Überall in Bayern gehen Diözesen neue Wege, um ihre Pastoral zukunftsfähig zu machen. So auch die Erzdiözese München und Freising. Hier begann man vor fünf Jahren, Pastoral auf der Basis von Sozialdaten neu zu denken. Wer genau lebt in der Gemeinde? Wie alt sind die Menschen? Haben sie Arbeit? Oder sind sie erwerbslos? Sich intensiv mit Daten zu beschäftigen, ist für viele Pfarrer, Seelsorger und Pfarrgemeinderäte neu.
Ein im Ressort „Grundsatzfragen und Strategie“ angesiedeltes Team um Projektleiter Robert Lappy treibt die Initiative „Pastoral planen und gestalten“ voran. Auch Geografen sind in die Gruppe integriert. Von Profis der Sozialraumanalyse kaufte sich die Diözese Sozialdaten ein. Auch wurden die Sinus Milieus herangezogen. „Wir erwarben statistische Daten, also Prozentangaben“, erläutert Lappy: „Unsere fünf Geografen erstellen daraus Landkarten, indem sie die Daten, auch die aus den Sinus Milieus, räumlich zuordnen.“ Dadurch seien thematische Schwerpunkte auf einen Blick erkennbar.
Die Projektmitarbeiter erhoben zum Beispiel die Arbeitslosenquote und schauten nach dem ethnischen Hintergrund der Menschen im Bistumsgebiet. Daneben wurde analysiert, wo besonders viele Familien leben und wo es einen hohen Anteil von Alleinerziehenden gibt. Etwa 120 der 280 Pfarreien und Pfarrverbände in der Erzdiözese München und Freising riefen bisher die Daten ab. 30 begannen, auf dieser Basis ein Pastoralkonzept auszuarbeiten. Fünf Gemeinden reichten inzwischen ein Konzept ein, informiert Judith Müller, die für die fachliche Begleitung zuständig ist. Neben dem Pfarrverband Puchheim sind dies die Pfarrverbände Erdweg, Prutting-Vogtareuth, Oberes Inntal und Röhrmoos-Hebertshausen.
Die Arbeiten am konkreten Pastoralkonzept sind ganz unterschiedlich weit fortgeschritten. Einige Pfarrverbände, so Müller, haben gerade erst damit begonnen, bewusst den Istzustand wahrzunehmen: „Um zu erkennen, wo die Haarrisse sind, was also in Zukunft wohl nicht mehr geht.“ Andere haben inzwischen ein fertiges Konzept erarbeitet und befinden sich im Feedbackgespräch mit den Regionalreferenten des zuständigen Weihbischofs.
Wie leben die Menschen?
Wie Lappy betont, entschied sich das Projektteam bewusst, die Sozialdaten nicht ungefragt zu verschicken: „Das wäre sinnlos, sie würden entweder in der Mülltonne landen oder für Irritationen sorgen.“ Wer immer in den Prozess des Pastoralkonzepts einsteigen möchte, kann sich melden. Das Interesse ist laut dem 56-jährigen Theologen groß: „Die Verantwortlichen sehen, dass sie dadurch einen anderen Blick auf das Geschehen im Pfarreiverband bekommen.“
„Pfarreien müssen aufhören, nur auf sich selbst zu schauen. Aufgabe von Christen ist es, das Evangelium zu allen Menschen zu bringen.“ (Robert Lappy)
Natürlich gebe es auch Menschen, die glauben, genau zu wissen, wie es bei ihnen vor Ort ausschaut. „Sie fragen sich, was die Daten ihnen Neues an Erkenntnis bieten sollen“, so Lappy. Die Erfahrung jedoch zeige, dass viele den konkreten Alltag der Menschen vor Ort eben nicht genau kennen.
