Wird einer mit dem Spieß attackiert, wird er versuchen, ob er den Spieß nicht umdrehen kann. Druck erzeugt Gegendruck. Im schlimmsten Fall schraubt sich die Spirale immer weiter nach oben. Doch es geht anders. Davon ist die Würzburger Friedensgruppe „Ökopax“ überzeugt. Mehr noch: seit mehr als 30 Jahren beweisen die Mitglieder, dass es möglich ist, Konflikte friedlich auszutragen. Und Frieden zu leben.
Sie wollten nicht nur ein Rädchen im Getriebe sein. Dieser Gedanke stand hinter der Initiative „Sand im Getriebe“, die Würzburger Studierende aus der katholischen und der evangelischen Hochschulgemeinde im Jahr 1984 gründeten. Fünf Jahre später ging hieraus der Verein „Ökopax“ hervor. Der Name bezieht sich auf ein heute weitgehend in Vergessenheit geratenes Buch, schildert Gründungsmitglied Armin Meisterernst: „Es stammt von Jo Leinen und Petra Kelly.“ Der Titel lautete: „Prinzip Leben“. Untertitelt war das 1988 erschienene Werk mit „Ökopax – Die neue Kraft“.

Ökopax-Mitglied Thomas Schmelter
Es waren zum Teil sehr unschöne Worte, die sich die jungen Leute seinerzeit anhören mussten, gingen sie in Würzburg auf die Straße, um für Frieden zu werben und gegen Kriegstreiberei zu protestieren. Unvergesslich ist Armin Meisterernst eine Situation in den 1980er Jahren, als „Ökopax“ einen Infostand in Würzburg organisierte. „Das sind die, die nichts schaffen, die immer nur protestieren!“, geiferte ein Passant. Meisterernst war empört: „Ich war damals Assistenzarzt und kam direkt vom Nachtdienst.“
Es gehört ein großes Quantum Ausdauer dazu, drei Jahrzehnte lang Friedensarbeit zu machen – in einer Welt, die partout nicht friedlich werden will. „Hier in unserer Gruppe kann man lernen, sich einzusetzen, ohne vom Erfolg abhängig zu sein“, sagt Thomas Schmelter. Der ganz große Erfolg lässt bis heute auf sich warten. Wie unfriedlich es zugeht rund um den Globus, zeigt ein Blick auf Deutschlands Rüstungsexporte. Ausfuhren in der Rekordhöhe von mehr als acht Milliarden Euro wurden dafür 2019 genehmigt.
Der Kern des Problems
Auch hat die Umweltzerstörung seit den 1980er Jahren zugenommen. Wobei die Einsicht mehr und mehr um sich greift: Militarismus und Raubbau an der Natur haben dieselbe Wurzel. „Die Probleme integrieren sich immer mehr“, sagt Ökopax-Mitglied Andreas Schrappe. Ein nicht nachhaltiges Denken und Handeln liege allem zugrunde. Am Ende, so Armin Meisternst, stecke der „brutale Kapitalismus“ hinter dem Klimawandel mit seinen noch nicht absehbaren Folgen, hinter dem hemmungslosen Ressourcenverbrauch und der weltweiten Aufrüstung.
Die Ökopaxler versuchen, eine Lebensweise zu praktizieren, die durch und durch friedlich ist. Und zwar sowohl in Bezug auf andere Menschen als auch auf die Umwelt. Ein Dutzend Männer und Frauen, einige bereits im Ruhestand, gehören der Gruppe an. Jedes Jahr organisiert das Team den Würzburger Ostermarsch. Alljährliches Highlight ist die Verleihung des Würzburger Friedenspreises. Die Idee für den Preis geht auf Ökopax-Mitglieder zurück. 1995 wurde er erstmals verliehen. Die Preisveranstaltung wird nach wie vor von Ökopax-Mitgliedern gestaltet, wenngleich der Träger inzwischen das „Komitee Würzburger Friedenspreis“ ist.
