Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: März-April 2021

Interview

Glauben und Leben in einer Welt

Eva Jelen war bis Februar Landesvorsitzende des BDKJ in Bayern. Johannes Hartl leitet das Gebetshaus in Augsburg. Beide wollen dasselbe: Menschen für den Glauben begeistern und deutlich machen, dass Kirche und ihre Themen nicht von gestern sind – ein Gespräch über Corona, die Zukunftsfragen der katholischen Kirche und warum Glaube längst keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit mehr ist.

Foto: BDKJ Bayern

Eva Jelen (33 Jahre alt) war von 2015 bis Februar 2021 Landesvorsitzende des BDKJ in Bayern. Seit März ist die Bildungswissenschaftlerin neuer Vorstand der IG – Initiativgruppe für interkulturelle Begegnung und Bildung e.V., einem Münchner Verein, der Deutschkurse, Integrationskurse, ausbildungsbegleitende Hilfen, Betreuung von Geflüchteten, Frauenprojekte und Jugendarbeit anbietet.

 

 

 

Foto: Rudi Toews

Dr. Johannes Hartl (*1979) ist Autor und Gründer des Gebetshauses Augsburg, das auf Konferenzen mehr als 10.000 Teilnehmer anzieht. Seit 2011 beten im Gebetshaus überwiegend junge Menschen ohne Unterbrechung. Hartl studierte Philosophie und Theologie und lebt mit seiner Frau und vier Kindern in Augsburg. 

 

Gemeinde creativ: Was waren für Sie die Herausforderungen der vergangenen Monate?

Johannes Hartl: Wir waren schon vor Corona im digitalen Bereich recht gut aufgestellt. Daher waren wir im Vergleich mit anderen, die sich das alles erst neu aneignen mussten, sicherlich ein bisschen im Vorteil und sind bisher ganz gut durchgekommen. Wir sehen, dass viele Menschen alleine sind – und auch auf der Suche. Deswegen haben wir unsere digitalen Angebote weiter ausgebaut.

Eva Jelen: Im BDKJ ist viel ausprobiert worden und wir haben bald gemerkt, was online möglich ist und was nicht. Mittlerweile gibt es ganz viele gut funktionierende Formate, wie kirchliche Jugendarbeit miteinander auch auf Abstand funktionieren kann. Die größte Herausforderung hat Johannes Hartl gerade schon angesprochen: das Alleinsein von so vielen Menschen macht auch uns Sorgen. Wie kann persönliche Begleitung gelingen? Wie kann echte Begegnung auch in dieser Form stattfinden? Das klappt mal besser, mal schlechter, hat aber nie die Qualität eines persönlichen Kontakts.

Hat die Kirche die Digitalisierung in den vergangenen Jahren verschlafen und denken Sie, dass einige der aus der Not geborenen Formate der Corona-Zeit bleiben werden?

Jelen: Das Internet ist ein Lebensraum für Kinder und Jugendliche – uns im BDKJ ist das bewusst und daher haben wir uns seit Jahren dafür eingesetzt, dass Kirche ihre digitalen Angebote ausbaut. Wenn wir als Kirche und als Jugendarbeit dort nicht präsent sind, erreichen wir unsere Zielgruppe nicht.

Hartl: Es ist in dem Bereich ohne Zweifel vieles verschlafen worden. Und diesen Digitalisierungsschub hätte es auch nicht gegeben, hätte nicht der Zwang dazu durch die Pandemie bestanden. Trotzdem bin ich mir sicher, dass viele Formate uns auch in Zukunft erhalten bleiben werden – und das ist auch gut so. Die vergangenen Monate haben gezeigt, welche Möglichkeiten darin stecken.

Die Krise als Chance – kann man das so einfach stehen lassen?

Hartl: Die Beschleunigung, die wir gerade in vielen Bereichen erleben, hat Vor- aber auch Nachteile. Wir als Christen sollten Fortschritt weder verteufeln noch glorifizieren, sondern wir sollten ihn aktiv gestalten. Die stärkste Auswirkung ist die Digitalisierung und darin stecken enorme Chancen. Mich interessiert dabei: wie kann ich Menschen erreichen, die sonst viel schwerer zu erreichen sind, und wie kann ich Menschen miteinander in Dialog bringen? Andererseits darf man die „Schattenseiten“ des digitalen Lebens nicht ausblenden: es ist suchthaft, weniger ganzheitlich und es kann gewisse gesellschaftliche Spaltungstendenzen nochmals verstärken. Aber auch in anderen Bereichen kann es wirklich nachhaltige Entwicklungen geben. Aus rein ökonomischen Gründen wird weniger gereist werden, was sich gleichzeitig auch ökologisch positiv auswirkt.

