Ökumene nach 2017
Als Ökumenereferent wird man zuweilen von Leuten gefragt: „Geht in der Ökumene denn was voran? Gibt‘s was Neues? Wie ist denn der Stand der Ökumene?“ Bei solchen Fragen denke ich dann immer an meinen früheren Hildesheimer Kollegen, der in einem Interview vor dem 2. Ökumenischen Kirchentag so antwortete: „Stand der Ökumene? Einen Stand der Ökumene gibt es nicht. Die Ökumene ist immer in Bewegung!“
Wer in den vergangenen Jahren Augen und Sinne für ökumenische Ereignisse offen gehalten hat – im Jahr des Reformationsjubiläums und zuvor gab es dazu genug Gelegenheit – konnte bemerken, dass die Atmosphäre zwischen Lutheranern und Katholiken beispielsweise offener und herzlicher geworden ist. Wurde katholischerseits am Anfang der Reformationsdekade eher gefragt „Kann man Spaltung feiern?“, war man unmittelbar vor dem Jubiläum aus dem Lagerdenken herausgewachsen. Spätestens im Sommer 2015, als Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx sich für ihre Kirchen auf ein gemeinsames „Christusfest“ geeinigt hatten, konnte man sogar in Deutschland sehen, dass die Geschwisterlichkeit zwischen beiden Kirchen am Wachsen ist. Auftakt dazu war im Herbst 2016 eine gemeinsame Pilgerreise ins Heilige Land zu den „Wurzeln des Glaubens“, an der führende Kirchenvertreter teilnahmen und dort große Nähe zeigten; die gemeinsame Begeisterung war groß. Am 11. März 2017 schließlich fand in Hildesheim ein bundesweit zentraler gemeinsamer Gottesdienst unter dem Thema „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“ statt, ein Dank-, Buß- und Versöhnungsgottesdienst mit bundesweiter Wirkung.

GC_002_2019 – Ökumene002: Papst Franziskus und Munib Younan, Präsident des Lutherischen Weltbunds, unterzeichnen die Gemeinsame Erklärung anlässlich des katholisch-lutherischen Reformationsgedenkens in der lutherischen Kathedrale von Lund.Foto: Osservatore Romano/Agenzia Romano Siciliani/KNA Bild
Schon zuvor war man weltweit durch das Dokument „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ (2013) mit großen Erwartungen aufeinander zu gegangen. Als Auftakt des nun gemeinsam ausgerichteten Reformationsjubiläums in Lund (Schweden) am Reformationstag 2016 mit Bischof Younan, dem damaligen Präsident des Lutherischen Weltbundes, und Papst Franziskus eröffneten beide in einem ökumenischen Gottesdienst das Jubiläum auf feierliche Weise. Die gelungene Begegnung wurde durch die gemeinsame Erklärung verstärkt, die beide dabei unterzeichneten. Sie zeigt den klaren Willen zur wachsenden Einheit: „Wir wenden uns an alle lutherischen und katholischen Gemeinden und Gemeinschaften, unerschrocken und schöpferisch, freudig und hoffnungsvoll bezüglich ihres Vorsatzes zu sein, die große Reise, die vor uns liegt, fortzusetzen. Mehr als die Konflikte der Vergangenheit wird Gottes Gabe der Einheit unter uns die Zusammenarbeit leiten und unsere Solidarität vertiefen. […] In Christus verwurzelt und ihn bezeugend erneuern wir unsere Entscheidung, treue Boten von Gottes grenzenloser Liebe für die ganze Menschheit zu sein.“
Was bleibt nach 2017?
Als Summe im Rückblick auf das Jahr 2017 könnte man die Aussage von Kardinal Marx werten, dass der ökumenische „Grundwasserspiegel“ eindeutig gestiegen ist. Freilich muss man das alles wahrnehmen (wollen), denn oft genug sind ökumenische Fortschrittsnachrichten den Medien höchstens eine Randnotiz wert. Man fokussiert sich lieber auf kirchliche Konfliktthemen als auf Versöhnungsgesten. Fortschritte im Zuwachs ökumenischer Gemeinsamkeiten findet man eher in Fachzeitschriften oder kirchlichen Medien, deren öffentliche Verbreitung meist gering ist.

