Das Magazin für engagierte Katholiken

Ausgabe: September-Oktober 2021

Interview

„Ohne sie wäre unsere Gesellschaft sehr viel ärmer.“

Foto: Evang.-Luth. Dekanat München /MCK

Mit Sorgenfalten auf der Stirn blicken manche Pfarrgemeinden auf die PGR-Wahlen im März 2022 – weil sie sich um den Nachwuchs in den Gremien sorgen. Dabei gibt es viele gute Argumente, sich für ein Ehrenamt im Pfarrgemeinderat zu entscheiden, findet Joachim Unterländer. Im Interview mit Gemeinde creativ spricht er über kirchliche Rahmenbedingungen für ein solches Engagement, den Synodalen Weg und warum sich an der Frage der sozialen Gerechtigkeit die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidet.

Gemeinde creativ: Herr Unterländer, Sie sind im Frühjahr wieder zum Vorsitzenden des Landeskomitees der Katholiken in Bayern gewählt worden – welche Aufgaben und Herausforderungen sehen Sie in den nächsten vier Jahren auf sich zukommen?

Joachim Unterländer: Es ist vor allem im Sinn des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Würzburger Synode noch einiges zu tun. Es geht um die Rolle und den Stellenwert der Laienarbeit in der katholischen Kirche. Wertschätzung, Mitwirkung und Mitbestimmung sind ein zentrales Anliegen. Leider sind diese nicht immer und nicht überall in der Kirche verwirklicht. Wir als Landeskomitee fordern sie daher immer wieder ein.

Darüber hinaus haben wir im kirchen- und gesellschaftspolitischen Bereich wichtige Schwerpunkte. Wir wollen gemeinsam mit den sozialen Verbänden eine Initiative „Soziale Berufe in Bayern“ starten. Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht: die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für Menschen in sozialen und pflegenden Berufen müssen sich verbessern – und hier sprechen wir nicht nur von einer gerechteren Bezahlung.

Und an einem Thema kommen wir natürlich nicht vorbei: wir wollen uns intensiv mit den Folgen der Corona-Pandemie auseinandersetzen, sowohl für die Kirche als auch für Staat und Gesellschaft. Außerdem wollen wir neue Schwerpunkte im Bereich des Wohnungsbaus setzen. Das Thema „Wohnen“ ist ganz eng verknüpft mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Diese Fragen müssen wir angehen, wenn wir unsere Zukunft gerecht gestalten wollen.

Der Synodale Weg ist wegen der Corona-Pandemie noch nicht so weit gekommen wie ursprünglich geplant. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Das Landeskomitee hat sich von Anfang an ganz klar zum Synodalen Weg bekannt und seine Unterstützung zugesagt. Wir werden uns natürlich auch weiter im Rahmen unserer Möglichkeiten einbringen. Der Synodale Weg muss zu einem guten Abschluss gebracht werden, eine andere Chance haben wir gar nicht. Die vier Foren behandeln zentrale Bereiche, die für die Zukunft unserer Kirche eminent wichtig sind.

Der angebotene Amtsverzicht von Kardinal Reinhard Marx kam für uns alle sehr unerwartet, die Antwort aus Rom dafür umso schneller. Dass Kardinal Marx im Amt bleibt, ist ebenso ein Hoffnungsschimmer für den Synodalen Weg in Deutschland wie die Tatsache, dass Papst Franziskus einen weltweiten synodalen Prozess ausgerufen hat. Es braucht diese Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten für alle Gläubigen. Eine Weiterentwicklung der Kirche kann nur im Dialog und in Transparenz geschehen. 

Welche Themen sind Ihnen darüber hinaus momentan besonders wichtig?

Das Thema „Missbrauch in der katholischen Kirche“ ist leider keineswegs abgeschlossen. Seit mehr als zehn Jahren dominiert es innerkirchliche Debatten und auch die öffentliche Meinung. Es braucht volle Offenheit und den Blick auf die Betroffenen, um hier voranzukommen.

Weiter wollen wir uns im Demokratieprozess, der von der Europäischen Union ausgerufen wurde, zu Wort melden. Hier wollen wir die Diözesanräte einbinden und laden auch die Pfarrgemeinden ganz herzlich ein, sich daran zu beteiligen.

Sie gelten als „Fan“ der Volkskirche. Die Stimmen, die das Ende dieser Volkskirche proklamieren, werden immer mehr. Was antworten Sie denen?

Die Menschen haben nicht den Glauben verloren, sondern die Menschen sind mit verschiedenen anderen Dingen im Kontext Kirche nicht mehr einverstanden oder fühlen sich nicht ausreichend wahrgenommen und wertgeschätzt. Hier muss man ansetzen. Aktuelle Studien zeigen, dass Menschen sich durchaus mit Sinnfragen befassen, dass sie Themen und Inhalten, die der katholischen Kirche ureigen sind, sehr positiv gegenüberstehen. Viele bekennen sich auch ganz bewusst zum christlichen Gottesglauben, können aber mit Vorgängen innerhalb der Kirche, mit Strukturen oder Moralvorstellungen nichts mehr anfangen.

