Als er an die Stelle kam, wo der Weg vom Ölberg hinabführt, begannen alle Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben wegen all der Wundertaten, die sie erlebt hatten.
Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Herrlichkeit in der Höhe!
Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu:
Meister, bring deine Jünger zum Schweigen!
Er erwiderte:
Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.
(Lk 19, 37-40)
Eigentlich sollte man zum Thema „Schweigen“ einfach schweigen.
Schweigen ist Gold – denke ich und ich beginne – zu schweigen.
In der Stille sehe ich vor mir die vielen Schweigenden dieser Welt:
die mit den zusammengekniffenen Lippen schweigen
die aus Angst vor ihrem Gegenüber schweigen, sich anschweigen
die um des „lieben Friedens willen“ schweigen
die schweigen, um ihre Stellung in Gesellschaft und Beruf zu erhalten
und alle, die aus Verbitterung schweigen.
Ich sehe die vielen sich totschweigenden Gesichter, die mir jeden Tag begegnen.
Ich sehe aber auch die Ordensleute in den Klöstern, die im stillen Gebet ungezählte Hilferufe vor Gott tragen.
Das Schweigen hat viele Gesichter…
Und während ich schweige …
beginne ich zu hören …
Und vielleicht höre ich nur, weil ich schweige…?
Ich höre die Todesschreie der Kinder, die irgendwo von selbsternannten Herrschern zu Tode gequält werden.
Ich höre das Knattern der Maschinengewehre, den Einschlag der Bomben, den Einsturz ungezählter Siedlungen in den Kriegsgebieten unserer Welt.
Ich höre die verzweifelten Hilferufe der Flüchtlinge, in stickigen Transportern, in Booten und in den Flüchtlingslagern.
Ich höre das leise Wimmern der Kinder, die verhungern, während wir Tag für Tag tonnenweise Lebensmittel einfach so wegwerfen.
Ich höre aus der Vergangenheit die Selbstanklage des Pastors Niemöller:
„Als die Nazis die Juden holten,
da habe ich geschwiegen, denn ich war ja kein Jude;
als sie die Kommunisten abholten,
da habe ich geschwiegen, denn ich war ja kein Kommunist;
als sie schließlich mich abholten,
da gab es keinen mehr, der reden konnte.“
Ich höre in der Gegenwart das Schweigen zu vieler, während Menschenwürde und Grundwerte unseres christlichen Glaubens in einer Inflation von Fake-News unterzugehen drohen.
Ja, ich höre das Schweigen viel zu vieler.
Ich höre in die Zukunft,
und ich vernehme das Schweigen einer ganzen Menschheit, die die Erde kahlgefressen hat, plattgewalzt und einbetoniert, mit waffenstarrenden Festungen und ein paar Bäumen in den Städten.
In dieses Schweigen hinein
höre ich aber auch die Stimmen der Missionare und Entwicklungshelfer, die liebevoll weinende und verängstigte Kinder trösten.
Ich höre die Stimme unseres Papstes,
der immer wieder die Rechte der Unterdrückten einklagt.
Ich höre auch den Chorgesang der Nonnen und Mönche, die mit jahrhundertealten Melodien und Worten die Größe des Schöpfers preisen.
Und ich höre die Worte Jesu:
„Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.“
Foto: Alexandra Hofstätter