Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: Juli-August 2021

Interview

"Der Klimawandel kennt keinen Lockdown"

Foto: Bayerisches Umweltministerium

Soziale, wirtschaftliche und ökologische Fragen zusammendenken – das war das Credo von Papst Franziskus in Laudato si‘. Dass Ökonomie und Ökologie künftig stärker Hand in Hand gehen müssen, um eine zukunftsfähige Gesellschaft und Marktwirtschaft zu schaffen, davon ist auch Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber überzeugt. Im Interview mit Gemeinde creativ spricht er über die Herausforderungen des Klimawandels, den Beitrag jedes Einzelnen und warum wir „Wasser“ viel zu sehr als selbstverständlich voraussetzen.

Gemeinde creativ: Beginnen wir mit dem Thema, um das man momentan nicht herumkommt: Corona. Vor Corona waren Klimawandel und Nachhaltigkeit die Themen schlechthin. Seit mehr als einem Jahr überdeckt Corona nahezu alles andere. Haben Sie Sorge, dass die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit durch Corona ins Stocken geraten?

Thorsten Glauber: Der Klimawandel kennt keinen Lockdown. Wir müssen jetzt handeln, ansonsten kann die mittlere Temperatur in Bayern bis 2100 um bis zu maximal 4,8 Grad Celsius gegenüber dem Zeitraum von 1971 bis 2000 ansteigen. Das zeigt der aktuelle Klima-Report. Und: Wir müssen vor allem aus der Pandemie die richtigen Lehren ziehen. Die Corona-Pandemie hat enorme wirtschaftliche Auswirkungen. Für mich ist daher wichtig: Wenn wir die Wirtschaft wieder hochfahren, müssen wir Ökonomie und Ökologie zusammendenken. Wir müssen mit den Mitteln, die wir jetzt einsetzen, den Nachhaltigkeitsaspekt in den Mittelpunkt rücken. Wir brauchen eine soziale und nachhaltige Marktwirtschaft. Und das können wir über die Förderung steuern. Wir haben jetzt die Chance, unsere Ökonomie umzubauen.

Wie ist Bayern denn momentan in Sachen Nachhaltigkeit aufgestellt?

Bayern verfolgt das große Ziel, eine Nachhaltigkeits-Gesellschaft zu werden: Mit Kreislauf vor Einweg und einer Zukunft, die auf erneuerbare Energien setzt. Mehr Wachstum, weniger CO2: Das ist die Formel der Zukunft. Wir wollen unseren Wohlstand von CO2-Emissionen abkoppeln. Das wichtige Ziel „Bayern klimaneutral“ wollen wir spätestens 2050 erreichen. Unser Klimaschutzgesetz gibt einen ambitionierten Klimapfad vor. Dieser Pfad ist dynamisch: Wenn EU und Bund die Klimaziele anheben, wird Bayern mitziehen.

Gemeinsam mit anderen Akteuren aus dem kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich hat das Landeskomitee im vergangenen Jahr die Petition „Bayernplan für eine soziale und ökologische Transformation“ eingereicht. Wie stehen Sie zu den Forderungen des Papiers?

Das Engagement jedes Einzelnen ist wichtig. Nur gemeinsam können wir die Mega-Herausforderung „Klimawandel“ bewältigen. Klimaschutz ist eine Generationenaufgabe. Bayern übernimmt natürlich Verantwortung: Mit einem ambitionierten Klimaschutzgesetz flankiert von rund 100 Maßnahmen stellen wir die richtigen Weichen für eine klimaneutrale Zukunft. Der Freistaat selbst geht mit gutem Beispiel voran: Die Staatsverwaltung wird bereits 2030 klimaneutral.

In dieser Ausgabe unserer Zeitschrift Gemeinde creativ geht es vor allem auch um das Thema „Wasser“. Heiße Sommer haben einige Gemeinden in den vergangenen Jahren in Bedrängnis gebracht – ist Bayern hier für die kommenden Jahre und Jahrzehnte gerüstet? Und was wird getan, um die Versorgung der bayerischen Bürgerinnen und Bürger mit gutem Trinkwasser langfristig zu sichern?

Die Wasserversorgung Bayerns ist einer unserer großen Schwerpunkte. Die Wasserversorgung sicherzustellen, ist eine der größten und aktuellsten Herausforderungen des Klimawandels. Dazu haben wir das Programm „Wasserzukunft Bayern 2050“ ins Leben gerufen. Es basiert auf fünf Säulen: Wasser speichern, Wasser verteilen, Wasser schützen, Wasser schätzen und Wasser gesamtstaatlich denken. Mit einer Vielzahl von konkreten Projekten starten wir durch. Diese reichen von einer neuen Speicherstudie für Wasserspeicher über Zukunftskonzepte zur Wasserversorgung vor Ort und der Fernwasserversorgung bis hin zu intelligenten Bewässerungsprojekten in der Landwirtschaft und der Umsetzung von Gewässerrandstreifen. Bei höheren Temperaturen und weniger Regen hat ein sorgsamer Umgang mit der Ressource Wasser oberste Priorität. 