Jelen: Zusätzlich zu all diesen Punkten, hat uns die Krise auch erkennen lassen, was wirklich wichtig ist. Und das dürfen wir jetzt nicht einfach wieder vergessen. Ich denke da zum Beispiel an den Wert einer echten persönlichen Begegnung, aber auch an Elemente unseres Glaubens. Wenn wir uns an Ostern und Weihnachten 2020 erinnern – was war da wichtig? Worauf kam es an? Viele haben sicherlich zum ersten Mal überhaupt diese Frage für sich beantworten können, eben weil es so anders war als bisher.  

Welche Sorgen und Ängste bewegen die jungen Menschen momentan?

Jelen: Ganz viele junge Menschen haben gerade große existenzielle Sorgen. Schulabschluss, Studium, Auslandsjahr, Ausbildung – bis Corona kam, standen den jungen Menschen diese Türen offen. Sie hatten Pläne und Ziele. Jetzt platzen gerade viele Lebensträume, weil die momentane Situation bestimmte Dinge nicht zulässt. Die jungen Menschen müssen sich neu orientieren, gleichzeitig bleibt die Unsicherheit, weil niemand sagen kann, wie sich die Corona-Krise noch im Lauf der nächsten Jahre auf den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft auswirken wird. Zudem sind Kinder und junge Menschen bei den politischen Entscheidungen der vergangenen Monate kaum im Blick gewesen – es ging um Interessen von Eltern, deren Arbeitgebern, um wirtschaftliche Interessen allgemein. Aber die jungen Leute hat keiner nach ihren Bedürfnissen gefragt. Deswegen haben sich auch viele mit ihren Sorgen nicht ernst genommen gefühlt.

Kirche kommt bei jungen Menschen nicht mehr an – stimmt das?

Hartl: Generell kommt Kirche bei den allermeisten Menschen nicht mehr an und bei den Jugendlichen besonders schlecht. Glaubensthemen verlieren aber nie völlig ihre Relevanz und darum glaube ich, dass es Angebote braucht, mit denen es gelingt, Menschen auf herzliche, persönliche und für sie relevante Weise anzusprechen. Diese werden auch gesehen und angenommen – unabhängig vom Alter. In absoluten Zahlen geht der Glaube zurück. Das liegt daran, dass Glaube heutzutage eine Option unter vielen ist. Vor 80 Jahren hat man ohne nachzufragen das geglaubt, was die Eltern geglaubt haben und man hat oft auch den Beruf der Eltern ergriffen. Das war eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit. Das ist heute anders. Wir als Kirche hängen noch sehr an der alten Volkskirche, die es aber so nicht mehr gibt, und wir tun uns schwer, uns auf das Neue einzustellen. Daran müssen wir arbeiten. Denn der Glaube hat auch heute noch eine Strahlkraft, die überzeugen kann.

Jelen: Für Jugendliche ziemlich unsexy ist das Bild, das Kirche vielfach nach außen vermittelt: alte Männer in liturgischen Gewändern. Aber Kirche ist viel mehr als dieses Bild, das müssen wir auch zeigen. In der Jugendarbeit haben wir seit Jahren steigende Zahlen, was unsere ehrenamtlich Engagierten betrifft. Das ist toll und beweist, dass viele junge Menschen bereit sind, sich für die Sache zu engagieren. Ich glaube deswegen, dass Kirche sehr wohl noch bei jungen Leuten ankommt. Nur: der Stempel „Kirche“ ist nicht immer offensichtlich.

Dieses Phänomen gibt es ja nicht nur in der Jugendarbeit: Menschen engagieren sich für eine Sache, weil sie es gut und wichtig finden – beispielweise in der Flüchtlingshilfe, im sozialen oder entwicklungspolitischen Bereich. Dabei ist vielen dann gar nicht klar, dass es sich um „kirchliches“ Engagement handelt. Heißt das nicht im Umkehrschluss, dass Kirche hier ein gewaltiges Kommunikationsdefizit hat, weil es ihr nicht gelingt, deutlich zu machen, was sie Gutes tut in der Welt?