Gottesdienst und Ökumene-Fest mit Papst Franziskus am 31. Oktober 2017 zum Beginn des Reformationsjahres 2016 im Veranstaltungszentrum „Malmö Arena“ in Lund. Foto: Osservatore Romano/Agenzia Romano Siciliani/KNA Bild
Dabei ist nicht nur die bilaterale Ökumene sondern auch die multilaterale zwischen verschiedenen evangelischen Kirchen und den Katholiken auf Europaebene vorangekommen. Im September 2018 stellten die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) mit ihren 108 lutherischen, methodistischen, reformierten und unierten Kirchen mit etwa 50 Millionen Christen aus mehr als 30 Ländern Europas und der Päpstliche Rat für die Einheit der Christen in Rom einen „Gemeinsamen Bericht“ ihrer fünfjährigen Sondierungsgespräche vor und unterzeichneten den Beschluss zu einem nun offiziellen Dialog. Angestrebtes Ziel ist es, einander im Kirchen- und Amtsverständnis näher zu kommen, damit Kirchengemeinschaft möglich wird. In Finnland wurde schon 2017 ein ähnliches Dokument unterzeichnet, das den selbstredenden Titel trägt: „Wachsende Gemeinschaft. Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt – Bericht der Lutherisch-Katholischen Dialogkommission für Finnland“. Und auch auf Weltebene ist der inzwischen fünfte Dialog zwischen Lutheranern und Katholiken zu einem Ergebnis gekommen, das in Kürze unter dem Thema „Taufe und Wachstum in der Gemeinschaft“ veröffentlicht wird. Allein die Titel wahrzunehmen, löst ökumenische Freude aus, insofern die Begriffe „Wachstum“ und „Gemeinschaft“ inhaltsstark und zielführend sind.
Perspektive der Einheit
Sie ist tatsächlich in Bewegung und steht offensichtlich nicht starr auf einer verharrenden oder gar rückwärtsgewandten Position. Was in den vergangenen Jahren vorwärts ging, zeigen die wenigen genannten Beispiele – es gäbe noch mehr.
Wenn man allerdings anders fragt, nämlich nach dem, was nun weiterhin nötig ist, dann ist tatsächlich noch einiges zu tun. Beim Dank- und Versöhnungsgottesdienst in Lund wurden fünf so genannte „Imperative“ ausgesprochen, die eine Verpflichtung beider Kirchen in ihrem Zueinander und Miteinander ausdrücken wollten. Grundlegend war die erste Verpflichtung. Sie besagt, dass beide Kirchen stets von der „Perspektive der Einheit“ ausgehen sollen und nicht von der „Perspektive der Spaltung“. Wir wollen jeweils das stärken, was uns gemeinsam ist. Die weiteren Verpflichtungen legen Wert auf häufigere, wechselseitige Begegnung, ein gemeinsames Zeugnis des Glaubens, eine erneuerte Suche der sichtbaren Einheit und die Wiederentdeckung der Kraft des Evangeliums. Schließlich wollen Katholiken und Lutheraner „in der Verkündigung und im Dienst an der Welt zusammen Zeugnis für Gottes Gnade ablegen“.
Letzteres ist ein Rückgriff auf die Einigung, den erklärten Grundkonsens beider Kirchen in der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ (GE) von 1999. Dieser Meilenstein ökumenischer Übereinkunft wurde inzwischen von drei weiteren Kirchengemeinschaften auf Weltebene mit unterzeichnet, von den Methodisten (2006) sowie den Reformierten und Anglikanern (2017). Erst kürzlich sind alle fünf Kirchen zusammen gekommen, um weitere Wachstumsmöglichkeiten zu beraten.
Tatsächlich: Ökumene ist ständig in Bewegung! Für alle Christen aber ist angesagt, aufmerksam zu bleiben, auch für manche Randglossen, die sonst in der Regel kaum wahrgenommen werden, denn sie könnten Hauptthemen der Christenheit sein und Zeugnisse von kirchengeschichtlicher Tragweite, damit man später nicht sagen muss: Wieso habe ich das eigentlich nicht mitbekommen, als die Kirchen aufeinander zugewachsen sind und eines Tages Kirchengemeinschaft erklärt haben? Und: Wieso haben wir diesen neuen ökumenischen Geist nicht aufgegriffen in unseren direkten Kontakten als Gemeinden und Gemeinschaften vor Ort?
Der neuen ökumenischen Aussaat zum Wachstum zu verhelfen, ist Aufgabe aller gläubigen Christen, damit Ökumene in Bewegung bleibt.
Beitragsbild: Ökumene001: Das Kreuz als großes, verbindendes Element beim Gottesdienst und Ökumene-Fest mit Papst Franziskus am 31. Oktober 2016 zum Beginn des Reformationsjahres 2017 im Veranstaltungszentrum „Malmö Arena“ in Lund.
Foto: Paul Haring /KNA Bild