Den Sozialraum wahrzunehmen, ist der erste Schritt im Projekt „Pastoral planen und gestalten“. Im idealen Fall werden die Daten und Fakten über die soziale Struktur vor Ort ausgewertet und dann in einem zweiten Schritt „im Leben“ zur Kenntnis genommen. Die aktiven Mitglieder der Pfarreien sollen also zum Beispiel zum lokalen Alleinerziehendentreff, zur Suchtberatungsstelle oder zur Anlaufstelle für Migranten gehen. Lappy: „Vor allem sollte man sich in jene Gebiete begeben, wo man sonst nie vorbeikommt.“
Wie ist das Lebensumfeld der Menschen in den verschiedenen Teilen der Gemeinde? Wer braucht Hilfe? Wo wird der Hilfebedarf gedeckt? Wo greift die Unterstützung noch nicht vollständig? Wo fehlt ein Angebot völlig? Lappy sagt: „Wir laden ein, sich auf den Weg zu machen und verschiedene Orte und Plätze wahrzunehmen.“
Das Gespräch suchen
Genauso wichtig sei es, mit relevanten Personen in der Gemeinde ins Gespräch zu kommen: „Das kann jemand von der Kommune, der Caritas oder einer Beratungsstelle sein.“ Auch dadurch bekomme man mit, welche Themen die Menschen bewegen, was ihre Sorgen, Ängste und Anliegen ganz konkret sind: „Dann kann man sich fragen, was der eigene Beitrag als Kirche vor Ort zu diesen Anliegen und Themen sein könnte.“ Vielleicht gibt es ein Netzwerk, an dem sich die Pfarrei beteiligen kann. Vernetzungen seien prinzipiell sehr wichtig: „Denn man muss nicht alles neu erfinden.“
Auf diese Weise an die Frage nach einer zukünftigen Pastoral heranzugehen, heißt Lappy zufolge, den Sendungsauftrag der Kirche ernst zu nehmen. Das Projekt bezieht sich also nicht in erster Linie auf die veränderte Personalsituation: „Der Priestermangel zum Beispiel ist bei uns im Bistum noch gar nicht so dramatisch.“ Der wirke sich wahrscheinlich erst in 15 Jahren gravierend aus. Dem Bistum gehe es um die Frage, welche Menschen man heute erreichen möchte: „Und wie das geschehen kann.“
Der Sendungsauftrag der Kirche, verdeutlicht Lappy, richtet sich im Übrigen ausdrücklich nicht nur an Katholiken. Pfarreien müssten aufhören, nur auf sich selbst zu schauen. Aufgabe von Christen sei es, das Evangelium zu allen Menschen zu bringen.
Was Menschen umtreibt
Die Themen, die der Kirche bisher wichtig waren, und das, was Kirche vor Ort anbietet, decke sich häufig immer weniger mit dem, was die Menschen vor Ort beschäftigt. „Da kann ich nun zuschauen und sagen: Das ist halt so. Oder ich kann das zum Thema machen“, sagt Lappy. Die Diözese habe sich für Letzteres entschieden.
Aus Angst, dass es bald niemanden mehr gibt, der die Gemeindearbeit vor Ort stemmt, setzen zum Beispiel viele Haupt- und Ehrenamtliche in den Pfarreien auf Jugendarbeit, sagt Lappy. Die demografischen Daten jedoch können zur Erkenntnis führen, dass es viel zu wenige Jugendliche in der gewünschten Alterskategorie gibt: „Dann muss ich mich anders mit der Frage der Zukunftssicherung meiner Pfarrei beschäftigen.“ Was ein Umdenken erfordert, das zunächst nicht leicht fällt.
So irritiert mitunter die Erkenntnis, dass der Anteil der Senioren in der Gemeinde tatsächlich fast 25 Prozent ausmacht. Zielgerichtet wäre es nun, sich um diese älteren Menschen zu kümmern, die womöglich unter Einsamkeit leiden oder die ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen können. Vielleicht wäre es erforderlich, eine Nachbarschaftshilfe aufzubauen. „Doch diese Gedanken sind zunächst einmal befremdlich“, so Lappy. Aber auch das ist eine in die Zukunft gerichtete Pastoral.
Alle sollen mitmachen
Alle Männer und Frauen, die sich als Christen in der Verantwortung fühlen, sind im Projekt der Erzdiözese München und Freising aufgerufen, die Pastoral mit Blick auf die konkreten sozialen Gegebenheiten vor Ort zu planen. „Dass der Pfarrer immer alles macht, von dieser Idee müssen wir uns verabschieden“, sagt Lappy. Wer kann und will, Zeit und Energie hat und vor allem, wer Talente einbringen möchte, soll sich engagieren.
Wobei es natürlich förderlich ist, wenn der Pfarrer mit am Strang zieht. Stehen Priester dem „Weg des Pastoralkonzepts“ skeptisch gegenüber, kann dies zu Konflikten führen, räumt Lappy ein. Dann ist auch schwierig, im Namen der Pfarrei zu handeln: „Allerdings ist niemand daran gehindert, etwas als Christ zu tun.“
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