Die Austrittszahlen lassen sich nicht wegdiskutieren. Sie sind eine Herausforderung. Kirche muss die Menschen in ihren aktuellen Lebenssituationen abholen, dann hat auch die Volkskirche eine Chance. Dass Pfarrgemeinden vor Ort geschätzte Kooperationspartner sind und auch in politischen und gesellschaftlichen Belangen gehört werden, beweist, wie wichtig dieses Engagement ist.

Was kann die Kirche aus der Corona-Pandemie Positives mitnehmen, was daraus lernen?

Wir haben gesehen, dass viele kirchliche Gruppen sich von der Pandemie nicht haben entmutigen lassen und dass vielerorts tolle Projekte und Initiativen gewachsen sind. Außerdem gab es natürlich einen enormen Schub in Sachen Digitalisierung. Neue Formate haben sich etabliert, gerade auch im Bereich der Verkündigung ist man neue Wege gegangen. Vieles davon kann sicherlich auch für die Nach-Corona-Zeit sinnvoll und hilfreich sein. Wir sollten diese Dinge als Chancen sehen und sie nicht leichtfertig wieder aufgeben. Wichtig ist aber: die Kirche darf sich nicht rein ins Digitale verlegen und sich damit noch weiter von den Menschen zurückziehen. Das wäre definitiv der falsche Weg.

Das vergangene Corona-Jahr hat vielerlei Verwerfungen gezeigt. Wie kommen wir gesellschaftlich wieder zu einem guten Miteinander?

Staat und Gesellschaft müssen alles tun, um soziale Gerechtigkeit zu garantieren – und zwar nicht nur in Worten, sondern vor allem auch in Taten. Besonders im Blick sein müssen die vulnerablen Gruppen unserer Gesellschaft, nicht zuletzt weil die Pandemie gezeigt hat, dass diese mitunter am Schlimmsten von der Pandemie und ihren Auswirkungen betroffen waren. Ich denke hier an unsere Seniorinnen und Senioren, an Menschen mit Behinderung, kinderreiche Familien und sozial Schwache.

Auch kirchlich ist immer lauter von einer Spaltung die Rede – droht eine neuerliche Kirchenspaltung?

Ich hoffe, dass es nicht soweit kommt! Innerkirchlich sehen wir hier verschiedene Lager, die auch – zum Teil lautstark – ihre Meinung kundtun. Gerade auch beim Synodalen Weg führt das immer wieder zu Spannungen. Wenn alle Menschen, die im kirchlichen Bereich tätig sind, unabhängig davon, ob sie geweiht sind oder nicht, sich darüber im Klaren sind, dass man die Menschen in ihrer Lebensrealität wahrnehmen und wertschätzen muss, dass man jeden und jede so annehmen muss, wie er ist, dann wird das nicht passieren. Auch Papst Franziskus und Kardinal Marx treten ja dafür ein. Die Kirche kann nicht parallel zur Gesellschaft existieren. Sie ist ein Teil von ihr.  Ihre Amtsperiode hat gerade begonnen, die der Pfarrgemeinderäte geht langsam zu Ende – warum braucht unsere Gesellschaft solche Gremien?

Pfarrgemeinden haben in den vergangenen Jahrzehnten ganz wesentlich von der wertvollen Arbeit der Pfarrgemeinderäte profitiert. Pfarrgemeinderäte sind durch ihren Einsatz und ihr Engagement Garanten für lebendige Pfarreien, für ein vielseitiges und gelingendes kirchliches Leben vor Ort. Sie verkörpern gemeindliches Leben insgesamt, schauen über den eigenen Kirchturm hinaus, mischen sich ein, wenn Diskussionsbedarf besteht, sind kommunalpolitisch gefragt und stehen an der Seite derer, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Ohne diese Männer und Frauen, die sich in Pfarrgemeinderäten engagieren, wäre unsere Gesellschaft sehr viel ärmer. 

Viele Gemeinden tun sich schwer, Kandidatinnen und Kandidaten für die Pfarrgemeinderatswahlen 2022 zu finden. Mit welchen Argumenten würden Sie sich für ein solches Amt gewinnen lassen?

Pfarrgemeinderat sein, bedeutet mitwirken, bedeutet Verantwortung zu übernehmen für andere. Das wäre ein starker Antrieb für mich. Natürlich auch das Gemeinschaftsgefühl, das in diesen Gremien entsteht, die gemeinsame Freude über etwas, das man gut zu Ende gebracht hat, und auch die Gewissheit, Sorgen und Ängste in dieser Gemeinschaft teilen zu können.

Joachim Unterländer (64), gebürtiger Münchner, ist seit 2017 Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern. Zudem ist er Mitglied im Vorstand des Diözesanrates der Katholiken der Erzdiözese München und Freising und Delegierter für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Von 1994 bis 2018 war der CSU-Politiker Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Unterländer ist Sozialpolitiker durch und durch. Er war lange Zeit Vorsitzender des Arbeitskreises für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration der CSU-Fraktion sowie Vorsitzender des gleichnamigen Landtagsausschusses.


Verfasst von:

Alexandra Hofstätter

Geschäftsführerin des Landeskomitee der Katholiken in Bayern.