Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2021

Schwerpunkt

Eltern kurz vor dem Burnout

Foto: Fabio Principe / Adobe stock

Homeoffice und Homeschooling können auf Dauer kaum vereinbart werden

Alles ist ständig im Galopp zu erledigen, alles ist ständig viel zu viel: „Lockdown“ bedeutet für Lea Nachtigall puren Stress. Da ist die Arbeit, die sie gerade überwiegend im Homeoffice ableistet. Die Zwillinge, sonst in der Kita, sind daheim und wollen beschäftigt werden. Und da ist ihr Sohn, ein Junge mit Autismus-Spektrum-Störung, der die reguläre Grundschule besucht und Homeschooling hat. Daneben will der Haushalt versorgt werden. Die 36-Jährige fühlt sich meistens total am Limit.

Eltern erhalten in der Pandemie von allen Seiten Lob, doch das ist völlig fehl am Platz, meint Lea Nachtigall. Was die Ärztin aus der Diözese Würzburg bräuchte, wäre konkrete Unterstützung: „Zum Beispiel in Form eines bezahlten Sonderurlaubs, denn Kinderbetreuung läuft ganz schlecht nebenher.“ Die laut Lea Nachtigall „diabolische Vereinigung aus Homeschooling und Homeoffice“ sei eine „Burnout-Maschine“ für Eltern. Das Kinderkrankengeld nützt ihr nichts, denn sie ist privat versichert. Und der Versicherungsschutz der privaten Krankenkasse umfasst prinzipiell keinen Anspruch auf Geld im Falle der Erkrankung eines Kindes.

Homeschooling, könnte man denken, sollte heutzutage doch kein Hexenwerk sein, schließlich leben wir im Internetzeitalter. Warum klagen so viele Eltern, dass ihre Kinder schlecht klarkommen? Ganz einfach, sagt Lea Nachtigall: „Die Lehrkräfte an den Grundschulen, vor denen ich höchsten Respekt habe, seit mein eigener Sohn in die Schule geht, sind seit langem chronisch überlastet.“ Sie hätten viel mehr Zeit gebraucht, um gute Konzepte für den Distanzunterricht zu stricken. In Nachtigalls speziellem Fall fordert vor allem die Beeinträchtigung des Sohnes. An einem durchschnittlichen Schultag zu Hause braucht der Junge eineinhalb Stunden Unterstützung durch seine Mutter.

Drei Kinder daheim zu haben, heißt es oft, das ist wohl eher selten. Aber auch das stimmt nicht, sagt Lea Nachtigall. Es gibt genug kinderreiche Familien, die jetzt ganz besonders unter Druck sind. Was Ansgar Stich bestätigt. Der katholische Religionslehrer und Leiter des Johannes-Butzbach-Gymnasiums in Miltenberg am Bayerischen Untermain hat selbst vier Kinder. Eine Tochter studiert, drei Kinder sind noch in der Schule. Die Kids zu motivieren, sich fürs Homeschooling an den Rechner zu setzen, sei gar nicht so leicht, weiß Stich aus eigener familiärer Erfahrung.

Per Livestream zum Abi

Anders als an Grundschulen ist Inklusion an Gymnasien kein allzu großes Thema. Doch auch Ansgar Stich hat einige Kinder und Jugendliche mit körperlicher oder seelischer Beeinträchtigung an seiner Schule. Zum Teil profitieren die sogar vom Homeschooling: „Das betrifft zum Beispiel Kinder mit einem Hang zur sozialen Phobie.“ Super gut gelang es im letzten Jahr, eine schwer zuckerkranke Jugendliche via Livestream zum Abitur zur führen. Das, sagt Ansgar Stich, nimmt er auch als Positives mit aus der Pandemie: „Es ist gut, für Notfälle Digitalisierungselemente zur Verfügung zu haben.“ Wobei für ihn zugleich unbestreitbar klar ist: „Der Unterricht in der Schule ist durch keine digitale Technik zu ersetzen.“

Viele Kinder sehnen sich danach, endlich wieder wie früher in die Schule zu dürfen. Foto: Pat Christ

Homeschooling bedeutet nicht nur in vielen Fällen eine Doppelbelastung gerade für Mütter. Es verhindert auch das, was Ansgar Stich für essenziell hält: „Und zwar das Lernen in Beziehung.“ Letztlich sei es nicht ausschlaggebend, ob ein Kind weiß, wann Karl der Große geherrscht hat. Es wird sehr wahrscheinlich auch ohne dieses Wissen gut durchs Leben kommen. „Viel wichtiger ist das soziale Lernen“, betont der Rektor. Ein Kind, das es acht Jahre geschafft hat, mit 25 anderen Kindern, die alle irgendwelche Macken und irgendwelche Vorlieben haben, klarzukommen, das hat nach seiner Überzeugung Entscheidendes für sein gesamtes Leben gelernt.