Hartl: Wenn man die Umfragen anschaut, dann genießt die Kirche als Trägerin von sozialer Arbeit sehr großes Ansehen, allerdings nicht als Trägerin einer gewissen Weltanschauung. Das ist nur auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Zum Glück gibt es das soziale Engagement der Kirche in unserer Gesellschaft, das würden viele Menschen unterschreiben. Aber das bedeutet nicht, dass Kirche als eine relevante Stimme gesehen wird, wenn es um die persönliche Lebensführung oder ihren eigenen Glauben geht. Ich halte das schon für ein Problem: denn auch im sozialen Bereich ist die Kirche nicht der einzige Anbieter. Die Frage nach dem Alleinstellungsmerkmal wird hier immer dringlicher.

Glauben heutige Jugendliche weniger als frühere Generationen?

Jelen: Ich denke, dass es heute eine größere Freiheit gibt. Junge Menschen gehen nicht mehr wie automatisch jeden Sonntag in den Gottesdienst oder lassen sich firmen. Auf der anderen Seite erfordert das auch eine größere Auseinandersetzung mit diesen Themen. Wenn junge Menschen regelmäßig zum Gottesdienst gehen oder sich firmen lassen, dann tun sie das bewusst und nicht einfach, weil „es sich gehört“ oder die Eltern das verlangen. Sinnfragen und Fragen der Spiritualität sind nach wie vor prägend für junge Menschen. Entscheidend ist aber: Glauben und Leben dürfen keine getrennten Welten sein.

Hartl: Ich stimme vollkommen zu, dass diese Möglichkeit der eigenen Entscheidung etwas Positives ist. Das hat schon nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen, mit einer großen Spitze in den 1960er Jahren. Interessant ist, dass wir jetzt – 60 Jahre später – erkennen, dass dramatisch weniger junge Menschen an den christlichen Gott glauben. Statistisch gesehen wächst die Zahl derer, die sich als Atheisten bezeichnen, konstant weiter, die Zahl derer, die sich zur katholischen Kirche bekennen sinkt dagegen von Jahr zu Jahr. Das sollte uns zu denken geben. Denn: es ist richtig, wie Eva Jelen sagt: die Fragen sind noch immer da. Und die Jugendlichen finden die Antworten auch. Aber eben vielfach nicht mehr in der katholischen Kirche.

Wie kann es gelingen, Menschen wieder stärker für christliche Glaubensthemen zu begeistern?

Hartl: Wir brauchen ein radikales Umdenken dessen, was Charles Taylor die „Optionalisierung des Glaubens“ nennt. Wir müssen anerkennen, dass der christliche Glaube nur noch eine Option von vielen ist. Unser Ziel kann nicht sein, dass wir einfach so irgendwie weiter durch die Zeit kommen. Sondern unser Ziel muss ein, dass ein Mensch, der dem Glauben noch fern steht, seinen Weg zu Jesus findet. Es gibt Konzepte, die erwiesenermaßen funktionieren, auch über die Kulturen hinweg. Ein Beispiel ist der Alpha-Glaubenskurs. Leider ist dieses Ziel – also dass es darum geht, neue Menschen für den Glauben zu begeistern – meines Erachten im kirchlichen Alltag alles andere als klar formuliert und zielgerichtet umgesetzt.

Jelen: Es muss Angebote für junge Menschen geben, und zwar solche, in denen ihre Fragen gehört werden, in denen es Räume gibt, für kritische Nachfragen, für Zweifel und Reflexion. Junge Menschen brauchen authentische, glaubwürdige Menschen, die sie auf der Suche nach ihren Antworten begleiten. Da ist es wichtig, dass es keine platten Antworten sind. Sie müssen nicht endgültig sein, weil es solche Antworten gerade im Bereich der Religion vielfach gar nicht geben kann. Aber junge Menschen müssen sich mit ihren Fragen ernstgenommen fühlen. Das ist sicherlich auch eine Stärke der katholischen Jugendarbeit: bei uns finden junge Leute ganz viel Raum für genau diese Dinge.

