Es ist noch nicht lange her, da trugen Projekte aus dem Umweltbereich in Bistümern den Stempel „Pilot“ und „Leuchtturm“. In den vergangenen Jahren hat sich hier Einiges getan, es muss aber noch mehr passieren, findet Mattias Kiefer, Umweltbeauftragter der Erzdiözese München und Freising. Umweltarbeit muss zur Selbstverständlichkeit werden, zum Tagesgeschäft – und sie muss glaubwürdig sein.
Gemeinde creativ: Welchen Stellenwert haben Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen momentan im kirchlichen Bereich?
Mattias Kiefer: Pauschal kann man sagen: einen höheren als früher. Kirche ist da auch ein Abbild der Gesellschaft. Man muss aber genauer hinschauen, was das jeweils für die verschiedenen Ebenen bedeutet: in den Pfarreien vor Ort, in Verbänden, in Einrichtungen, für Diözesanverwaltungen, bis auf die Ebene der Deutschen Bischofskonferenz. Da erkennt man eine große Bandbreite, was die Akzeptanz der Themen betrifft, die Bereitschaft, sie als genuin christliche Aufgaben anzuerkennen, und auch, wie weit man dann bereit ist beim Handeln zu gehen. Eine der großen Fragen für die Zukunft wird sein: Bleibt es bei punktuellen Beschäftigungen – dem Studienteil einer Jahrestagung oder einer „Leuchtturm-Gebäude-Sanierung“ – oder schaffen wir eine dauerhafte, strukturelle Veränderung?
Im Moment werden in vielen Bistümern die Umweltabteilungen ausgebaut, hat die Kirche das Thema gerade erst entdeckt?
Was wir in den vergangenen Jahren beobachten durften: Die Stundenkontingente einiger Kollegen wurden aufgestockt – in Bayern zum Beispiel in den Diözesen Regensburg und Passau – und einige Bistümer, darunter Augsburg, Bamberg, Eichstätt, Regensburg und Würzburg haben sich entschieden, sogenannte Klimamanager einzustellen, das sind vom Bund geförderte, auf maximal fünf Jahre befristete Projektstellen. Aber nach wie vor gibt es bundesweit nur drei Bistümer mit mehr als einer unbefristeten Stelle im Umweltbereich. Vom flächendeckenden, dauerhaften Ausbau ganzer Abteilungen sind wir also noch sehr weit entfernt! Im Gegenteil: Immer noch gibt es – Gott sei Dank nicht hier in Bayern – Diözesen, in denen sich niemand dezidiert mit Umweltfragen befasst, weder im Haupt- noch im Ehrenamt.
Hat Kirche das Thema jetzt erst entdeckt? Nein! Die ersten lehramtlichen Dokumente und Positionsbestimmungen der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) gab es in den 1980ern – lange Zeit aber hat sich kirchliches Schöpfungshandeln weitestgehend beschränkt auf Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung. Dass sich auch die eigene kirchliche Praxis verändern muss, ist eine im Vergleich dazu relativ junge Erkenntnis.
Was hat sich nach der Veröffentlichung von Laudato si‘ verändert?
Ich höre oft, dass Laudato si‘ außerkirchlich mehr wahrgenommen worden wäre als innerkirchlich. Für diese These gibt es aber keine Belege und ich persönlich halte sie auch nicht für zutreffend: Unsere Verbände und Bildungsträger spielen das Thema rauf und unter, nach wie vor, das Kirchenamt auf allen Ebenen hat sich mehrmals damit befasst, praktische Konsequenzen wurden gezogen. Aber anders herum betrachtet ergibt die These Sinn: Laudato si‘ ist das einzige lehramtliche Dokument der jüngeren Vergangenheit, das überhaupt außerhalb der Kirche wahrgenommen worden ist.
