Seit vielen Jahren setzt Iris-Mirjam Behnke mit der Pfarrei St. Paul in München kreative Projekte um. Für Lebens.Lieder. setzten sich die Teilnehmer damit auseinander, was verschiedene Dinge für – teilweise auch körperliche – Auswirkungen auf sie haben.
Nina Hoegg
Iris-Mirjam Behnke kooperiert bei der Umsetzung ihrer Tanztheater mit der Münchner Pfarrei St. Paul
Einige Frauen in blauer Kleidung bewegen sich zwischen den hölzernen Sitzbänken. Sie werfen lange Schatten. Musik untermalt ihre Bewegungen, die auf den ersten Blick etwas irritierend anmuten können. Auf der Kanzel steht heute kein Pfarrer, sondern Stühle für die Zuschauer. Es ist kein Gottesdienst, der am Abend des 2. Dezember 2016 in der Münchner Kirche St. Paul stattfindet – es ist eine Tanzperformance.
Das Publikum hat vom Altarraum aus einen guten Blick auf die Tänzerinnen. Die 13 Frauen im Alter zwischen 40 und 80 Jahren sind Teil des Tanztheaters Lebens.Lieder. Iris-Mirjam Behnke hat das Projekt 2016 in Kooperation mit der Pfarrei St. Paul ins Leben gerufen und umgesetzt. Es ist bereits das vierte Projekt, das sie gemeinsam mit der Pfarrei realisiert. Weitere Kooperationen sind geplant.
Ideen wachsen lassen
Tanztheater sind für die Choreographin Iris-Mirjam Behnke ein schöner Weg, den Glauben mit dem alltäglichen Leben zu verbinden. Die ausgebildete Tanzpädagogin erarbeitet seit mehr als 15 Jahren Choreografien mit den Teilnehmern ihrer Workshops und ist eine der wenigen Künstlerinnen in Deutschland, die sich im Genre Tanztheater mit christlichen Themen beschäftigt. Bereits vor und während ihrer Ausbildung setzte sie sich damit auseinander, ob und wie der Tanz für den Dialog mit Gott fruchtbar werden kann. Sie realisierte zahlreiche Inszenierungen mit christlichem Kontext, zum Beispiel 2008 die mariengesänge, ein 45-minütiges Solo über das Innenleben Marias oder choreographierte getanzte Gebete.
Behnke schätzt die Offenheit der Paulskirche für derartige Projekte sehr. Entstanden ist die Kooperation mehr aus Zufall: Die Kirche, mit der Behnke eigentlich für ihr Projekt Misa Criolla kooperieren wollte, musste ihr die Probenräume absagen. Sie wurde an die Pfarrei St. Paul verwiesen, die das Projekt gerne unterstützen wollte.
Für deren Gemeindepfarrer Stanislaus Dorawa gab und gibt es bis heute keinen Grund, jemanden bei der Umsetzung einer Idee zu behindern. Er ist leitender Pfarrer des Pfarrverbands München-Westend und sieht sich dennoch in Bezug darauf, was in den Räumlichkeiten seiner Gemeinde passiert, nicht zwingend in einer Entscheider-Rolle: „Ich bin kein Richter, ich bin Diener. Das ist nicht meine Kirche. Jeder soll die Möglichkeit bekommen, sich vor Gott zu äußern. Er entscheidet, was überlebt.“ Deshalb möchte Dorawa alles zulassen, alles wachsen lassen, bis es geerntet werden kann. „Und ernten tu‘ nicht ich, sondern Gott. Also dann: Viel Spaß!“ Auch der Namenspatron der Kirche, der Heilige Paulus, sei ein sehr toleranter Mensch gewesen, sagt Dorawa. Er möchte es ihm gleichtun. Solange die heilige Stätte nicht missbraucht und das Inventar pfleglich behandelt wird, gebe es für ihn keine Grenzen. Auch Kritik an der Kirche sei kein Problem.
Nach Gott suchen
Kritik möchte Iris-Mirjam Behnke mit ihren Aufführungen aber gar nicht üben. „Die Teilnehmer sollen einfach ehrlich zu sich selbst sein, mit dem, was sie empfinden. Wie stehe ich zu Gott? Wie stehe ich zu dem, was die Kirche mir zu bieten hat?“ Zeitgenössischer Tanz sei dafür ein geeignetes Medium, weil jede intellektuelle Ebene wegfalle, die einen beim Fühlen beeinflussen oder behindern könnte.