Manchen Gemeinden geht das Grundwasser aus, viele Menschen gehen jedoch noch immer sehr sorglos mit Wasser um. In den Siedlungen wird vielfach weiter der Rasen bewässert und die Schlangen vor den Autowaschstraßen am Wochenende sind lang – braucht es hier auch mehr Sensibilität jedes Einzelnen?

Wir wollen das Wasser aus der Selbstverständlichkeitsfalle herausholen: Wir brauchen nur den Wasserhahn aufzudrehen, Wasser steht uns immer zur Verfügung. 130 Liter verbraucht jeder von uns am Tag – das ist einfach zu viel. Noch wichtiger ist das so genannte virtuelle Wasser, das in unseren Konsumgütern steckt – Lebensmittel, Kleidung. 4.000 Liter verstecktes Wasser pro Tag und pro Person. Diesem enormen Bedarf müssen wir mit Nachhaltigkeit und Respekt begegnen. Indem wir essen, was wir im Kühlschrank haben. Und nur kaufen, was wir brauchen. Denn: Wasser sparen heißt Ressourcen schonen.

In der Vergangenheit war immer wieder die Rede davon, die Wasserversorgung privatisieren zu wollen – was halten Sie von dieser Idee?

Wasser ist Lebensmittel Nummer eins, ohne Wasser ist alles nichts. Ich will, dass die Wasserversorgung in kommunalen Händen bleibt. Eine Privatisierung der Trinkwasserversorgung lehne ich ganz klar ab. Die Wasserversorgung gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge und muss in kommunaler Verantwortung bleiben.

Auf der anderen Seite gibt es einige flussnahe Gebiete in Bayern, die bei bestimmten Wetterlagen mit Hochwasser und Überschwemmungen zu kämpfen haben. Wie gestaltet sich derzeit der Hochwasserschutz in den betroffenen Regionen und wie lässt sich dieser auch ökologisch verträglich realisieren?

2021 startet das neue Gewässer-Aktionsprogramm. Neues Herzstück des Programms ist der ökologische Mehrwert: Wir wollen Hochwasser- und Gewässerschutz mit dem Artenschutz vereinen. Es wird ein gigantisches Paket mit zwei Milliarden Euro Volumen allein in den kommenden zehn Jahren. Ziel sind renaturierte und ökologisch funktionsfähige Fließgewässer und Auen sowie eine noch bessere Vernetzung der Lebensräume. Beispielsweise wird durch Deichrückverlegungen und die Renaturierung von Auen in rund zwei Dutzend Projekten an fünf Flüssen – unter anderem Donau, Isar und Lech – eine neue hochwertige Gesamtfläche von 2.300 Hektar geschaffen. Gewässerrandstreifen und Uferstreifen sollen für natürliche Vielfalt entlang der Gewässer sorgen.

Ein weiteres Problem waren immer wieder zu hohe Einträge aus der Landwirtschaft im Grundwasser. Konnte man diese Probleme inzwischen lösen?

Oberstes Gebot ist: Das Lebensmittel Wasser muss für ganz Bayern dauerhaft, in ausreichender Menge und hoher Qualität zur Verfügung stehen. Der Schutz des Grundwassers erfordert gerade in Zeiten des Klimawandels mit mehr Hitze und Trockenheit verbindliche Regelungen. Diese liegen nun bundeseinheitlich mit der Düngeverordnung vor. Die Landwirtschaft braucht klare Rahmenbedingungen, damit auch zukünftig vor Ort hochwertige Lebensmittel produziert werden können. Bayern wird das Grundwassermessnetz in den kommenden Jahren deutlich ausbauen: von derzeit rund 600 staatlichen Messstellen auf etwa 1500. Im vergangenen Jahr wurden bereits 140 zusätzliche staatliche Messstellen geschaffen, durch Prüfung und Übernahme vorhandener Messstellen oder auch durch Neubau.

Thorsten Glauber (*1970) ist seit November 2018 Bayerischer Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz. Er gehört den Freien Wählern an. Die Sicherstellung der Wasserversorgung sieht er als eine der größten Herausforderungen für die kommenden Jahre, gerade auch im Kontext des Klimawandels. Er macht sich für den Aufbau einer sozialen und nachhaltigen Marktwirtschaft stark.


Verfasst von:

Alexandra Hofstätter

Geschäftsführerin des Landeskomitee der Katholiken in Bayern.