Binnenkirchlich ist mit der Enzyklika nicht nur der Rechtfertigungsdruck geringer geworden, vor allem sind die notwendigen Konsequenzen für das eigene Handeln gezogen worden: Die DBK hat im Herbst 2018 zehn „Handlungsempfehlungen zu Ökologie und nachhaltiger Entwicklung“ beschlossen, die die komplette Bandbreite dessen, was notwendig ist, abdecken. Ganz wichtig dabei: Die Bischöfe haben vereinbart, sich regelmäßig gegenseitig über die Umsetzung in ihren Bistümern zu berichten – da ist also ein gewisser selbst auferlegter Zugzwang in das Thema gekommen.
Die Wirkung der Enzyklika nach außen darf nicht unterschätzt werden: Kirche ist global und gesamtgesellschaftlich als relevanter Akteur zu Fragen von Klimagerechtigkeit und Ressourcenschutz sichtbar geworden. Das wurde von vielen Menschen sehr begrüßt, hat aber auch zu einer vorher nicht gekannten öffentlichen Forderung nach Konsequenzen geführt. Kirche wird an dem gemessen, was sie sagt: die Gläubigen, aber auch die außerkirchliche Öffentlichkeit, fordern zunehmend ein, den in Laudato si‘ formulierten Ansprüchen als Kirche auch selbst gerecht zu werden. In Bayern war das zum Beispiel im vergangenen Jahr stark während der Diskussion um das Volksbegehren zum Schutz der Artenvielfalt und am in der Folge von der Staatsregierung einberufenen Runden Tisch zu spüren.
Ist das Thema schon auf allen Ebenen der Kirche angekommen?
Auf allen Ebenen schon, aber noch lange nicht bei allen Menschen – weder bei allen kirchlichen Mitarbeitenden noch bei den Gläubigen. Da gibt es „echte Überzeugungstäter“, Gemeinden, die für diese Themen richtiggehend brennen, und es gibt eben welche, wo noch gar nichts passiert. Aber auch da ist Kirche Abbild der Gesellschaft.
Was läuft gut und wo gibt es noch „Luft nach oben“?
Das ist von Bistum zu Bistum sehr unterschiedlich, aber generell ist noch viel Luft nach oben bei der Verringerung unseres kirchlichen ökologischen Fußabdrucks. Wo ist dabei anzusetzen? Die eben schon benannten Handlungsempfehlungen der DBK stecken den Rahmen ab. Themen christlicher Schöpfungsverantwortung können und müssen künftig z.B. in der Pastoral eine größere im Sinn von selbstverständlicherer Rolle einnehmen. Warum nicht regelmäßig in einer der fünf Fürbitten im Gottesdienst diese Anliegen in’s Gebet bringen?
Für unsere Verwaltungen – ob nun auf Pfarrei- oder auf Bistumsebene – muss ein Handeln nach ökologischen Regeln und Standards zur Selbstverständlichkeit werden: das beginnt beim Pfarrfest, geht über den Gebäudebetrieb und die Art der Beschaffung bis hin zum kirchlichen Bauen und Sanieren oder den aggregierten Energieverbräuchen ganzer Bistümer.
Und: Kirche muss öffentlich für die richtigen Rahmenbedingungen eintreten. Position ergreifen heißt dabei immer auch, sich gegen die Alternative zu positionieren. Damit macht man sich angreifbar und setzt sich der Kritik der Gegenposition aus, so sind aber die Spielregeln einer deliberativen Demokratie. Auch wenn das ungemütlich werden kann, kommen wir als Kirche nicht umhin, uns auch öffentlich zu positionieren: Sauerteig sein, so steht es schon im Evangelium.
Was passiert derzeit im Erzbistum München und Freising zu diesen Themen?
Bereits vor fünf Jahren wurden diözesane Nachhaltigkeitsleitlinien von der Bistumsleitung beschlossen, die seitdem den Rahmen für das Erzbistum bilden, zudem arbeiten wir intensiv mit den schon erwähnten Handlungsempfehlungen der deutschen Bischöfe. Bewusstseinsbildung, Beratung und Unterstützung des Ehrenamts sowie die spezifische Aus- und Weiterbildung der verschiedenen Berufsgruppen sind wichtige Themen, Ressourceneinsparung und Emissionsminderung quer durch die Sektoren, aber vorrangig im Gebäudebereich, sind die Zielgrößen. Jüngstes Produkt: ein Katalog umweltfreundlicher Baumaterialien. Zukünftig wird sicher auch das Thema Mobilität eine größere Rolle spielen.
