Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2021

Schwerpunkt

Neue Perspektiven

Foto: privat

Erwachsenenbildung im Kirchenraum

Die Corona-Pandemie hat vieles verändert – gerade auch im Bereich der Erwachsenenbildung waren Kreativität, Spontaneität und Pragmatik gefragt. Mit dieser Mischung konnte Bildungsarbeit vielerorts sicher stattfinden. Im Interview mit Gemeinde creativ berichtet Christian Beck davon, wie er die Erwachsenenbildung in der Corona-Zeit kurzerhand in den Kirchenraum verlagerte. Auch sonst weiß er in puncto Bildung einiges aus erster Hand zu berichten.

Gemeinde creativ: Herr Beck, Sie sind nicht nur mehr als 20 Jahre als Seelsorger für Krisen- und Notfallbelange tätig, sondern können auch im Bereich Bildung gut mitreden. Weshalb ist das so?

Christian Beck: Ob ich mitreden kann, weiß ich nicht. Aber ich bin nun einerseits schon seit 20 Jahren unter anderem als Religionslehrer an den unterschiedlichsten Schultypen tätig: Grund- und Mittelschule; Berufsschule; Berufsfachschule für Ernährung und Versorgung, für Kinderpflege, für Sozialpflege, für Musik, für Kranken- und Kinderkrankenpflege, für Altenpflege; am Beruflichen Gymnasium und an der Fachakademie für Sozialpädagogik.

Außerdem halte ich auch seit 20 Jahren Vorträge zu allen möglichen Themen, leite umfangreiche Ausbildungskurse für Notfallseelsorger und gebe mehrmals im Jahr Kurse im Training Emotionaler Kompetenzen (TEK).

Glaube und Bildung – ist das für Sie ein Widerspruch, das eine handelt vom Vertrauen, das andere vom Wissen?

Für mich ist das überhaupt kein Widerspruch – ganz im Gegenteil. Nehmen Sie das Beispiel Bibel: jedes Mal, wenn ich über einer Predigt sitze, entdecke ich die schon so oft gelesenen biblischen Texte neu. Da erschließen sich mir im „Glaubensbuch“ der Christen unglaublich tiefgründige Wissensinhalte. Wenn wir uns die Frage stellen „Was ist eigentlich Glaube?“, kommen wir schnell darauf, dass es dort um ein Wissen über die Welt, über zeitliche und ewige Dinge sowie um ganz praktisches Lebenswissen geht.

Sie sind lange in der Schule tätig gewesen. Was hat das mit Ihnen und Ihrem Standpunkt zum Bildungswesen gemacht?

Die lange Zeit als Religionslehrer im Kirchendienst und Schulseelsorger hat mich, ehrlich gesagt, sehr skeptisch gemacht, ob es in unserem Bildungssystem Schule „mit rechten Dingen“ zugeht. Es war und ist für mich befreiend, nun wieder hauptsächlich in der Seelsorge tätig zu sein und nur noch nebenbei zu unterrichten. Die übermäßig überbordende Verwaltung, Regelungs- und Evaluationswut gingen mir zunehmend gegen den Strich, weil sie viel kostbare Zeit geraubt – dabei meist sehr wenig bewirkt – und oft sogar den eigentlichen Lernprozess behindert haben.

Ich beschäftige mich durch meine TEK-Trainer-Tätigkeit mit Hirnforschung und damit, wie Lernen funktioniert. Die alte pädagogische Weisheit, dass Bildung mit den drei Hs geschieht (Hirn = der Verstand muss beteiligt sein, Herz = man muss emotional involviert sein, Hand = man muss es ausprobieren/braucht eine praktische Anwendbarkeit), sehe ich in Schulen und der gesamten Bildungslandschaft teils kaum verwirklicht. Mir ist das über die Jahre aber immer wichtiger geworden, Menschen nicht nur etwas beizubringen, sondern sie im Innersten anzusprechen und ihnen etwas mit auf den Weg zu geben, was einen praktischen Nutzen für ihr Leben hat.

Warum ist für Sie die Erwachsenenbildung bzw. Bildung im Kontext Kirche so wichtig?

Bildung ist mehr als Erwerb von Wissen. Das humanistische Ideal von Bildung geht leider zunehmend verloren, wenn Bildung mit Wissenserwerb gleichgesetzt wird. Denn wir unterscheiden drei Kompetenzbereiche, in denen Bildung stattfindet: Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz. Leider dominiert gerade im schulischen, also im sekundären Bildungsbereich, der Erwerb von Sachkompetenz. Diese hat aber zunehmend weniger Bedeutung, da sich Wissensinhalte heute leichter denn je, beispielweise im Internet, erschließen lassen. Viel wichtiger wäre, in den Schulen die Sozialkompetenz zu stärken. Und am bedeutsamsten war, ist und wird künftig wohl noch mehr sein: der Erwerb von Selbstkompetenz.