Auch wenn sie ihre politische Vision bis heute nicht verwirklichen konnte, agierte die Gruppe in den vergangenen drei Jahrzehnten auf lokaler Ebene äußerst erfolgreich. Vor allem gelang es durch den „Würzburger Friedenspreis“ sichtbar zu machen, wie viele Menschen sich in der Diözese Würzburg für Friedensthemen engagieren. Der 20. Friedenspreis ging zum Beispiel an den Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose. Der engagierte Priester erregte vor sieben Jahren dadurch Aufsehen, dass er einem Flüchtling Kirchenasyl gewährte.
Etliche Leitbilder
In der Diözese finden sich etliche Leitbilder, an denen man sich orientieren kann, wenn sich die Frage stellt, wie Friedensarbeit im Lokalen gelingen könnte. „In den ersten Jahren, als wir mit dem Friedenpreis begonnen haben, war ich total erstaunt, was an Initiativen bei uns existiert“, sagt Ökopax-Mitglied Uta Deitert. Von vielen späteren Preisträgern hatte sie zuvor noch nie etwas gehört. „Gerade auch das war für mich ein Ansporn, weiterzumachen“, so die Würzburger Pfarrgemeinderatsvorsitzende: „Es gibt so viele Initiativen, die sich, lokal begrenzt, mit riesigem Engagement für Friedensthemen einsetzen.“

Bei der Verleihung des Friedenspreises 2013 an Rita Prigmore wirkten auch Kinder mit.
Für Deitert wäre ein stärkeres Engagement der Pfarreien wünschenswert. „Es ist schwer, kirchliche Gemeinden für Fragen zu interessieren, die über das Gemeindeleben hinausgehen“, bedauert die überzeugte Katholikin. Natürlich sei es gut und wichtig, sich auf Pfarreiebene um Senioren zu kümmern. Positiv sei weiter, dass sich viele Pfarreien inzwischen für den fairen Handel einsetzen. Doch es bräuchte angesichts der global brisanten politischen Situation mehr: „Eigentlich müsste es in jeder Pfarrei einen Sachausschuss ‚Mission – Gerechtigkeit – Frieden‘ geben.“
Für sie persönlich habe die Friedensarbeit eine politische Neuorientierung mit sich gebracht, erinnert sich Deitert an die Anfänge. „Wer in die Friedensarbeit einsteigt, muss viele Vorstellungen über Bord werfen“, sagt sie. Das, was man bis dahin immer für richtig gehalten hat, stellt sich plötzlich als fragwürdig heraus. Als Ideologie. So ist für Deitert die Nato längst keine völlig integere „Friedenskraft“ mehr. Für sie ist die Nato militaristisch, nicht zuletzt weil 2014 beschlossen wurde, dass alle Nato-Staaten ihre Militärausgaben bis 2024 auf zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes hochfahren sollen.
Friedensarbeit ist kein Zuckerschlecken. Und sie kann nur gelingen, wenn man sich von Menschen umgeben weiß, die von demselben Anliegen beseelt sind: mitzuhelfen, eine friedliche Welt zu schaffen. „Es ist so schön, dass es so etwas Stabiles wie unsere Gruppe gibt, wir können uns aufeinander verlassen“, sagt Katharina Schmelter.
Die Ökopaxler lassen sich nicht mundtot machen. Nicht von ausbleibendem Erfolg. Nicht von dummen Kommentaren. Und auch nicht von der Corona-Krise. So fand der diesjährige 37. Ostermarsch in Würzburg aufgrund der Pandemie und der Ausgangsbeschränkungen in virtueller Form statt. Das Motto lautete: „Militarisierung tötet Mensch und Umwelt“.
Um zu zeigen, dass es einen anderen Ausweg gibt, als aggressiv zu reagieren, wird auch heuer ein Friedenspreisträger gekürt. Ob die Preisverleihung stattfinden kann, steht zwar noch nicht fest. Doch Vorschläge gibt es bereits. Und es wird jemand gewählt. Wenn alle Stricke reißen, findet 2021 erstmals eine Doppelverleihung statt.
Titelbild: Seit drei Jahrzehnten protestiert „Ökopax“ gegen Rüstungsexporte.
Fotos: Pat Christ