Die jeweilige Lebensgestaltung der Teilnehmer hat ihren Körper geformt und das wirkt sich auf die Bewegungen der Menschen aus.
Behnkes Ziel ist es, diese natürlichen Bewegungen zu verstärken. „Auf den ersten Blick sieht das nicht unbedingt wie ein Tanz aus, aber die Choreographien haben eine sehr hohe Authentizität. Das werden immer sehr erdige Stücke, sehr vertraut, oft unerwartet.“ Das habe auch nichts mit der religiösen Gesinnung zu tun. Ihre Workshops sind offen für alle und werden daher auch vom Kulturreferat der Stadt München und der Kulturförderung des Bezirks Oberbayern unterstützt. Über verschiedene Stimuli erarbeitet Behnke mit ihren Teilnehmern die Choreographien. „Es geht nicht darum, sich mit der Geschichte der Person zu beschäftigen. Die hilft einem im Hier und Jetzt nicht weiter. Wichtig ist: Wie geht es dem Menschen jetzt?“ Für Lebens.Lieder. setzten sich die Teilnehmer damit auseinander, was verschiedene Dinge für – teilweise auch körperliche – Auswirkungen auf sie haben. Berührungsängste wurden somit genauso zum Thema, wie die Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden und die Wahrnehmung der eigenen Entwicklung während der tänzerischen Arbeit.
Positive Verstärkung statt Therapie
Dabei soll es nie um einen therapeutischen Effekt im Sinn einer Heilung oder Wiederherstellung gehen, betont Behnke. „Es geht darum, positiv zu verstärken, zu ermutigen, zu vertiefen. Falls es währenddessen zu einem heilenden Effekt kommt, passiert der quasi aus Versehen.“ Ähnlich einer Meditation gehe es beim Tanz darum, die Schnittmenge zwischen Körper und Seele zu entdecken. „Das bedeutet aber nicht, dass sie vergrößert werden soll.“ Das gehe Hand in Hand mit ihrem christlichen Selbstverständnis, das sie auch im Alltag permanent begleitet. „Gott ist natürlich ein Künstler, da er Schöpfer ist und permanent neues schafft. Diese Kreativität gibt er an den Menschen weiter.“ Dennoch möchte Behnke ihre Projekte nicht als fromme Kunst verstanden wissen. Der Glaube soll nicht explizit thematisiert werden, die Choreografien keinen missionarischen Charakter bekommen. „Tanzen ist für mich Ausdruck des Lebens. Da Gott als Zentrum meines Weltbilds natürlich Teil meines Lebens ist, schließt der Tanz den Glauben mit ein. Hauptsächlich möchte ich aber mit meinen Teilnehmern Fragen beantworten. Die können, müssen aber nicht mit Gott zusammenhängen.“
Die Kirche hat dennoch besonders in Lebens.Lieder. eine elementare Bedeutung, weil die Choreographie in den Raum der Paulskirche integriert ist. Das eröffnet völlig neue Perspektiven: Während die starren Sitzbänke durch die Tänzer belebt werden, kann das Publikum im Altarraum eine Position einnehmen, die ansonsten den Geistlichen vorbehalten bleibt. Das verändert die Wahrnehmung auf beiden Seiten. Für Behnke war hier eine interessante Entwicklung zu beobachten, denn die Teilnehmer mussten für die Choreographie den Kirchenraum als Ausdruck von Empfindungen zulassen. Bei einigen herrschte anfangs Misstrauen vor, das aber nach und nach wich. Mit der Aufführung in St. Paul konnte dann auch die Dankbarkeit gegenüber der Kirchengemeinde dafür ausgedrückt werden, dass sie ihre Pforten für die Inszenierung öffnete.
Dabei haben Kunst und Religion an und für sich eher ein stiefbrüderliches Verhältnis: „Die Kunst hat sich in die Kirche geschlichen, dadurch dass Menschen sich trotz des göttlichen Verbotes für Bilder interessieren“, sagt Pfarrer Dorawa. Als Ausdruck der Gefühle der Seele bereichert die Kunst, sei es die bildende als auch die Performancekunst, in seinen Augen dennoch die Seelsorge. Daher hat sie in den vier Kirchen seiner Pfarrgemeinde lange Tradition und erfährt intensive Pflege. Regelmäßig finden in den vier Kirchen seiner Pfarrgemeinde Installationen und Ausstellungen statt. St. Paul ist zudem Sitz der Kunstpastoral der Erzdiözese München und Freising.