Landeskomitee diskutiert mit viel Prominenz über die Zukunft von Politik und Gesellschaft
Hasskommentare im Netz, Rechtspopulisten im scheinbaren Aufwind, ein völlig unerwarteter Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen, entgegen allen Prognosen, und ein bayerischer Erzbischof, der Morddrohungen bekommt – viele Menschen fragen sich aktuell: Wohin steuert unsere Demokratie? Ist aus Meinungsfreiheit Enthemmung geworden? Und was verlangt das Evangelium von uns Christen, wie sollen wir diesen Entwicklungen begegnen? Auch das Landeskomitee der Katholiken in Bayern hat sich bei seiner Herbstvollversammlung mit diesen Themen beschäftigt.
Für den Vorsitzenden des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Albert Schmid, ist der Einsatz für Demokratie die Pflicht eines jeden Christen: „Aus einem rechten Verständnis der Menschenwürde heraus ist Demokratie ein christliches Anliegen“, sagte er. Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen in Deutschland und den zurückliegenden US-Wahlkampf kritisierte er sowohl eine „populistische Herangehensweise mit einfacher Sprache“ in der Politik, als auch eine „bloße Technokratie“. Letztere führe zu Unverständnis und Irritation in der Bevölkerung. Entschieden wandte sich Schmid gegen Tendenzen des Postfaktischen. Tatsachen dürften nicht ausgeblendet oder ignoriert werden: „Demokratie braucht Rationalität.“
Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, ging auf die Vorzüge einer repräsentativen Demokratie ein und arbeitete in ihrem einführenden Grundsatzreferat den Bedeutungsverlust etablierter Institutionen – demokratische Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Vereine, Qualitätsmedien – heraus. Deren bisherige Rolle, den Menschen bei der Einordnung von Dingen und Geschehnissen zu helfen, könnten sie somit nicht mehr ausfüllen („Lügenpresse“), „dem Einzelnen geht eine wichtige Orientierung verloren“, so Münch. Hinzu komme eine sich immer rasanter verändernde Welt. Diese beiden Faktoren zusammen schafften die Basis für das, was momentan am rechten Rand und in sozialen Netzwerken erlebbar werde. Menschen fühlen sich durch eine komplexe Welt und ihre eigene Orientierungslosigkeit darin abgehängt. Der Politik sei es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, diese „gesellschaftlich Abgehängten“ mit an Bord zu holen.
Auf dem Podium diskutierten anschließend der Bayerische Justizminister, Winfried Bausback, der Verleger des Straubiger Tagblatt und der Abendzeitung, Martin Balle, sowie Klaus Stüwe, Lehrstuhlinhaber für Vergleichende Politikwissenschaft und Politische Systemlehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Die Aussagen von Staatsminister Bausback zur Flüchtlingsfrage stießen bei den Mitgliedern des Landeskomitees auf heftigen Widerspruch. Bayern behandle Flüchtlinge human und habe mehr für sie getan als jedes andere Bundesland, so verteidigte Bausback die bayerische Flüchtlingspolitik als „die einzig schlüssige Antwort“.
Gegenseitige Schuldzuweisungen brächten niemanden weiter, konstatierte Klaus Stüwe: „Solidarität ist der Schlüssel.“ Es sei falsch, unzufriedene Rentner oder andere gesellschaftlich abgehängte Menschen gegen Flüchtlinge auszuspielen. Stüwe machte aber auch deutlich, „dass diese Solidarität verdammt viel kosten“ werde. Per Fish-Bowl-Methode konnte ein freier Platz auf dem Podium immer wieder von Diskutanten aus dem Plenum eingenommen werden. Michael Eibl, Direktor der Katholischen Jugendfürsorge in der Diözese Regensburg, kritisierte das Vorgehen der Bayerischen Staatsregierung in Bezug auf minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge. Eindrücklich schilderte er Fälle, in denen jugendliche Flüchtlinge abgeschoben oder in andere Länder zurückgeschickt würden, ohne Information, ohne Perspektive.
Auf die Ausführungen von Martin Balle, dass seine Mitarbeiter nicht tariflich bezahlt würden, reagierten die Mitglieder des Landeskomitees prompt: In die Stellungnahme (siehe Kasten) wurde ein zusätzlicher Passus aufgenommen, der Arbeitnehmerrechte wie Mitbestimmung und tarifliche Regelungen als Grundvoraussetzungen einer lebendigen Demokratie nennt.
Im Gespräch mit Weihbischof Ulrich Boom, dem Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für das Heilige Jahr der Barmherzigkeit, wurde eines deutlich: Das Heilige Jahr ist zwar inzwischen offiziell beendet, die Heiligen Pforten sind wieder geschlossen. Das Thema aber bleibt. Die Mitglieder des Landeskomitees rief er zur „Herzensbildung“ auf. „Sind wir wirklich froh, dass wir das Evangelium haben und die Armen, die Flüchtlinge?“, fragte er in die Runde. „Sind wir froh darüber, dass diese Menschen zu uns kommen wollen, weil sie wissen, dass ihnen hier geholfen wird?“ Zur Überraschung vieler stellte er außerdem ein Wort der deutschen Bischöfe zu Amoris leatitia in Aussicht, das Gemeinden und Seelsorger „ermutigen“ solle, die eigene Verantwortung wahrzunehmen, so Boom mit Blick auf den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Eine Kommentierung des Papstschreibens Amoris leatitia soll das Papier nicht werden: „Das gehört sich nicht.“
Boom glaube nicht daran, dass die Kirche sich von den Bischöfen her erneuern werde. Dies werde vielmehr „von Gemeinden und Gemeinschaften her geschehen“, sagte er. Er bemängelte, dass Katholiken nach wie vor vielfach in einer „monarchischen Denke“ verhaftet seien. Er habe zudem manchmal den Eindruck, so Weibischof Boom, dass die Kirche in Deutschland zu stark „verwaltet und verbeamtet“ sei. Entscheidend für einen Erneuerungsprozess, der von unten nach oben erfolgen könne, sei ein „offenes und weites Herz.“
Bilder: A. Hofstätter
Zogen ein Resümee des Jahres der Barmherzigkeit: Weihbischof Ulrich Boom (links) und Landeskomitee-Chef, Albert Schmid.
Die Mitglieder des Landeskomitees der Katholiken in Bayern bei ihrer Herbsttagung im Burkadushaus, Würzburg.
Emotionale Debatte auf dem Podium: Michael Eibl, Direktor der Katholischen
Jugendfürsorge Regensburg, Moderator Andreas Jungbauer von der Main-Post, Verleger Martin Balle, Justizminister Winfried Bausback und der Politikwissenschaftler Klaus Stüwe (von links).
Der Vorsitzende des Landeskomitees, Albert Schmid, sieht im Einsatz für Demokratie eine „Christenpflicht“.
Ursula Münch, die Direktorin der Politischen Akademie in Tutzing nahm in ihrem Vortrag die „gesellschaftlich Abgehängten“ in den Blick.