Stichwort „Glaubwürdigkeit“ – durch die Missbrauchs- und Finanzskandale der vergangenen Jahre wurde viel Porzellan zerschlagen. Ist das noch zu kitten?

Hartl: Für mich ist die Missbrauchskrise mehr Symptom als Ursache. Wir haben seit circa 200 Jahren eine deutliche Säkularisierung der Gesellschaft. Die Missbrauchsskandale der letzten Jahre beschleunigen diese, keine Frage. Aber sie waren nicht der eigentliche Auslöser dafür. Und nein, ich glaube nicht, dass sich das wieder kitten lässt. Dass Menschen allgemein Institutionen immer weniger vertrauen, dafür aber glaubhaften Einzelpersönlichkeiten umso mehr, ist ein Trend, den man vielleicht nutzen kann. Das Evangelium Jesu Christi ist ja auch nicht die Geschichte einer Organisation, sondern die einer sehr authentischen Person. Bisher hat die Institution Stabilität und Sicherheit gegeben. Davon werden wir uns über kurz oder lang verabschieden müssen – und dann hängt es wie zur Zeit Jesu an uns Christen als Personen, die Botschaft glaubwürdig weiterzutragen.

Jelen: Nicht nur die katholische Kirche hat mit Missbrauchsskandalen zu kämpfen. Sie wird davon allerdings mehr gebeutelt als andere Organisationen. Warum ist das so? Da ist dieser bekannte Satz vom „Wasser predigen und Wein trinken“. Als Kirche haben wir einen anderen moralischen Anspruch als jeder Sportverband zum Beispiel. Und wenn wir den nicht selber einhalten, dann machen wir uns in höchstem Maße unglaubwürdig. Mir fehlt manchmal das bedingungslose Anerkennen dieser Fehler und Makel. Bei der Kirche kommt immer ein „Ja, aber…“. Die Rechtfertigungen müssen aufhören. Zudem haben wir es hier mit einem Machtthema zu tun. In der katholischen Kirche werden die Machtstrukturen nur sehr ungern überhaupt angesprochen, geschweige denn zur Disposition gestellt. Ich bin der festen Überzeugung, Kirche muss sich hier weiterentwickeln. In der Geschichte war das immer eine große Stärke der Kirche. Aktuell wirkt sie da etwas verkrustet und bewegungsunfähig.

Gebet oder Handeln – was ist wichtiger?

Jelen: Ich glaube, das lässt sich für Christen nicht trennen. Ein bloßes Gebet, das keinen Ausdruck in meinem eigenen Handeln findet, das wäre doch fast schon Heuchelei. Genauso auch anders herum. Für mich gibt’s da auch kein „das eine ist fromm, das andere frömmer“. Für mich gehören die beiden zusammen.

Hartl: Da stimme ich voll zu. Und ich möchte anfügen: ich kenne niemanden, der Gefahr laufen würde, immer nur zu beten und nie zu handeln. Aber ich kenne unfassbar viele Menschen, die ihr ganzes Leben lang nur handeln und nie beten.

Wie sehen Sie den Synodalen Weg?

Hartl: Ich mache mir Sorgen um jene Leute, die große Hoffnungen in den Synodalen Weg gesetzt haben und die am Ende vielleicht enttäuscht werden, weil ich glaube, dass der Synodale Weg nicht die ganz großen Änderungen wie die Abschaffung des Zölibats oder die Zulassung von Frauen zur Weihe bringen wird und auch gar nicht bringen kann. Das sind weltkirchliche Fragen, die überhaupt nicht in einem einzelnen Land entschieden werden können. Zudem werden beim Synodalen Weg vorwiegend strukturelle Fragen diskutiert. Das mag notwendig sein, macht die Kirche aber nicht automatisch attraktiver.

