Wenn Konfessionsbewusstsein und konfessionelle Mentalitäten schwinden
Junge Menschen sehen sich als Christen, weniger als katholisch oder evangelisch. Sie nehmen am religiösen Leben teil, zünden Kerzen an, besuchen den Weltjugendtag und fahren nach Taizé. Für sie ist ökumenisches Miteinander selbstverständlich.
„Die“ Jugendlichen gibt es so wenig wie „die“ Jugendforschung. Wenn im Folgenden dennoch der Sammelbegriff verwendet wird, geschieht dies mit Blick auf jene Jugendliche, die noch religiös sozialisiert und möglicherweise auch kirchlich gebunden sind. Zugleich gilt, dass katholische Jugendliche in einem bayrischen Dorf Konfessionalität anders (er)leben als evangelische Jugendliche in einer Großstadt. Dennoch zeichnen sich gemeinsame Tendenzen ab.
Die Sinus-Jugendstudien „Wie ticken Jugendliche“ von 2008, 2012 und 2016 geben einhellig die Auskunft: „Für christliche Jugendliche spielt die Konfessionszugehörigkeit keine besondere Rolle, sie bezeichnen sich häufig ganz allgemein als Christinnen oder Christen. Dies gilt auch, wenn sie an der Firmung bzw. der Konfirmation teilgenommen und sich damit (eigentlich) verbindlich für eine Konfessionszugehörigkeit entschieden haben. Entsprechend werden auch beim Gottesdienstbesuch oder in der Jugendarbeit die Angebote der eigenen Konfession genauso wie die anderer Konfessionen genutzt.“ Eine Untersuchung zur Bibellektüre von Jugendlichen bestätigt dies und sieht keinerlei Anhaltspunkte mehr für die Aussage, protestantische Frömmigkeit sei traditionsgemäß Bibelfrömmigkeit. Ebenso lässt sich beobachten:
Jugendliche zünden in Kirchen Kerzen an, wenn ihnen danach zumute ist, gehen in die Jungschar, wenn sie sich dort willkommen fühlen, reisen zum Weltjugendtag, wenn sie dieses Event reizt, nehmen an Kirchentagen teil, wenn das Programm sie anspricht, unabhängig davon, ob sie katholisch oder evangelisch sind. Ökumene wird von ihnen selbstverständlich gelebt.
Jugendliche zünden in Kirchen Kerzen an, wenn ihnen danach zumute ist, gehen in die Jungschar, wenn sie sich dort willkommen fühlen, reisen zum Weltjugendtag, wenn sie dieses Event reizt, nehmen an Kirchentagen teil, wenn das Programm sie anspricht, unabhängig davon, ob sie katholisch oder evangelisch sind. Ökumene wird von ihnen selbstverständlich gelebt, aber nicht reflektiert oder gar problematisiert, zumal sie die Schwierigkeiten ökumenischer Prozesse und das Ringen um unterschiedliche Positionen gar nicht kennen. Wenn sie nach Taizé fahren, dann nicht mit der Hoffnung auf ökumenische Verständigung, sondern darauf, Gemeinschaft zu erleben und Gleichaltrige aus verschiedensten Ländern kennen zu lernen. Mit ihrem postkonfessionellen Habitus unterscheiden sie sich sowohl von den Kirchenleitungen als auch von den engagierten Ökumenikern der ersten Stunde.
Konfessionelle Mentalitäten und soziale Lebenswelten
Nicht konfessionelle Mentalitäten wirken trennend, sondern unterschiedliche soziale Lebenswelten. Waren konfessionelle Traditionen und Mentalitäten früher auch für Jugendliche so etwas wie „identity marker“ für die eigene Zugehörigkeit und die alltägliche Lebensgestaltung, hat sich dies grundlegend geändert. Nicht mehr die einstmals relativ klar konturierten konfessionellen Milieus beschreiben unterschiedliche Weisen der Welt- und Glaubenswahrnehmung, des Erlebens und des Geschmacks, des Kommunikationsstils, der Sprache und der Ästhetik, sondern andere Milieuzugehörigkeiten, die quer zu den Konfessionen verlaufen.
