeinflusst bis hin zum Verdacht, tatsächlich im strafrechtlichen Sinne korrupt zu sein. Jedenfalls ist der Vorwurf der Verfolgung eigener Interessen im Amt weit verbreitet: Der „Mitte-Studie“ von 2016 zufolge stimmen mehr als 60 Prozent der Aussage „Politiker umgehen die bestehenden Gesetze, wenn es um ihren eigenen Vorteil geht“ „eher“ oder „voll und ganz“ zu. Was also ist wahr an dem Vorwurf, Politiker seien in ihrem Agieren abhängig von privaten Kalkulationen und/oder Lobbyisten?
Hintergrund: Lobbyismus
Zunächst einmal stellt sich die Frage für den Anlass der Annahme. Und hier gilt zweifellos: Ja, es gibt sowohl „in Berlin“ als auch „in Brüssel“ zahlreiche Interessengruppen, die versuchen, in ihrem Sinn auf die Politik Einfluss zu nehmen. Doch während „Lobbyismus“ inzwischen fast zu einem Schimpfwort geworden ist, lässt sich durchaus begründen, weswegen ein demokratisches System diesen nicht unterbindet: Lobbyisten sollen dafür Sorge tragen, dass Politiker gerade nicht „abgehoben“, „am Reißbrett“ Gesetze beschließen, sondern vielmehr im Wissen um die unterschiedlichsten Lebenslagen, Interessen und Bedarfe, die innerhalb unserer Gesellschaft existieren. So sind auch keineswegs nur Vertreter der Wirtschaft als Lobbyisten tätig: Umwelt- und Tierschutzvereine, kirchliche Organisationen, Gewerkschaften und zahlreiche andere sind ebenso Teil des breiten Spektrums.
Argumentation: Kein Generalverdacht
Insofern sollte man seinen Gesprächspartner also darauf hinweisen, dass „Nicht-Unabhängig-Sein“ im beschrieben Sinne nicht negativ ist, sondern vielmehr der Rückkopplung der Politik „an das reale Leben“ dient. Das bedeutet jedoch natürlich nicht, dass Lobbyismus per se zu begrüßen ist: Werden tatsächlich alle Interessengruppen gleichermaßen gehört? Oder gibt es nicht doch ein deutliches Machtungleichgewicht, was Präsenz und Zugang zu Parlamentsvertretern anbelangt? So existiert in Deutschland zum Beispiel kein verpflichtendes Lobbyregister, was zahlreiche Organisationen immer wieder kritisieren. Diese differenzierte Kritik an der Intransparenz im Umgang mit Interessensvertretern kann also durchaus berechtigt sein – was in der Auseinandersetzung auch deutlich gemacht werden sollte.
Probleme im Umgang mit Lobbyismus aufzuzeigen, ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einem generellen Verdacht der Bestechlichkeit und Korruption. Natürlich gibt es auch solche Fälle; den Normalfall des politischen Lebens in Deutschland stellt dies jedoch nicht dar, wie beispielsweise auch der Korruptionsindex von transparency international zeigt: Deutschland belegt bei 180 untersuchten Ländern gemeinsam mit Großbritannien Platz elf und ist insofern einer der transparentesten Staaten der Welt.
Foto: Torbz/Adobe Stock