Jelen: Der Ausgang ist ungewiss – und das ist schon eine optimistische Haltung. Viele Jugendliche sagen mir: „Das bringt doch alles gar nichts. Wieder nur ein Gesprächsprozess unter vielen, der keine Konsequenzen haben wird.“ Ich glaube, dass der Synodale Weg für die Kirche in Deutschland noch einmal eine Chance ist, einen Reformwillen zu zeigen und einen Weg ins Hier und Jetzt zu finden. Der Synodale Weg kann im kirchenrechtlichen Sinn nichts beschließen, aber für mich wäre es ein Erfolg, wenn er Themen, die für uns in Deutschland relevant sind, aufwerfen und konkrete Handlungsschritte aufzeigen würde. Ich sehe auch, dass wir hier in Deutschland über den Punkt hinaus sind, bis zu dem die Verantwortlichen immer nur zuhören. Und hoffe daher, dass der vielgeforderte „Dialog auf Augenhöhe“ so weitergehen kann, wie er sich in den ersten Veranstaltungen gezeigt hat.

Sind die Themen, die beim Synodalen Weg diskutiert werden, auch aus Ihrer Sicht die Zukunftsfragen der katholischen Kirche?

Jelen: All diese Themen haben ja erst einmal gar nichts mit dem Glauben zu tun, sondern sind strukturelle Fragen. Aber auch wenn keine dieser Fragen mich und meinen persönlichen Glauben betrifft, so geht es doch um Vertrauen in diese Institution, wie sie sich weiterentwickelt und wie anschlussfähig sie ist. Mich würde es schon glücklich machen, wenn nie wieder ein Bischof sagt: „Ich habe gar keine Macht, ich diene ja nur.“ oder wenn ich den Vorwurf nicht mehr hören müsste, dass Frauen nur aus Machtgründen Ämter in der Kirche innehaben wollen. Komischerweise stellt sich die Frage bei den Männern ja scheinbar nicht, sie sind berufen – was man Frauen auch vielfach gänzlich abspricht – und „dienen“ ja nur. Bei Anschlussfähigkeit an die Menschen und die Gesellschaft geht es auch darum, welche Lebensformen anerkannt werden: es macht einen Unterschied, ob die Kirche gleichgeschlechtliche Paar nur toleriert oder ob sie vollständig anerkannt werden. Wie soll zum Beispiel auch künftig die Priesterausbildung ablaufen? Weiterhin abgeschottet in eigenen Seminaren? Oder finden sich Wege, die es künftigen Priestern ermöglichen, die Facetten der Gesellschaft und des Miteinanders besser kennen zu lernen? Das alles sind Fragen, die wir auch hier in Deutschland gut diskutieren und dann entsprechend umsetzen können.

Hartl: Die intensive Auseinandersetzung mit der Missbrauchsdebatte war unvermeidlich und sie ist bleibend wichtig für die Glaubwürdigkeit der Kirche. Trotzdem befürchte ich, dass beim Synodalen Weg nicht die wirklichen Zukunftsthemen unserer Kirche diskutiert werden. Für einen Fernstehenden ist es nicht entscheidend, ob ein Priester heiraten darf oder nicht. Ein Beispiel: der Buddhismus wird auch in Deutschland immer attraktiver. Hier gibt es diese Diskussionen um die Abschaffung des Zölibats für buddhistische Mönche nicht. Das eigentliche Zukunftsthema ist: wie werden Menschen, die dem Glauben jetzt fernstehen zu Menschen, denen die Nachfolge Jesu Christi persönlich wichtig ist.

Wie wird die katholische Kirche in 50 Jahren aussehen?

Hartl: Momentan gibt es Gemeinschaften oder auch Klöster, die regen Zuwachs haben. Meine Prognose ist, dass es diese Orte in 50 Jahren noch geben wird. Vieles andere wird nur noch eher musealen Charakter haben – die Gebäude werden noch stehen, in der breiten Bevölkerung wird es nur noch eine Ahnung davon geben, was diese einmal bedeutet haben. In den skandinavischen Ländern oder in Teilen Frankreichs ist diese Entwicklung schon erkennbar.

Jelen: Die Strukturen sind mir gar nicht so wichtig. Für mich wäre wichtig, dass wir in 50 Jahren eine Kirche haben, in der Menschen ihren Glauben leben können und in der sie in allen Lebenslagen begleitet werden. Eine Kirche, die Strahlkraft nach außen hat und in der Welt wirkt – das würde ich mir wünschen. Und ich glaube auch, dass wir das gemeinsam erreichen können.


Verfasst von:

Alexandra Hofstätter

Geschäftsführerin des Landeskomitee der Katholiken in Bayern.