Themen gibt es viele, was sind Ihrer Ansicht nach die dringlichsten?
„Alles ist mit allem verbunden“, sagt Papst Franziskus in Laudato si‘. Eine scharfe Trennung der Themen ist also nicht möglich. Wer an einer Stellschraube dreht, bewegt auch andere. Es muss uns um die Reduktion des eigenen ökologischen Fußabdrucks gehen, das bedeutet emissionsärmer und ressourcenleichter zu leben und zu wirtschaften bei gleichzeitigem Schutz von Boden, Wasser und Artenvielfalt. Das wird nur machbar sein, wenn wir nach anderen Prioritäten als heute leben und wirtschaften. Die biblische Botschaft verheißt uns Frieden und Gerechtigkeit für die gesamte Schöpfung, sie ruft uns aber auch auf, mitzubauen am Reich Gottes.
Gibt es Berührungspunkte mit den Fridays for Future?
Inhaltlich gibt es sehr große Schnittmengen, was nicht verwundert, weil die Jugendlichen nur das verstärken, worüber die Wissenschaft seit langem weitgehend einig ist. Inzwischen hat sich auch ein Ableger namens „Churches for Future“ gegründet. Allerdings bleibt festzuhalten, dass trotz der großen inhaltlichen Übereinstimmungen die tatsächlichen Berührungspunkte eher lokal und meist personenbezogen sind.
Von den Jugendlichen wird Kirche als wichtiger Akteur in diesem Bereich vielfach nicht wahrgenommen…
Das gilt meiner Wahrnehmung nach nicht speziell für Umweltthemen, sondern leider ziemlich generell: Kirche spielt im Leben immer weniger junger Menschen noch eine Rolle. Viele Menschen aber, darunter vor allem junge, sind hochinteressiert an den großen Zukunftsfragen, wie es weiter geht mit diesem Planeten, welche Rollen und Aufgaben dem Menschen dabei zukommen. Kirche hat hier tragfähige Antworten, diese glaubhaft nicht nur zu kommunizieren, sondern eben auch zu praktizieren, ist Teil kirchlicher Verkündigung. Sich für diese Schöpfung Gottes einzusetzen, praktisch und argumentativ, hat auf der Begründungsebene wesentlich mit unserer Gottesrede zu tun, und damit missionarisches Potenzial.
Was kann jeder Einzelne konkret für den Umweltschutz machen?
Erstens, den eigenen ökologischen Fußabdruck reduzieren – das ist sehr individuell, weil sich der Fußabdruck ja bei jeder und jedem anders zusammensetzt. Zweitens, im je eigenen familiären, privaten und beruflichen Umfeld als Multiplikator wirken, andere auf die Themen ansprechen, mitdiskutieren, Haltung zeigen. Drittens: aktiv Bürgerin und Bürger dieses Landes sein, also zur Wahl zu gehen, sich zivilgesellschaftlich und politisch zu engagieren. Und schließlich: Als Christinnen und Christen immer wieder bewusst versuchen, diese Welt wirklich als Gottes Schöpfung wahrzunehmen, sie mit den Augen des Glaubens zu sehen und zu deuten, diese Haltung ins persönliche Gebet und die gemeinsame Feier der Gottesdienste einzutragen, also eine Spiritualität zu leben, die „weder von der Leiblichkeit, noch von der Natur oder den Wirklichkeiten dieser Welt getrennt ist, sondern damit und darin gelebt wird, in Gemeinschaft mit allem, was uns umgibt“ (LS 216).
Das Interview führte Alexandra Hofstätter
Mattias Kiefer, Studium der Philosophie und Theologie, ist seit 2007 diözesaner Umweltbeauftragter und Leiter der Abteilung Umwelt im Erzbischöflichen Ordinariat München. Er ist auch Sprecher der AG der Umweltbeauftragten der deutschen (Erz-)Bistümer (AGU).
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