Gerade um die Selbstkompetenz geht es mir auch im tertiären (Ausbildung) und quartären (Erwachsenenbildung) Bildungsbereich. Mein Religionsunterricht ist hauptsächlich Arbeit an der Selbstkompetenz: der Beschäftigung mit dem eigenen Ich, mit den Fragen nach Sinn und Ziel menschlichen Lebens. Es geht um die Anwendung dessen, was uns der christliche Glaube lehrt, auf das eigene und das gesellschaftliche Leben.

Deshalb bewegen sich auch die meisten meiner Themen im Bereich der Erwachsenenbildung um Themen wie das richtige Leben, Krisen, Stress, Umgang mit Emotionen, Demenz usw. Am intensivsten aber findet für mich Erwachsenenbildung in meinen TEK-Kursen statt. Da geht es ans Eingemachte, an den Umgang mit den eigenen Emotionen.

Nun wollen wir unbedingt noch wissen: Wie lief das mit Ihrer gemeindlichen Bildungsarbeit im Kirchenraum, wie sind Sie darauf gekommen, wie kam das an – und läuft das immer noch so, auch im Shutdown?

Das klingt vielleicht spektakulärer als es war. Wir hatten in der Pfarrgemeinde schon unser Jahresprogramm für die Erwachsenenbildung 2020 gemacht: verschiedene Vorträge und Kurse. Während die Kurse aufgrund der geringeren Teilnehmerzahl weiterhin stattfinden konnten und immer noch können, soweit es sich um Kurse aus dem therapeutischen Bereich wie TEK handelt, hätten wir bei den Vorträgen in unserem Gemeindehaus Schwierigkeiten bekommen aufgrund der Abstandsregeln. Wir haben dann einfach die Vorträge in unsere Kirche verlegt, weil dort mehr Raum ist und wir die Abstandsregeln einhalten konnten.

Wir waren erstaunt, wie viele Menschen kamen; vor allem auch solche, die sonst gar nicht zu gemeindlichen Angeboten kommen. Es war sicher anfangs etwas ungewohnt, in einer Kirche nicht nur eine Predigt, sondern einen frei gehaltenen Vortrag mit einer PowerPoint-Präsentation zu halten. Aber es hatte auch einen ungeahnten Charme. Vielfach inspirierte mich beim Reden der Kirchenraum, Bezüge zur Lehre Jesu herzustellen, auch wenn es sich bei den Vortragsthemen um so weltliche handelte wie „Ich glaub', ich krieg die Krise. Vom kompetenten Umgang mit persönlichen Lebenskrisen – und den Krisen anderer“ oder auch um „Demenz als Schicksal? Die Selbstheilungskräfte des Gehirns rechtzeitig aktivieren“.

Einen für Winter 2020/2021 geplanten Vortrag haben wir allerdings verschoben; es wäre in der Kirche zu kalt gewesen. In diesem Jahr haben wir mit den Vorträgen im April wieder begonnen, sodass wir bei Bedarf wieder die Kirche nutzen können.

Können Sie auch schon erste Erfahrungswerte Ihres virtuellen Schulunterrichts teilen?

Wenn ich eine Zoom-Doppelstunde halte und von 25 Schülern keiner mit Bild sichtbar ist – bei allen steht nur der Name vor schwarzem Hintergrund – dann frage ich mich, was das noch mit Unterricht zu tun hat. Es erinnert daran, dass sich mehrere ein Lehrvideo anschauen. Kommunikation gibt es da leider nicht. Man sieht auch keine Reaktion auf das Gesagte in den Gesichtern. Damit konnte ich wohl nur deshalb einigermaßen umgehen, weil ich es aus dem Klinikum seit Anfang der Corona-Krise gewohnt war, dass Andachten ohne präsentes Publikum stattfinden. Man hält den Gottesdienst nur für die Kamera. Dies natürlich für die zuschauenden Menschen, aber die muss man sich halt dazu denken.

Das Interview führte Diana Schmid.

Christian Beck aus Schalkau ist Diplom-Theologe und Therapeutischer Seelsorger, er begleitet Menschen in Lebenskrisen aller Art und bildet Notfallseelsorger aus. Er ist Gemeindereferent in St. Stefan in Sonneberg im Bistum Erfurt. Im Interview berichtet er, wie Corona die Bildungsarbeit vor Ort verändert hat und wie es trotz Auflagen und Sicherheitsabstand gelingen kann, die Menschen mit sicheren Formaten zu erreichen.


Verfasst von:

Diana Schmid

Freie Journalistin