Der Relevanzverlust von Konfessionalität und konfessioneller Mentalität bei Jugendlichen ist die Folge verschiedener Pluralisierungsprozesse. Er ist Folge struktureller Pluralisierung durch die fortschreitende Ausdifferenzierung der Lebenswelten. Identitätsstiftende, fest vorgegebene Zugehörigkeiten, wie sie die Konfessionskirchen einst geboten haben, sind dabei verloren gegangen. Zur strukturellen tritt die individuelle Pluralisierung: Glaube wird zunehmend privatisiert und nährt sich aus den subjektiv-biographischen Erfahrungen der Jugendlichen. Tradierte religiöse Formen haben an Bedeutung verloren. Ein dritter Pluralisierungsprozess ist die konfessionelle und religiöse Pluralisierung: Eine Vielzahl und Diversität von Bekenntnissen, Weltanschauungen und religiösen bzw. konfessionellen Stilen erscheint nur plausibel; Einheitlichkeit wäre geradezu verdächtig. Dass es verschiedene Kirchen und verschiedene Bekenntnisse gibt, ist für Jugendliche nicht etwa Stachel im Fleisch, sondern Selbstverständlichkeit. Viel bedeutsamer und herausfordernder erscheint die Begegnung mit religiöser Pluralität.
Es gibt allerdings Ausnahmen:
Konfessionelle Mentalitäten, Frömmigkeits- und Lebensstile spielen dann für Jugendliche eine Rolle, wenn sie in eine ausgeprägte konfessionelle Volksfrömmigkeit mit dazugehörigem Brauchtum hineinsozialisiert werden oder aus anderen Gründen, etwa aufgrund einer Minderheitensituation, über ein ausgeprägtes Konfessionsbewusstsein verfügen. Zahlenmäßig stellen solche Jugendliche freilich eine Minderheit dar. Konfessionelle Mentalitäten sind zudem bei Jugendlichen dann relevant, wenn sie nicht evangelisch-katholische Typisierungen betreffen, sondern andere christliche Konfessionen, die, wie die orientalischen Kirchen und die christlichen Ostkirchen, andere kulturelle Ausprägungen des Christentums widerspiegeln. Da sie knapp 25 Prozent der derzeitigen Migranten ausmachen, bestehen hier durchaus Möglichkeiten der Begegnung. Für Jugendliche aus den Großkirchen kann der Kontakt mit ihnen und ihren bislang unbekannten Frömmigkeitsstilen – orthodoxe Liturgie, orientalische Gesänge, afrikanische Musik und nicht zuletzt die zum Teil intensive Kirchenbindung – zum Anstoß werden, unterschiedliche konfessionelle Mentalitäten überhaupt erst wahrzunehmen und dann auch die Frage nach dem Eigenen zu stellen.
Eine Chance für die Ökumene
Die Möglichkeit des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts ist eine Chance zur Sensibilisierung für Konfessionalität und Ökumene. Zum Teil aus pragmatischen Gründen – wegen zu kleiner Lerngruppen, Lehrkräftemangel oder Minderheitensituation – gefordert, wird er zunehmend als produktives ökumenisches Lernfeld entdeckt. „Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden“ lautet das Leitwort, häufig noch ergänzt durch die dritte Perspektive „Besonderes bergen“. Konfessionell-kooperativer Unterricht ist also nicht einfach Unterricht im Klassenverband, der Differenzen nivelliert, sondern möchte das im Glauben Verbindende und das Differente thematisieren, mit dem Ziel, ein vertieftes Bewusstsein der eigenen Konfession zu schaffen, die authentische Begegnung mit anderen Konfessionen zu ermöglichen und die ökumenische Offenheit der Kirche erfahrbar zu machen. Konfessionalität und Ökumene schließen sich gerade nicht aus, sondern bedingen einander, weil es Christentum oberhalb oder jenseits der Konfessionen nicht gibt. Auch wenn solcher Unterricht aus politischen und juristischen Gründen nicht als ökumenisch bezeichnet wird, realisiert er doch das ökumenische Anliegen ganz und gar.
Weiterführende Literatur zum Thema:
- Wippermann¸ Carsten/Calmbach, Marc, Wie ticken Jugendliche? Sinus-Milieustudie U27, hg. vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend und Misereor, Düsseldorf 2008.
- Calmbach, Marc u.a., Wie ticken Jugendliche 2012? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, Bonn 2012.
- Calmbach, Marc u.a., Wie ticken Jugendliche 2016? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland, Bonn 2016.
- Theis, Joachim, Biblische Texte verstehen lernen. Eine bibeldidaktische Studie mit einer empirischen Untersuchung zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter, Stuttgart 2005.
Titelbild: Junge Menschen sehen sich heutzutage als Christinnen und Christen. Konfessionszugehörigkeit spielt für sie eine untergeordnete Rolle. Ihnen geht es um Gemeinschaft und gemeinsames Erleben.
Foto: Yanlev / Adobe Stock