Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Mai-Juni 2021

Ökumene

Notfalllösung oder Zukunftsmodell?

Foto: JackF / Adobe stock

Temporär kooperativer Religions- und Ethikunterricht

Die beiden christlichen Kirchen und das Kultusministerium haben einen temporär kooperativen Religions- und Ethikunterricht (tkR-EU) ermöglicht. Anlass war die Verunsicherung von Schulleitungen am Schuljahresanfang. Die Vorgaben von Gesundheitsämtern verboten gemeinsamen Unterricht für Schüler verschiedener Klassen. Ein Werteunterricht für alle galt manchen Schulen als konfliktfreier Ausweg. Darauf ist der temporär kooperative Religions- und Ethikunterricht die rechtlich abgesicherte und schülergemäße Antwort. Er dient dem Infektionsschutz im Präsenzunterricht und gewährleistet einen verfassungskonformen konfessionellen, weltanschaulich sensiblen Unterricht. Beide Kirchen betonen die gerade jetzt notwendige Orientierungsfunktion des Religionsunterrichts, der jungen Menschen den Dialog über existenzielle Fragen und deren Deutung im Licht weltanschaulicher Quellen ermöglicht. Der temporär kooperative Religions- und Ethikunterricht wurde in einem kultusministeriellen Schreiben und einem Begleitschreiben beider Kirchen veröffentlicht.

Die Reaktionen waren  unterschiedlich. Viele begrüßten die Klärungen. Manche verstanden „weltanschaulich sensibel“ als Verbot für religiöse Themen. Einige befürchteten das Aus des konfessionellen Religionsunterrichts. Wieder andere begrüßten die Öffnung zu einem „ökumenischen Religionsunterricht“. Nüchtern betrachtet, sind weder die Befürchtungen noch die Erwartungen begründet.

Für die Organisation des temporär kooperativen Religions- und Ethikunterrichts gilt:

  • Der Teilnahme müssen die Erziehungsberechtigten bzw. volljährigen Schüler und die beteiligten Lehrkräfte zustimmen.
  • Beide Kirchen sind über die Organisation des Unterrichts zu informieren.
  • Schulen können zwischen vier Organisationsmodellen wählen. Dabei werden entweder die ganze Klasse (Modell A) oder nur die konfessionellen Schüler (Modell B) im Wechselunterricht beschult. Oder es werden nur die konfessionellen Schüler (Modell C) oder die gesamte Klasse (Modell D) von einer Lehrkraft unterrichtet.
  • Der Lehrplan der unterrichtenden Lehrkraft bestimmt Inhalt und Notengebung; eine Zeugnisbemerkung weist auf die Teilnahme hin.
  • Die Regelungen gelten nicht für den zum Abitur führenden Unterricht, weil hier Gruppenmischungen unvermeidbar sind.
  • Die Entscheidungen über die Modelle obliegt den Schulen.

Der temporär kooperative Religions- und Ethikunterricht konnte eingeführt werden, weil  beide Kirchen bereits wesentliche Grundlagen dafür entwickelt haben. Einerseits sichert für sie Konfessionalität dialogische Offenheit, weil sie zu einer inhaltlich bestimmten, kognitiv zugänglichen und damit vermittelbaren Positionalität befähigt. Zugleich erfüllt Konfessionalität ihren Sinn darin, den Dialog mit anderen Konfessionen und Weltanschauungen aktiv voranzutreiben. Andererseits entwickeln beide Kirchen in Bayern seit 2015 in einem Modellversuch an Grund- und Mittelschulen die rechtlichen und inhaltlichen Bedingungen für einen Religionsunterricht mit erweiterter Kooperation.

Ist der Religionsunterricht für eine Konfession nicht organisierbar, wird die Teilnahme am Unterricht der anderen Konfession ermöglicht. Dies verlangt eine konfessionssensible Gestaltung, in der Gemeinsames, Verschiedenes und Bereicherndes zur Sprache kommt. Beide Grundlagen konnten für den temporär kooperativen Religions- und Ethikunterricht genutzt und erweitert werden: Die konfessionelle Positionalität der Lehrkraft ist Bedingung für den weltanschaulich sensiblen Austausch in der Klasse.

So fördert der Unterricht eine wertschätzende Gesprächskultur, die weltanschaulich und religiös Neues bejaht und zulässt. Inhalte der anderen Lehrpläne werden unter Rückgriff auf deren grundlegenden Kompetenzen berücksichtigt.

Der temporär kooperative Religions- und Ethikunterricht ist eine Notlösung. Seine rechtlichen und religionsdidaktischen Grundlagen sichern die  Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts.

Weitere Informationen zum Thema finden sich auf der Homepage des Religionspädagogischen Zentrums in Bayern. Spezielle Hinweise zum temporär kooperative Religions- und Ethikunterricht wurden hier zum Download bereit gestellt.


Verfasst von:

Ferdinand Herget

Leiter des Religionspädagogischen Zentrums (RPZ) in Bayern