Ausgabe: September-Oktober 2021
SchwerpunktDemokratie schlägt Machtwort

Eine nur hierarchische Kirche hat Schlagseite. „Die Pfarrgemeinde setzt sich vor allem aus Laien zusammen“, weiß auch die vatikanische Kleruskongregation in ihrer Instruktion über die Pfarreien, die im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde und für einigen Aufruhr sorgte, weil sie diese Schlagseite zum Programm gemacht hatte. Sorgfältig wurde in dem Dokument aus Rom darauf Wert gelegt, dass bei Gremien ja der Pfarrer das letzte Wort haben muss und missverständlich-egalitäre Begriffe wie „Team“ in der Beschreibung pfarrlicher Gremien doch lieber vermieden werden sollen.
Schlagseite hat eine nur hierarchische Kirche, weil sie Priester systematisch in die Überforderung und Überarbeitung drängt; weil sie das Charisma des geistlichen Amts und geistlicher Leitung engführt mit allen Aspekten der Leitung. Das wird weder Priestern und Laien gerecht. Hat ein Schiff Schlagseite, braucht es Gegengewichte. Nur dann kann es auf Kurs bleiben und sein Ziel erreichen, ohne zu kentern. Für den Pfarrer, das hierarchische Element in der Kirche, ist das ein Gegenüber im Pfarrgemeinderat, dem synodalen Element der Kirche – der nicht nur, wie es das Vorurteil weiß, für Gemeindefeste, Pfarrzentrumsbelegungspläne und die Organisation des Blumenschmucks in der Kirche zuständig ist.
„An der Aufgabe der Kirche, Träger der Heilssendung Christi zu sein, haben die ganze Gemeinde und jedes ihrer Glieder Anteil“, heißt es im Beschluss über die Räte und Verbände der Würzburger Synode. Die Pfarrgemeinderäte sorgen dafür, dass diese Aufgabe auch tatsächlich eine Sendung aller sein kann und nicht nur im besten Fall vereinzelte, unverbunden nebeneinanderstehende Einzelinitiativen. Pfarrgemeinderäte sorgen aufgrund ihrer Legitimation durch allgemeine Wahl dafür, „die einzelnen Dienste und Gruppen zu integrieren und zwischen der Gemeinde und ihnen zu vermitteln“.
Auch die Pfarrei-Instruktion aus Rom, fast 50 Jahre später, betont die Bedeutung der Laienräte: „Der theologische Sinn des Pastoralrates ist im Wesen der Kirche verankert, d. h. in ihrem 'Leib-Christi-Sein', das eine 'Spiritualität der Gemeinschaft' erzeugt“, heißt es dort und explizit wird das Gemeindefest-Vorurteil zurückgewiesen: „Weit davon entfernt, ein schlichter bürokratischer Organismus zu sein, unterstreicht und verwirklicht der Pastoralrat folglich die Bedeutung des Volkes Gottes als Subjekt und aktiver Protagonist der missionarischen Sendung kraft der Tatsache, dass alle Gläubigen die Gaben des Heiligen Geistes in der Taufe und in der Firmung empfangen haben“, betont die Kongregation – allerdings in gut römischer Amts- und Kirchentheologie immer unter dem Primat der Hierarchie: Beratung und nicht Entscheidung, und nie darf der Pfarrer „seiner Rolle als Hirte und Leiter der Gemeinde beraubt“ werden.
Besonderheit Pfarrgemeinderäte
Pfarrgemeinderäte, wie sie in Deutschland mit den Beschlüssen der Würzburger Synode umschrieben wurden, sind weltkirchlich eine Besonderheit. Das allgemeine Kirchenrecht kennt im Wesentlichen Pastoralräte, die den Pfarrer oder den Bischof beraten, und Vermögensverwaltungsräte, die sich um die Finanzen kümmern – mit dem Pfarrer als Letztverantwortlichen. Die Idee, dass auch in einer hierarchisch verfassten Kirche die Leitung nicht allein dem lediglich zur Beratungsbereitschaft aufgeforderten Kleriker zukommt, sondern aus der „Spiritualität der Gemeinschaft“ und dem „Leib-Christi-Sein“, von denen die Kleruskongregation spricht, auch eine gemeinsame Verantwortung und damit auch eine Teilhabe aller an der Leitung erwachsen kann, stellt die hergebrachte Ämtertheologie vor eine Herausforderung.