Im Vergleich zum Jahr 2019, als noch kaum jemand Erfahrung hatte mit Distanzunterricht, wuchs letztes Jahr die Medienkompetenz. Und zwar sowohl bei Lehrern als auch bei Schülern. Das sieht Ansgar Stich ebenfalls positiv. „Unsere Schüler können nun gut mit Dateien umgehen“, so der Obernburger. Obwohl sie als „Digital Natives“ gelten, sei das bisher nicht der Fall gewesen: „Natürlich wurden Computer und Handys verwendet, aber nur, um an Social Media teilzuhaben oder um zu zocken.“ Nun sind alle Kinder seiner Schule fähig, Dateien einzuscannen und sie hochzuladen. Und alle wissen, wie man eine Excel-Tabelle anlegt. Damit erwarben sie Stich zufolge „digitale Lebenskompetenz“.

Lernen oder zocken?

Was der Chef der Miltenberger Schule feststellt, gilt aber leider keineswegs für alle Schulen und alle Schüler in Bayern, meint Gisela Häfele, frühere Vorsitzende der Katholischen Elternschaft Deutschlands (KED) in Bayern. Gerade jüngere Kinder verfügten oft nicht über die notwendige Kompetenz, um am Unterricht aus der Ferne gut teilnehmen zu können. Schwer sei es vor allem, und hierin stimmt Häfele mit Ansgar Stich überein, die Kinder zu motivieren, vor dem PC zu lernen. Groß sei die Versuchung, nebenbei am Computer zu spielen. Viele Eltern sehen sich in der ungeliebten Rolle des Mahners: „Und das führt auf Dauer zu familiären Konflikten.“

Unterrichten, sagen Lehrer, ist nur etwas für Könner: Deshalb beschwerten sich viele auch, als plötzlich nicht ausgebildete „Teamteacher“ in die Klassen gesteckt wurden. Das, kritisieren Lehrerverbände, führt zu einer Entprofessionalisierung. Jetzt sind aber sogar Mütter und Väter gefordert, Stoff zu vermitteln. Das verschärft laut Häfele die Konflikte: „Denn Eltern kennen oft noch eine ganz andere Didaktik als die, die heute in Schulen angewandt wird.“ Was den zu vermittelnden Stoff anbelangt, gibt es in den Augen der Pädagogin nur eine Lösung: Die Lehrpläne müssten radikal entrümpelt werden. Auch sollten im Homeschooling nur die essenziellsten Fächer gelehrt werden.

Dass Eltern wie Lea Nachtigall Abend für Abend am Boden zerstört sind, weil sie Homeschooling, Kinderbetreuung, Homeoffice und Haushalt einfach nicht auf einmal „gebacken“ bekommen, darf nicht passieren, appelliert die KED-Frau. „Wenn Eltern rückmelden, dass sie es einfach nicht schaffen, müssen sie ein Präsenzangebot für ihre Kinder bekommen“, fordert die Vorsitzende des Sachausschusses „Familie – Erziehung – Bildung“ im Landeskomitee der Katholiken. Das Kinderkrankengeld sei in vielen Fällen keine echte Hilfe: „Denn nicht jeder Arbeitgeber kann ohne Weiteres auf eine Mitarbeiterin, die Kinder zu betreuen hat, verzichten.“

Seit Monaten läuft nun schon nichts mehr wie geplant. Mehr noch, sagt Häfele: „Familien haben es aufgegeben, irgendetwas zu planen.“ Das sei mit Blick auf die psychosoziale Situation von Eltern und Kindern fatal. Denn es heißt, dass es keinerlei Lichtblicke mehr gibt. Nicht jenen Lichtblick in Form eines Besuchs der geliebten Oma. Oder des Opas. Geschweige denn einen Lichtblick in Form einer Reise ans Meer. Oder in die Berge. Gerade deshalb sei es dringend geboten, wo immer möglich für Entastung zu sorgen. Dadurch, dass Equipment bereitgestellt wird. Dass die Stofffülle sinkt. Und Prüfungsdruck von Eltern und Kindern genommen wird.


Titelfoto: Homeoffice und Homeschooling haben Familien in den vergangenen Monaten stark belastet. Pädagogen- und Elternverbände machen deutlich, dass das kein Dauerzustand bleiben kann.


Verfasst von:

Pat Christ

Freie Autorin