Ausgabe: Mai-Juni 2021
Schwerpunkt„Weil das Meer das Plastik wieder ausspuckt“
Globales Lernen als Langzeitperspektive
Welche Botschaft hätte Jesus heute, im 21. Jahrhundert, für die Welt? Wo sind die Armen und Entrechteten, unter denen Jesus heute seine Anhängerschaft fände? Der Film „Das neue Evangelium“ von Regisseur Milo Rau (2020) gibt darauf eine klare Antwort:
Es sind die Geflüchteten, die über das Mittelmeer nach Europa gekommen sind und in Süditalien in sklavenähnlichen Verhältnissen auf den Orangen- und Tomatenfeldern bei sengender Hitze schuften. Sie leben in selbstgezimmerten Verschlägen, ohne fließendes Wasser, geschätzt etwa 500.000 Menschen. Im Film spielt der gebürtige Kameruner Yvan Sagnet die Hauptrolle als Jesus. Als Flüchtling hat er selbst die mafiösen Arbeitsstrukturen vor Ort erlebt, auch wie bei der Tomatenernte ein Freund aus Erschöpfung zusammenbricht. In eindrücklichen Bildern visualisiert der Film ein globales Thema: die Ausbeutung von Menschen in vielen Teilen der Welt, damit Kaffee, Obst und Gemüse zu jeder Zeit die Regale der Supermärkte füllen.
Globale Lieferketten
Die Corona-Pandemie zeigt wie in einem Brennglas, wo bisher Menschen arm waren, ist ihre Lebenssituation noch prekärer geworden als bisher. Das Konsumverhalten in den Ländern des globalen Nordens hat direkte Auswirkungen auf die Länder des globalen Südens. So bangen in Bangladesh etwa 4,1 Millionen Näherinnen und ihre Familien um ihre Existenz. Die Textilfabriken sind vor allem von den großen deutschen Modeketten abhängig. Diese ordern jedoch derzeit kaum noch Ware, weil der Einzelhandel wegen der Corona-Pandemie lange geschlossen blieb.
Menschenrechtsverletzungen und Missachtung von Umweltstandards stehen oft am Anfang einer Lieferkette. Das jüngst verabschiedete Lieferkettengesetz erscheint da lediglich wie ein Kompromiss, auch was den Umweltschutz betrifft. Kippt jedoch das Klima, hat das Auswirkungen auf die ganze Menschheit, warnen Experten. Wenn wir jetzt nicht umdenken und nachhaltiger wirtschaften, hat das Konsequenzen, die wir in Zukunft nicht mehr steuern können.

Genau hier setzt globales Lernen an: es geht darum, die Zusammenhänge der weltweiten Verflechtungen zu erkennen und zu handeln. Dabei findet globales Lernen auf verschiedenen Ebenen statt. Bereits im Kindergarten oder in der Schule, aber auch weltweit. In Indonesien, auf der Insel Bali, gründeten die zehn und zwölf Jahre alten Schwestern Isabel und Melati die Initiative: „Bye Bye Plastic Bags“. Innerhalb kürzester Zeit mobilisierten sie mehr als 12.000 Freiwillige, die mit ihnen den Müll von Balis Stränden sammelten: „weil das Meer das Plastik wieder ausspuckt“. Heute finden diese Aufräumaktionen regelmäßig statt und die Regierung auf Bali verbot im Juni 2019 Einwegplastik.
Globales Lernen beinhaltet also eine Langzeitperspektive. Da, wo Menschen aufstehen, um für ihre Rechte und die Umwelt zu kämpfen, da verändert sich etwas, da zählt jeder Schritt, jede Vision für eine lebenswertere Welt, in der wir alle miteinander verbunden sind.
Verfasst von:
Patrizia Wackers
Abteilung Weltkirche, Fachbereich Globales Lernen und Entwicklung im Erzbischöflichen Ordinariat München