Vielleicht sind die selbstbewussten Räte in Deutschland auch deshalb viel mehr als nur unverbindlich beratende Gremien, weil an den Grunddokumenten der heutigen Pfarrgemeinderäte nicht nur Kleriker mitgewirkt haben, sondern auch viele Laien, die in Politik und Verwaltung Erfahrung gesammelt haben und von dort ein demokratisches Selbstverständnis mit in die synodale Kirche gebracht haben. Die Würzburger Synode bleibt dabei zwar der hergebrachten Ekklesiologie treu; eine demokratische Revolution hat sie nicht ausgerufen; sie achtet die besondere Rolle der Priester. Sie stellte aber mit ihrer Betonung der „Sendung des ganzen Gottesvolks in der Kirche und in der Welt“ nicht die hierarchische Verfassung in den Mittelpunkt der Argumentation, sondern mit einer Theologie der Gemeinschaft die Synodalität. Der zentrale Begriff der Mitverantwortung ist im System der Pfarrgemeinderäte nicht so spiritualisiert, dass er vom Wohlwollen des Pfarrers abhängt. Pfarrgemeinderäte sind nach dem Willen der Würzburger Synodalen „institutionalisierte Formen der Mitverantwortung, in denen Amtsträger und Laien vertrauensvoll zusammenarbeiten und die Möglichkeit zu gemeinsamer Willensbildung und Entscheidungsfindung gegeben ist“. Pfarrgemeinderäte gestalten mit ihrer Verantwortung, die sie durch die Wahl und Beauftragung durch die Gemeinde erhalten haben, die Kirche mit – das ist mehr als lediglich unverbindliche Beratung.
Heute wichtiger denn je
Strukturell sind Pfarrgemeinderäte nach dem heutigen Erkenntnisstand vielleicht sogar noch wichtiger, als man das in den 1970er Jahren bei der Würzburger Synode ahnen konnte. Zentrale Fragen in der Bewältigung des Missbrauchs und seiner Vertuschung in der Kirche sind die nach dem Priesterbild und dem Umgang mit Macht. Hier kommt den synodalen Gremien eine wichtige Rolle zu: Demokratische Aushandlungsprozesse, Diskussionen, das Ringen um Kompromisse, wie sie in synodalen Gremien stattfinden, in denen per Abstimmung und nicht per Machtwort entschieden wird, sind nicht nur eine organisatorische Form, mit der Entscheidungen produziert werden. Demokratische Prozesse wirken stilbildend: Auch wenn die Kirche so verfasst ist, dass am Ende ein Pfarrer, ein Bischof seinen Willen durchsetzen kann, gegen alle Mehrheiten – dann hat er an dieser Stelle aber lediglich Macht bewiesen, seine Autorität jedoch verspielt. Mit aller Macht kann er kaum etwas ausrichten – und erst recht nicht die Menschen für den Dienst am Evangelium gewinnen, ohne die er allein dastehen würde.
Pfarrer und Bischöfe können dann mit Autorität ihr Amt so ausüben, dass ihnen Vertrauen entgegengebracht wird, wenn sie die Räte als ihr Gegenüber ernst nehmen – und im Gegenzug können Räte, auch wenn sie formal wenig Macht haben, Autorität erlangen, indem sie verbindliche und ehrliche Prozesse einfordern und durch ihr Engagement Mitverantwortung beweisen. Wenn es selbstverständlich ist, dass Gemeindemitglieder, die im bürgerlichen Leben ohne viel darüber nachzudenken ein demokratisches Ethos pflegen, mit diesem Selbstverständnis auch ein selbstbewusstes synodales Ethos in die Kirche einbringen, ist schon – bei allen Trümpfen, die die Hierarchie hat – ein wichtiges Element von Machtkontrolle eingezogen.
Deshalb lohnt es sich gerade heute, sich für ein Amt im Pfarrgemeinderat in die Pflicht nehmen zu lassen. Auch wenn damit viel Bürokratie und Routineaufgaben und ganz gewiss auch die Entscheidung, wie beim nächsten Gemeindefest der Grill besetzt werden soll, verbunden sind: Im Kern geht es darum, Mitverantwortung zu zeigen, um die Kirche aus der hierarchischen Schlagseite aufzurichten, damit sie auf ihr Ziel hin ziehen kann.